Pharmazeutische Zeitung online

Tumoren den Saft abdrehen

03.04.2000  00:00 Uhr

-MedizinGovi-Verlag

Tumoren den Saft abdrehen

von Ulrike Wagner, Berlin

Ohne Anschluss an die Blutversorgung werden Tumore nur wenige Millimeter groß. Erst wenn Blutgefäße ins Tumorgewebe eindringen und die Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen, wächst der Tumor weiter und kann seine Zellen in den gesamten Körper aussenden. Forscher sehen in der Angiogenese einen Schlüsselmechanismus, um ins Tumorwachstum und die Metastasierung einzugreifen. Auch beim 24. Kongress der Deutschen Krebsgesellschaft war die Angiogenesehemmung Thema.

Bei gesunden Menschen halten Botenstoffe die Homöostase des Blutgefäßsystems aufrecht. Angiopoietin-1 (Ang-1) spielt dabei eine wichtige Rolle. Es bindet an den nur im Endothel vorkommenden TIE-2-Rezeptor. Darüber stabilisiert es die Gefäße und hemmt deren unkontrolliertes Wachstum.

An TIE-2 kann aber auch Angiopoietin-2 (Ang-2) binden. Es verdrängt Ang-1 vom Rezeptor und wirkt dort antagonistisch. Dadurch wachsen zwar keine neuen Gefäße, aber der Faktor sorgt für eine Destabilisierung des Endothels. Dies ist nach Meinung vieler Experten der erste Schritt bei der Bildung neuer Blutgefäße.

VEGF löst Gefäßwachstum aus

VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) löst die Gefäßneubildung schließlich aus, so die Theorie. Der Wachstumsfaktor sorgt dafür, dass Angiogenese fördernde und hemmende Faktoren aus dem Gleichgewicht geraten ("angiogenic switch"). VEGF wird von fast allen soliden Tumoren in großen Mengen gebildet und ist für die Versorgung der Tumore mit Blutgefäßen entscheidend. Der Sauerstoffmangel im Tumorgewebe und verschiedene Wachstumsfaktoren lösen die VEGF-Bildungaus.

Bereits in prämalignen Phasen und auch in gutartigen Geschwulsten wachsen Blutgefäße in das Gewebe, erklärte Professor Dr. Norbert Fusenig vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. In benignen Wucherungen wird die Angiogenese jedoch anschließend wieder gestoppt.

Fusenig und seine Mitarbeiter suchten nach den Faktoren, die dafür verantwortlich sind. Die Menge an VEGF scheint hier nicht entscheidend zu sein. Sowohl gutartige als auch bösartige Geschwulste bilden den Botenstoff in vergleichbaren Mengen. Bei den malignen Tumoren fanden die Forscher jedoch mehr VEGF-Rezeptor. Dieses Molekül schien demnach optimale Zielstruktur für Wirkstoffe zu sein, die die Angiogenese beeinflussen.

Antikörper gegen den Rezeptor

Die Firma ImClone, New York, entwickelte einen monoklonalen Antikörper gegen den VEGF-Rezeptor, berichtete Professor Dr. Peter Bohlen. Im Tierversuch wirkte der Vorläufer-Antikörper, der gegen Mäusetumorzellen gerichtet war, besonders gut in Kombination mit einer Strahlentherapie und einer Chemotherapie, so Bohlen. Zytostatika wirkten dabei bereits in niedrigen Konzentrationen, die zwar die Zellteilung der Tumorzellen nicht hemmen, offensichtlich aber die der Endothelzellen. Im Mausmodell hemmte der Antikörper die Tumorangiogenese, das Tumorwachstum und die Metastasierung. Dass das Prinzip funktioniert – zumindest in Mäusen -, war damit bewiesen.

Nun mussten die Wissenschaftler einen äquivalenten Antikörper konstruieren, der den menschlichen VEGF-Rezeptor erkennt. Im Tiermodell konnten sie dieses Immunglobulin nicht testen. In Nacktmäusen, denen ein menschlicher Tumor eingepflanzt wurde, hemmte der Antikörper die Bildung von Gefäßen humanen Ursprungs und Toxizitätsstudien und Studien zur Pharmakokinetik zeigten ein günstiges Profil. Das Immunglobulin sei daher seit Februar in ersten klinischen Studien bei Patienten mit fortgeschrittenem Kolorektalkarzinom, sagte Bohlen.

Invasion verhindert

Fusenig berichtete von erstaunlichen Effekten des Antikörpers im Tierversuch. Neben der Gefäßneubildung verhinderte das Immunglobulin auch die Invasion der Tumorzellen in gesundes Gewebe. Tumorzellen induzieren demnach nicht nur einseitig das Gefäßwachstum, die Zellen der Gefäße beeinflussen umgekehrt auch das Tumorwachstum. Die Hypothese der Wissenschaftler: Aktivierte Endothelzellen bilden Wachstumsfaktoren und Faktoren, die die Beweglichkeit der Tumorzellen beeinflussen.

Aber nicht nur mit Antikörpern gegen den VEGF-Rezeptor sind erste klinische Studien zur Angiogenese-Hemmung angelaufen. Die Firmen Novartis und Schering haben einen Tyrosinkinase-Inhibitor in die Klinik gebracht, der die Subtypen des VEGF-Rezeptors hemmt, die für die Tumorangiogenese verantwortlich zu sein scheinen. Die Substanz hat den Namen CGP79787/ZK222584. Der Wirkstoff hatte seine Spezifität für die beiden Rezeptortypen in vitro gezeigt und im Tierversuch Tumorwachstum und Metastasierung gehemmt. Auch mit dieser Substanz sind Phase-I-Studien angelaufen. Einen weiteren Tyrosinkinase-Inhibitor, SU5416, testet die Firma Sugen derzeit in klinischen Studien.

Tumor induziert Lymphangiogenese

Neben Blutgefäßen ist auch das Lymphgefäßsystem an der Verbreitung von Metastasen beteiligt. Wie Privatdozent Dr. Jörg Wilting von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zeigte, schalten Tumore auch die Lymphangiogenese – die Neubildung von Lymphgefäßen – an. Zwei Subtypen des VEGF, VEGF-C und –D, binden einen Rezeptor, der ausschließlich auf Lymphendothelzellen vorkommt. Wilting und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass Tumorzellen, die VEGF-C bilden, auch das Anwachsen von Lymphgefäßen induzieren. Die Gruppe aus Freiburg fand dies heraus, indem sie Tumorzellen auf die Chorion/Allantois-Membran in Vogeleiern aufbrachten. Im Gegensatz zur Placenta bei Säugern ist dieses System in der Lage, Lymphgefäße zu bilden.

Angiogenesehemmer

Auch in der Natur kommen Angiogenese-Hemmer vor. So sind Endostatin und Angiostatin potente körpereigene Inhibitoren der Angiogenese. Beide werden aus größeren Proteinen der extrazellulären Matrix abgespalten. Wie sie im Detail wirken, ist noch unklar, im Tierversuch hemmen sie jedoch die Angiogenese. Einige Wissenschaftler schreiben ihnen eine zentrale Rolle bei der Gefäß-Homöostase zu.

Ein weiteres Target für die Angiogenese-Hemmung sind Metalloproteasen. Zwei dieser Enzyme scheinen es den Tumorzellen und den Endothelzellen zu ermöglichen, sich einen Weg durch die extrazelluläre Matrix zu bahnen. Verschiedene Firmen haben bereits Metalloprotease-Hemmer in klinischen Studien.

Das VEGF/VEGF-Rezeptorsystem scheint wegen seiner Spezifität für die Hemmung der Tumorangiogenese besonders geeignet. Monoklonale Antikörper gegen VEGF, entwickelt von Genentech, sind bereits in fortgeschrittenen Phasen der klinischen Prüfung. Inhibitoren von TIE-2 werden derzeit präklinisch getestet - mit vielversprechenden Ergebnissen.

Merck arbeitet wiederum an einem anderen Ansatz zur Angiogenesehemmung. Die Firma hat ein zyklisches Pentapeptid entwickelt, das an bestimmte Integrine bindet. Diese Oberflächenmoleküle befinden sich in großer Zahl auf sich teilenden Zellen und Blutgefäßen. Durch den Inhibitor verlieren die Zellen die Zell-/Zellkontakte und das Überlebenssignal (siehe auch PZ 21/99, Seite 22).

Top

© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa