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Ohne Lernen kein Gedächtnis

29.11.2004  00:00 Uhr
Hirnforschung

Ohne Lernen kein Gedächtnis

von Anke Pfleger, Düsseldorf

Es gibt Dinge oder Erlebnisse, an die sich ein Mensch zu jeder Zeit erinnert. Unwiderruflich scheint sie das Gehirn im Langzeitgedächtnis abgespeichert zu haben. Andere Eindrücke sind dagegen schnell vergessen. Warum wir uns bestimmte Dinge ein Leben lang merken und andere nicht, versuchen Neurowissenschaftler zu klären.

Lernen und Gedächtnis sind eng miteinander verknüpft, das heißt: Ohne Lernen entsteht kein Gedächtnis. „Lernen ist eine Hirnleistung. Es gibt Bereiche, in denen das Hirn optimal reagiert und Randbereiche, in denen Leistung nur mit extremer Mühe erzielt wird“, sagte der Mediziner und Philosoph Professor Dr. Henning Scheich auf der Veranstaltung „Hirnforschung für die Zukunft“ in Düsseldorf. Verfolgen können Forscher die Arbeit des Gehirns inzwischen mit modernen bildgebenden Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie. Darüber hinaus blähen sich Nervenzellen in den meisten Fällen mikroskopisch sichtbar auf, wenn ein Lernprozess stattfindet. „Aufplusterungen sind immer nur in Teilen der Hirnregionen zu finden“, erläuterte der Direktor des Leibnitz-Instituts für Neurobiologie, Magdeburg. In anderen Regionen nehme das Volumen zu diesem Zeitpunkt ab.

Informationen werden im Gehirn von einer Nervenzelle zur anderen über Synapsen weitergeleitet. Kommen viele Impulse bei der Nervenzelle an, setzt sie vermehrt Transmitter frei und die Synapse verändert sich biochemisch. „Die Kommunikation einzelner Nervenzellen wird dadurch zum Nachteil anderer gefördert“, erklärte der Wissenschaftler.

Die Vernetzung der Nervenzellen allein sei jedoch noch kein Lernprozess, sondern genetisch bedingt und daher Teil der menschlichen Entwicklung. So werden bei einem Kind in frühen Jahren unzählige solcher Verknüpfungen mit anderen Nervenzellen geschlossen. Umwelteinflüsse entscheiden dann, welche von ihnen bestehen bleiben und welche wieder zerstört werden. Studien ergaben, dass Kinder, die in den ersten Jahren engen Kontakt zu einer Bezugsperson hatten, Synapsen mit weniger Verknüpfungen aufweisen als Kinder, bei denen es an Zuwendung fehlte. Dies unterstreiche, dass beim Lernprozess unnötige Verknüpfungen gekappt werden.

„Wie gut Netze durch frühere Erfahrungen strukturiert worden sind, bestimmt, wie effektiv die späteren Lernleistungen sind“, sagte der Mediziner. Sind bei Kindern viele unsinnige Strukturen erhalten geblieben, erschweren sie ihnen das Lernen. Somit wird der Grundstein für die Lernleistung schon im Vor- und Grundschulalter gelegt.

Lange Zeit dachten Wissenschaftler, die Hirnentwicklung sei irgendwann in der Jugend abgeschlossen und die neuronalen Netzwerke endgültig angelegt. Mittlerweile stehe aber fest, dass sich auch im erwachsenen Gehirn bei einzelnen Synapsen noch neue Verschaltungen bilden können. Zudem könnten für bestimmte Aufgaben zusätzliche Hirnregionen rekrutiert werden, etwa beim Erlernen von Fremdsprachen in fortgeschrittenem Alter. Dennoch ändert sich nichts an dem Grundsatz, dass sich ältere Menschen mühsamer neue Zusammenhänge aneignen als jüngere.

Emotionen fördern Erinnerung

„Das Kurzeitgedächtnis hat nur eine begrenzte Kapazität. Wenn ich mir etwas Neues merke, wird die alte Information durch Überschreiben gelöscht“, sagte Scheich. Darüber hinaus könnten auch Elektroschocks zu einem Verlust der dort gespeicherten Erinnerung führen. Wie gelangen nun aber einige Daten vom Kurzeit- ins Langzeitgedächtnis? „Die Umlagerung der gespeicherten Information ins Langzeitgedächtnis ist kein kontinuierlicher Prozess“, sagte Scheich. Vielmehr scheint er im erheblichen Maße dem Zufall zu unterliegen.

Im Gehirn laufen ständig Bauprozesse ab. Wird eine Synapse, die kurze Zeit aktiviert ist, in die Bauprozesse einbezogen, kann die Erinnerung ins Langzeitgedächtnis verschoben werden. „Die Auswahl der einzelnen Informationen, die im Langzeitgedächtnis bleiben, unterliegt indirekten Regeln“, sagte Scheich. Bevorzugt würden die Erinnerungen auf Dauer gespeichert, die mit Emotionen verknüpft sind oder mit bereits Gelerntem kombiniert werden können. Mit der Wiederholung von Gelerntem könne das Wissen zudem besser im Gehirn verankert werden. Insgesamt gelange aber immer nur ein Bruchteil der Informationen des Kurzzeitgedächtnisses in den Langzeitspeicher.

Dopamin als Belohnung

Darüber hinaus ist Lernen immer eine Frage der Motivation. In Tierversuchen haben Forscher Hirnregionen identifizieren können, die für die Motivation verantwortlich sind. Diese befänden sich im Dopaminsystem der Substancia nigra des Gehirns. Bei Versuchen mit Rennmäusen stellten Wissenschaftler fest, dass das Hirn der Tiere vermehrt Dopamin freisetzt, wenn sie ein gestelltes Problem lösen konnten. Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler, indem sie über Sonden die Ausschüttung des Transmitters im Hirn maßen.

Bei dem Experiment mussten die Tiere bei einem akustischen Signal bestimmte Tätigkeiten ausführen, zum Beispiel bei Signal 1 über eine Hürde springen und bei Signal 2 sitzen bleiben. Machten sie einen Fehler, merkten sie dies an Stromimpulsen im Boden, die sie zum Lernen bewegten. Und so reagierten die Mäuse nach einiger Zeit in der von ihnen geforderten Weise auf das Signal, ohne den Stromschlag zu benötigen. Die Forscher konnten messen, dass genau in diesem Moment die Dopaminausschüttung stark anstieg. Nachdem sich das neu Erlernte drei- bis viermal bestätigt hatte, fiel der Dopaminspiegel wieder ab.

„Das Experiment zeigt eindeutig, dass das Dopaminsystem als positives Feedback für ein gelöstes Problem eingesetzt wird“, sagte Scheich. Diese Beobachtung bestätigte sich auch in Humanexperimenten. So ist inzwischen bekannt, dass Dopamin beim Menschen „ein gutes Gefühl“ auslöst. Darüber hinaus konnten Wissenschaftler feststellen, dass Dopamin am Umbau von Synapsen beteiligt ist und damit die Selektion von Erlerntem für das Langzeitgedächtnis fördert.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Pisa-Studie bieten die wissenschaftlichen Erkenntnisse Ansatzmöglichkeiten, das Lernen in der Schule effektiver zu gestalten. So müsse die Schule sich bemühen, Kinder für ihre Lernleistung zu belohnen. „Der Dopaminausstoß ist ein direktes Korrelat zum Erfolgserlebnis“, erläuterte der Mediziner. Dennoch sei die Annahme falsch, dass Kinder oder Jugendliche nur unter angenehmen Bedingungen oder bei positiver Grundstimmung lernen könnten. „Das Gehirn braucht ein Wechselbad zwischen schlechten Erfahrungen, Stress und Erfolgserlebnissen“, sagte Scheich.

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