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Spezieller Lockruf für Blutgefäße

03.09.2001  00:00 Uhr

Spezieller Lockruf für Blutgefäße

von Christina Hohmann, Eschborn

Ein amerikanisches Wissenschaftlerteam hat das erste Molekül entdeckt, das gewebespezifisch Blutgefäße zum Wachsen anregt. Der Fund lässt vermuten, dass noch eine ganze Reihe von selektiven Angiogenesefaktoren existiert. Diese Botenstoffe könnten zum zielgenauen und daher nebenwirkungsarmen An- oder Abschalten der Angiogenese in einzelnen Organen verwendet werden.

Wenn Gewebe mehr Sauerstoff benötigen, "rufen" sie nach neuen Blutgefäßen. Sie senden Substanzen aus, die die Kapillaren zum Wachsen anregen. Einer dieser Stoffe ist der Blutgefäßwachstumsfaktor (VEGF - vascular endothelial growth factor). Er ist - wie alle bisher entdeckten Angiogenese-auslösenden Faktoren - ein generelles Signal, das fast alle Gewebe verwenden. Nun hat ein Forscherteam von Genetech Inc. aus San Francisco das erste Molekül entdeckt, das gewebespezifisch Angiogenese auslöst. Wie die Wissenschaftler in der Nature-Ausgabe vom 30. August (Seite 877 - 884) berichten, beeinflusst der von ihnen gefundene Botenstoff ausschließlich das Endothel von endokrinen Drüsen. Der "endocrine gland derived VEGF" (EG-VEGF) unterscheidet sich von der Struktur her stark von VEGF. Er wird aber ebenfalls auf Sauerstoffmangel hin verstärkt gebildet und ausgeschüttet und löst Angiogenese aus.

Wissenschaftler hatten schon länger vermutet, dass gewebespezifische Angiogenesefaktoren existieren, da die Blutgefäßen in verschiedenen Bereichen des Körpers unterschiedliche Eigenschaften besitzen. So ist beispielsweise das Kapillar-Endothel in endokrinen Drüsen wie Eierstöcke oder Hoden "löcherig", damit die gebildeten Steroidhormone in das Blutsystem gelangen können. Dagegen sitzen die Endothelzellen in den Blutgefäßen des Gehirns besonders dicht zusammen, um es vor schädlichen Stoffen abschirmen zu können. Wenn VEGF sowohl in endokrinen Drüsen als auch im Gehirn als Signal für die Angiogenese verwendet wird, dann müssen noch weitere Faktoren existieren, die die gewebespezifischen Unterschiede hervorrufen. Der neu entdeckte Botenstoff könnte daher der erste einer ganzen Reihe solcher gewebespezifischen Angiogenesefaktoren sein.

Die spezifischen Signale könnten auch der Ausgangspunkt für neue Medikamente zum selektiven Anregen oder Blockieren des Blutgefäßwachstums in den verschiedenen Organen sein. Die bisher in der Tumortherapie angestrebte Hemmung von VEGF kann nämlich mit systemischen Nebenwirkungen verbunden sein, da der Faktor auch für normale physiologische Prozesse eine Rolle spielt. So sind Störungen des weiblichen Zyklus, der Wund- und Knochenheilung, Motorneurondegeneration sowie ein erhöhtes Risiko für ischämische Herzerkrankungen denkbar. Beim Blockieren von gewebespezifischen Angiogenesefaktoren, wie EG-VEGF, sind weniger Nebenwirkungen zu erwarten. Top

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