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Zuviel Schutz lässt altern

31.12.2001  00:00 Uhr

KREBS

Zuviel Schutz lässt altern

von Ulrike Wagner, Eschborn

Außerordentlich vielen Tumoren fehlt das Gen für p53, das als vor Krebs schützendes Protein bereits seit vielen Jahren die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern auf sich zieht. Es treibt geschädigte Zellen in den programmierten Selbsttod (Apoptose). Fehlt das Gen oder ist es beschädigt, beginnen veränderte Zellen, sich ohne Kontrolle zu teilen. In den letzten Jahren arbeiteten viele Arbeitsgruppen an Strategien, die darauf abzielen, die Menge an p53 in den Zellen wieder zu erhöhen, um Krebs zu vermeiden oder zu bekämpfen. Dies hat jedoch dramatische Folgen, zeigt eine Studie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature.

Eher zufällig stießen Stuart D. Tyner vom Baylor College of Medicine in Houston, Texas, und seine Mitarbeiter auf eine unerwartete Eigenschaft von p53. Bei ihren Versuchen, das Gen an einer bestimmten Stelle zu verändern, entstanden Mäuse, deren p53-Gen überaktiv war. Wie erwartet, entwickelten die Tiere weniger Tumore als ihre unveränderten Artgenossen. Aber dieser Vorteil wurde mit drastischen Nebenwirkungen erkauft. Die Tiere alterten rapide, selbst junge Mäuse sahen aus wie alte. Sie verloren früh an Gewicht und an Muskelmasse, entwickelten Buckel sowie brüchige Knochen, und ihre Wunden heilten langsamer. Die Wissenschaftler vermuten, dass die erhöhte Menge an p53 die Zellteilung von Stammzellen hemmt, die normalerweise für die Erneuerung von Knochengewebe und Haut verantwortlich sind.

Welche molekularen Mechanismen für Alterungsprozesse verantwortlich sind, ist noch nicht klar. Diskutiert werden derzeit hauptsächlich drei Modelle, schreiben Gerardo Ferbeyre von der Universität von Montréal, Kanada, und Scott W. Lowe vom Cold Spring Harbor Laboratory, New York, in ihrem Kommentar zu dem Originalartikel. Eines besagt, dass mit der Zeit die Kontrolle über die Genexpression verloren geht. Dadurch werden Gene zum falschen Zeitpunkt oder fehlerhaft abgelesen und dies führt zum Altern. Ein anderes Modell sieht in den Chromosomenenden, den Telomeren, die Sanduhr des Lebens. Die Telomere werden von Teilung zu Teilung kürzer, und Mäuse mit sehr kurzen Chromosomenenden altern vorzeitig. Ein drittes Modell besagt, dass Umwelteinflüsse die Zellen mit der Zeit schädigen, die dadurch nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Die neue Studie lässt nun vermuten, dass nicht die Schäden selbst zum Altern führen, sondern die Reaktion der Zellen darauf. In jungen Jahren schützt dieser Mechanismus die meisten Menschen vor Krebs, beim Älterwerden könnte er jedoch seinen Preis haben, vermuten die Kommentatoren.

Vor dem Hintergrund der drei Modelle steht die neue Studie nicht völlig im leeren Raum. Denn bei allen Alterungsmodellen taucht p53 bei irgendeinem Regulationsmechanismus auf. Ursächlich mit dem Altern in Zusammenhang wurde es bislang jedoch nicht gebracht.

Die Entdeckung könnte nicht nur für künftige Therapiestrategien, sondern auch für die derzeitige Behandlung von Tumorpatienten Folgen haben. Denn DNA-schädigende Medikamente, die heute zur Behandlung junger Tumorpatienten eingesetzt werden, rufen p53 auf den Plan und könnten später die Entstehung von altersabhängigen Störungen beschleunigen. Studien müssen zwar erst noch zeigen, ob diese These tatsächlich zutrifft. Aber allein die Vermutung macht deutlich, wie dringend weniger toxische Krebsmedikamente benötigt werden, schreiben die Kommentatoren.

Und letztlich sollten Eingriffe in Alterungsprozesse genau überlegt sein. Da p53 offensichtlich am Altern beteiligt ist, könnten Anti-Aging-Strategien ihren Preis haben: Sie könnten die natürlichen Mechanismen stören, die den Menschen vor Krebs schützen, so Ferbyre und Lowe.

Quellen: 
Tyner, S. D., et al., p53 mutant mice that display early ageing-associated phenotypes, Nature (2002), Vol. 415, 45-53
Ferbeyre, G., Lowe, S. W. Ageing: The price of tumour suppression? Nature (2002), Vol. 415, 26-27

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