Schlaganfall-Risiko ist kaum bekannt |
29.04.2002 00:00 Uhr |
Invade
Die meisten Schlaganfall-gefährdeten Menschen kennen ihr Risiko nicht. Rechnet man die ersten Daten aus dem Modellprojekt Invade auf Deutschland hoch, ist etwa eine halbe Millionen Menschen gefährdet, in den nächsten zehn Jahren einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden.
Die alarmierenden Zahlen stellte Privatdozent Dr. Dirk Sander, Leiter der "Stroke unit" der Neurologischen Klinik der TU München, Mitte April in München vor. Bislang wurden die Basisdaten bei 2157 Menschen erhoben. Nur 16 Prozent der über 55-Jährigen hatten keine kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes, Vorhofflimmern, Rauchen oder Übergewicht. Fast ebenso viele wiesen zwei oder mehr auf.
Mehr als die Hälfte litt an Bluthochdruck; bei einem Drittel war dies bisher unbekannt, oder der Blutdruck war nicht richtig eingestellt. Obwohl dies der wichtigste Risikofaktor für Schlaganfall ist, erhält in der Praxis nur die Hälfte, eventuell sogar nur ein Drittel der Hypertoniker eine optimale Therapie, monierte Dr. Hans Gnahn, Vorsitzender von Invade. Oft nähmen die Patienten ihre Arzneimittel nicht ein. Ihre Therapietreue zu verbessern, ist ein Ziel der gemeinsamen Arbeit von Patienten, Selbsthilfegruppen, Hausärzten und Apothekern. Der Invade-Pass, in den die verordneten Medikamente eingetragen werden, soll die Compliance unterstützen, ergänzte Thomas Benkert vom Vorstand des Bayerischen Apothekerverbandes. Ferner bieten die Apotheker eine intensivierte Beratung an, zum Beispiel zu Ernährung, Bewegung oder zur Raucherentwöhnung.
Jeder fünfte Teilnehmer wusste, dass er an an Diabetes mellitus leidet, bei weiteren 6 Prozent wurde die Krankheit neu entdeckt. Nur rund ein Drittel der Diabetiker war medikamentös gut eingestellt. Fast die Hälfte aller Untersuchten wies erhöhte Cholesterolwerte auf; zusätzlich wurde dieser Risikofaktor bei 19 Prozent neu entdeckt. Jedoch erhielten nur 16 Prozent der Patienten mit einer Fettstoffwechselstörung ein Statin.
Atherosklerose früh erkannt
Die Ärzte bestimmen bei den Studienteilnehmern regelmäßig Frühzeichen atherosklerotischer Veränderungen, die ein hohes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt bedeuten. Dazu erfassen sie den "Ankle-Brachial-Index" (ABI) und die Gefäßwanddicke der Halsschlagader (IMT). Beim ABI, dem Quotienten von höchstem Blutdruck am Knöchel und systolischem Druck am Arm, sind Werte zwischen 1,0 und 1,3 normal; Werte unter 0,9 zeigen Stenosen an. Damit kann man frühzeitig eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) erkennen, erklärte Sander. Der IMT-Wert gilt als Marker einer asymptomatischen Atherosklerose der Hirngefäße.
Bei Invade hatten 17 Prozent eine krankhafte Gefäßwandverdickung, noch mehr einen ABI unter 0,9. Beide Werte lagen bei 9 Prozent der Teilnehmer im pathologischen Bereich. Ihr Risiko, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, beträgt mehr als 30 Prozent. Hochgerechnet auf die über 60-Jährigen in der Bevölkerung ist eine halbe Million Menschen in Deutschland gefährdet, sagte Sander. Bezieht man die Zahl auf die über 55-Jährigen, sind sogar 2,2 Millionen von Schlaganfall oder Herzinfarkt bedroht.
Was bedeutet Invade? Seit September 2000 läuft das auf acht Jahre angelegte "Interventionsprojekt zu vaskulären Erkrankungen und Demenz im Landkreis Ebersberg", das sich an alle über 55-jährigen AOK-Versicherten im Landkreis - knapp 11.000 Menschen - wendet. Ziel ist es, eine Pflegebedürftigkeit durch Schlaganfälle und Demenz durch die systematische Erfassung und Behandlung von Risikofaktoren zu reduzieren. Fast alle Ärzte und alle Apotheker im Landkreis nehmen teil. Mit dabei sind unter anderem auch die TU München, die AOK Bayern, die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe sowie Ratiopharm und Sanofi-synthelabo.
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