Gestörter Informationsaustausch |
29.11.2004 00:00 Uhr |
Schizophrene Patienten leiden laut neuen Untersuchungen an einer mangelhaften Kommunikation im Gehirn. Daher können sie Informationsbruchstücke nicht mehr korrekt zu einem Ganzen zusammensetzen; Halluzinationen und Wahnvorstellungen sind die Folge.
In unserem Gehirn trifft jeden Augenblick ein wahres Sammelsurium an Informationen aus unseren Sinnesorganen ein. Um daraus ein sinnvolles, möglichst realitätsgetreues Gesamtbild zusammenzusetzen, schickt das Gehirn Informationen von einem Ort zum nächsten – etwa über gebündelte Nervenfasern, die dank einer dicken Myelinumhüllung eine schnelle Weiterleitung garantieren. So fließen über den Fasciculus uncinatus Nervenströme vom Frontalhirn zu den Sprachzentren der Schläfenlappen und ein zweiter Strang, der Cingulum, durchzieht die Großhirnrinde an ihrer Unterseite, ausgehend vom Stirnhirn. Er ist zur Bewältigung von Aufgaben und dem Lernen aus eigenen Erfahrungen erforderlich.
An Schizophrenie erkrankte Patienten müssen mit dünneren Nervenbündeln zurechtkommen als Gesunde. Diese anatomische Besonderheit entdeckten Wissenschaftler der Harvard Medical School, als sie mittels einer neuen Variante der Magnetresonanztomographie, der Diffusion tensor imaging (DTI), sowohl die Struktur als auch Dicke und Dichte der Nervenstränge und der sie umhüllenden Isolationsschicht zwischen Gesunden und Schizophrenen verglichen (Neuropsychology 18/4 (2004) 629-637). Sie fanden bei den Erkrankten eine eingeschränkte Struktur der Nervenbündel sowie eine dünnere Myelinhülle, was für eine verminderte beziehungsweise verlangsamte Informationsweiterleitung spricht. Aus diesem Grund sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, Einzelbilder korrekt zu einem Gesamtbild zusammenzufassen. Studienleiter Paul Nestor interpretiert seine Ergebnisse so: „Unterschiedliche Gehirnareale kommunizieren nur mangelhaft miteinander, mit weniger Synchronisation und Harmonie. Es ist wie bei einem Orchester, das außer Takt spielt.“
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt ein zweite Arbeitsgruppe aus Harvard (PNAS, Onlineveröffentlichung November 2004). Das Team um Robert McCarley vermutete schon länger, dass nicht fehlerhafte Konzentrationen von Botenstoffen im Gehirn als Auslöser für die klinischen Symptome Schizophrener verantwortlich seien, sondern fehlgeschaltete Nervenleitungen. Dieser Hypothese gingen sie mittels Elektroenzephalogramm (EEG) nach und tatsächlich zeigten die Gehirnströme bei Schizophrenen ein völlig anderes Muster als bei gesunden Probanden.
In einem visuellen Test mussten die Teilnehmern, während ihnen die Elektronen anlagen, immer dann einen Knopf drücken, wenn vier Dreiviertelkreise ein illusorisches Viereck bildeten. Ergab sich kein Viereck, drückten sie einen anderen Knopf. Die psychisch Erkrankten lösten diese Aufgabe durchaus, allerdings um 200 ms langsamer und mit mehr Fehlern als die Kontrollpersonen. Interessanter war jedoch, dass sich auch das EEG unterschied. Während Gesunde zum Zeitpunkt des visuellen Tests ein hochfrequentes Alphaband zwischen 31 und 44 Hz aufwiesen, zeigte sich bei Schizophrenen in diesem Bereich keinerlei Aktivität. Stattdessen war bei ihnen ein niederfrequentes Wellenband von 22 bis 24 Hz, das so genannte Betaband, zu erkennen. Scheinbar versuchen die Erkrankten, die fehlende schnelle Informationsweiterleitung mit dem langsameren Wellenmuster auszugleichen. Das Betaband allein reichte jedoch nicht aus, um die Einzelinformationen korrekt zusammenzusetzen.
Der Test deckte zudem auf, dass die klinischen Symptome umso schwerer waren,
je langsamer die Weiterleitung war. Von der Störung der neuronalen Kommunikation
besonders betroffenen war der Hinterhauptslappen des Gehirns, in dem optische
Informationen zusammengefasst und ausgewertet werden. Wenn hier vorübergehende
Halbwahrheiten zu falschen Scheinbildern zusammengesetzt werden, könnte dies die
Halluzinationen verursachen, unter denen Schizophrene in der akuten Phase ihrer
Krankheit teilweise leiden.
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