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Aktivierte Mikroglia zerstören Nervenzellen

Datum 19.01.2004  00:00 Uhr
Multiple Sklerose

Aktivierte Mikroglia zerstören Nervenzellen

von Gudrun Heyn, Berlin

Ein wichtiger Schritt im Krankheitsprozess der Multiplen Sklerose ist aufgeklärt. Forscher aus der Charité und der Universität Magdeburg entdeckten einen Zusammenhang zwischen der Demyelinisierung der Markscheiden und dem Untergang von Nervenzellen im Gehirn: Ein Abbauprodukt des Myelins setzt einen Prozess in Gang, der Mikrogliazellen in Neuronen zerstörende Fresszellen umwandelt.

Noch immer sind die Ursachen und die ablaufenden Krankheitsprozesse der Multiplen Sklerose (MS) weitgehend unbekannt. Charakterisiert wird die Krankheit als primär entzündliche Autoimmunerkrankung des Gehirns und des Rückenmarks. Bis noch vor wenigen Jahren galt dabei die chronisch-entzündliche Zerstörung der Markscheiden, also der aus Myelin bestehenden Hüllen der Nervenfortsätze, als der wesentliche Prozess in der Pathogenese. Außer den Myelinscheiden werden aber auch Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark zerstört. Heute gilt der Verlust von Neuronen als weitaus bedeutsamer für den Krankheitsverlauf als die Vernarbung der Markscheiden.

Bekannt war bereits, dass sich die Krankheitsentwicklung in mehreren Schritten vollzieht. Angestoßen wird der Prozess durch ein bisher noch unbekanntes Agens, wobei Viren oder Bakterien als Auslöser vermutet werden. Als Folge wandern im weiteren Krankheitsverlauf T-Lymphozyten in das Zentralnervensystem ein und zerstören dort bevorzugt und extensiv die Myelinscheiden. Dieser Angriff setzt eine große Menge an Sauerstoffradikalen frei, die letztlich zur Oxidation des aus Lipiden, Protein und Wasser bestehenden Myelins beitragen. Da eines der Hauptbestandteile der Myelinscheide das Cholesterol ist und dessen Oxidationsprodukte für Blutgefäße und Nervenzellen zytotoxisch sind, richtete sich das Augenmerk der Forscher besonders auf diese Substanzen.

In der zerebrospinalen Flüssigkeit von MS-Patienten fanden die Wissenschaftler der Charité Cholesterol-Abbauprodukte in hohen Konzentrationen, während solche Oxidationsprodukte bei Patienten mit nicht entzündlichen Gehirnerkrankungen kaum in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit nachweisbar waren.

Als Hauptoxidationsprodukt identifizierten die Wissenschaftler das 7-Keto-Cholesterol (5-cholesten-3b-ol-7-one). Besonders im Gehirn von MS-Patienten waren große Mengen dieser Substanz vorhanden. Außerdem zeigte sich im Tiermodell, dass das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose umso ausgeprägter ist, je mehr 7-Keto-Cholesterol vorhanden ist.

Kettenreaktion im Gehirn

Das Molekül setzt im Gehirn der Erkrankten eine Art Kettenreaktion in Gang, an deren Ende aus ruhenden Mikrogliazellen Fresszellen entstehen, die sich im Gehirn bewegen und Nervenzellen zerstören können. Hohe Konzentrationen von 7-Keto-Cholesterol wirken allerdings zytotoxisch. Nur bei ganz bestimmten Konzentrationen, wie sie etwa im Gehirn von MS-Patienten erreicht werden, setzt dieser Prozess ein.

Als frühe Antwort auf Verletzungen und Infektionen des ZNS verwandeln sich ruhende Mikrogliazellen in aktivierte immunologische Effektorzellen um, so Professor Dr. Oliver Ullrich vom Klinikum der Universität Magdeburg. Mikrogliazellen sind besonders kleine Zellformen des, aus dem Ektoderm abgeleiteten, Hüll- und Stützgewebes des Nervensystems (Neuroglia). Insgesamt bilden sie etwa 5 bis 15 Prozent der gesamten Zellmenge des ZNS. Bei einer Multiplen Sklerose werden diese Mikrogliazellen stimuliert, indem 7-Keto-Cholesterol in den Zellkern vordringt und dort das Enzym Poly-(ADP-Ribose)-Polymerase (PARP) aktiviert.

Das Enzym PARP-1 spielt in der Aktivierung von Immunzellen eine bedeutende, regulierende Rolle. Es erhöht die Expression der Integrine CD11a und ICAM-1 und die Induktion des Proteins iNOS. Hierdurch wandeln sich die Mikrogliazellen in ihre amöboide Fresszell-Form um. Zudem steigt ihre Proliferationsrate an. Die Mikroglia sind nun befähigt, sich im Gehirn zu verbreiten und Nervenzellen zu phagozytieren.

Für die Zukunft eröffnen diese Erkenntnisse gleich zwei Optionen: Möglicherweise lässt sich die Konzentration des 7-Keto-Cholesterols im Nervenwasser von MS-Patienten als Marker nutzen, um die Schwere der Erkrankung zu bestimmen. Außerdem könnte durch Hemmung von PARP-1 der Untergang von Nervenzellen vermindert oder gar verhindert werden. Dazu müssen jedoch erst neuartige Medikamente entwickelt werden.

 

Literatur

  1. Diestel, A., et al., Activation of microglial poly(ADP-ribose)-polymerase-1 by cholesterol breakdown products during neuroinflammation: a link between demyelination and neuronal damage. Journal of Experimental Medicine (2003) 1729 - 1740.
  2. Ullrich, O., Mechanismen protektiver und destruktiver Funktionen der Poly(ADP-Ribose)-Polymerase-1 (PARP-1) bei Zell- und Gewebeschädigungen. Habilitationsschrift an der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin (2002) 106.

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