Blutwäsche bei Herzmuskelschwäche |
11.11.2002 00:00 Uhr |
von Wolfgang Kappler, Homburg
Mit einer spezifischen Blutwäsche verbessern Berliner Mediziner die Herzfunktion bei chronischer Herzmuskelschwäche. Patienten, denen eine medikamentöse Therapie nicht hilft, könnte damit künftig eine Transplantation als letzte Option erspart bleiben.
Die moderne Medizin hat mit der Apherese in jüngster Vergangenheit ein Verfahren entwickelt, das potenzielle Krankmacher aus dem Blut herausfiltert und das gereinigte Blut dem Körper wieder zuführt. Gegen immer mehr Krankheiten setzen Ärzte die volkstümlich Blutwäsche genannte Methode ein, zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis und beim Hörsturz, weil sie eine individuell angepasste und nebenwirkungsarme Behandlung erlaubt.
Jüngstes Beispiel ist die chronische Herzmuskelschwäche (dilatative Kardiomyopathie), die häufigste Ursache für eine Herztransplantation. In Deutschland sind einschließlich der Krankheits-Vorstadien 280.000 Menschen von dieser schweren Herzerkrankung betroffen, deren Kennzeichen ein Nachlassen der Pumpfunktion ist. Um den Leistungsabfall auszugleichen, vergrößert sich der Herzmuskel. Medikamente helfen oft nur vorübergehend, meist bleibt am Ende nur die Transplantation als letzter Ausweg.
Letzte Rettung Transplantation
"Über die Hälfte der Kinder und Erwachsenen, denen ein Spenderherz transplantiert wurde, litten an einer chronischen Herzmuskelschwäche. Und viele Betroffene versterben auf den Wartelisten der Transplantationszentren", verdeutlicht Professor Dr. Stephan Felix von der Uni Greifswald. Wissenschaftler und Ärzte diskutieren viele Krankheitsursachen, darunter auch erbliche Faktoren. Durchgesetzt hat sich inzwischen unter Kardiologen die Ansicht, dass es sich um eine von Auto-Antikörpern ausgelöste Entzündung handelt. Die Immunglobuline greifen dabei fälschlicherweise eigenes Körpergewebe an.
Im Falle der chronischen Herzmuskelschwäche kennt man inzwischen 40 solcher Antikörper. Besonders interessant für Wissenschaftler sind dabei diejenigen, die beim Andocken an Herzmuskelzellen keine Entzündungen hervorrufen, sondern stattdessen eine Zellfehlfunktion auslösen. Denn im Falle von Entzündungen lässt sich die Krankheit im Frühstadium mit Medikamenten aufhalten. Bereits 1987 hatte der Zellbiologe Dr. Gerd Wallukat in Berlin solche nicht entzündungsspezifischen Auto-Antikörper beschrieben.
Am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin konzentrierte er sich in den vergangenen Jahren auf einen Auto-Antikörper, der den so genannten b1-adrenergen Rezeptor der Herzmuskelzellen angreift, und bei 70 Prozent der Patienten nachweisbar ist. "Über diesen Rezeptor regulieren normalerweise die Hormone Noradrenalin und Adrenalin die Schlagfrequenz und Pumpfunktion des Herzens", erklärt der Wissenschaftler. Wird der Rezeptor dagegen vom Auto-Antikörper besetzt, erhöht sich der Calciumspiegel der Zelle, die damit ihre Funktion verändert.
Rezeptor fischt Antikörper
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen hat Wallukat gemeinsam mit dem Kardiologen Dr. Johannes Müller vom Deutschen Herzzentrum Berlin und der Biofirma Affina Immuntechnik auf chemischem Weg wesentliche Bestandteile des Rezeptors nachgebaut und an die Oberfläche des gelartigen Polymeres Sepharose gebunden. Dieses Gemisch in einem Gefäß untergebracht, dient als Filter (Adsorber), der den Auto-Antikörper aus dem durchgeleiteten Blutplasma herausfischt.
"Eine Behandlung dauert fünf Tage, und nimmt täglich drei bis vier Stunden Zeit in Anspruch. Im Einzelfall kann sie wiederholt werden", sagt Müller und weist darauf hin, dass die unter dem Namen Coraffin® vermarktete Immunadsorption in einer ersten klinischen Studie zu einer erheblichen Verbesserung der Herzfunktion führte. In den Jahren zuvor behandelte Müller seine Patienten mit Breitband-Adsorbern, die praktisch alle Auto-Antikörper aus dem Blutplasma entfernen. "In Einzelfällen kam es dabei aber zu Begleiterscheinungen, die zum Behandlungsabbruch zwangen", berichtet er. Bei den aktuellen Untersuchungen ließen sich die Auto-Antikörper nach fünf Tagen nicht mehr nachweisen. Mehr noch, die Immunglobuline wurden anschließend vom Körper nicht mehr produziert, eine unerwartete Wirkung der Behandlung, die sich auch die Wissenschaftler bislang noch nicht erklären können. Zudem erholte sich bereits zerstörtes Herzmuskelgewebe wieder.
Insgesamt wurden bislang 200 Patienten am Deutschen Herzzentrum und an der Berliner Charité mit der Immunadsorbtion behandelt. Für ihre bisherige Arbeit erhielten Müller und Wallukat kürzlich in Düsseldorf den Apherese-Innovationspreis der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Nephrologie. In weiteren Studien an mehreren Zentren sollen nun die Ergebnisse überprüft werden. "Letztlich soll die Therapie Patienten helfen, bei denen Medikamente wirkungslos bleiben und Auto-Immunprozesse nachweisbar sind, um so eine Transplantation zu vermeiden", grenzt Dr. Rudolf Kunze, Mitbegründer, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der Affina Immuntechnik, das Anwendungsgebiet der Immunadsorption bei der Herzerkrankung ein. Die reinen Materialkosten der Immunadsorption beziffert er mit 16.000 Euro.
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