Opioide: Patienten bleiben verkehrstüchtig |
24.11.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Rund 2000 bis 3000 Menschen nehmen sich Jahr für Jahr in Deutschland
wegen chronischer Schmerzen das Leben. Das ist ein Skandal, meinen
renommierte Schmerzforscher. Etwa 90 Prozent der Patienten mit chronischen
Schmerzen werden ihren Angaben zufolge hierzulande nicht adäquat therapiert
und das, obwohl entsprechende Möglichkeiten durchaus verfügbar wären.
Die Crux an der Geschichte. Die deutschen Ärzte schrecken offensichtlich immer noch
vor dem Ausfüllen eines BtM-Rezeptes zurück. Zwar wurde die
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung novelliert und etwas weiter gefaßt. An
der bundesdeutschen Verordnungspraxis hat dies nach Angaben von Dr. Dietrich
Jungck aus Hamburg aber nichts geändert. Nach wie vor verfügen bestenfalls 20
Prozent der Ärzte über solche Rezepte und nur etwa zwei Prozent nutzen sie auch.
"Von einer rationalen Schmerztherapie kann daher nicht die Rede sein", so Jungck
beim Deutschen Schmerzkongreß in Bielefeld.
Viele Patienten mit chronischen Schmerzen bedürfen nach seinen Worten der Opioide,
und es sei ein Ammenmärchen, daß Schmerzpatienten von den Wirkstoffen abhängig
werden. Die Patienten würden in aller Regel zum Teil über Jahre mit entsprechenden
Präparaten behandelt, ohne daß die Dosis der Wirkstoffe gesteigert würde, stellte er
klar.
Wichtig ist allerdings, daß eine rationale Therapie erfolgt, wie dazu Dr. Gerd
Müller-Schwefe aus Göppingen erläuterte. "Rational" bedeute, daß die Mittel nicht
nach Bedarf, sondern nach der Uhr gegeben werden. Es müsse ein individueller
Behandlungsplan erstellt werden, bei dem durch sorgfältige Titration die optimale Dosis
und die Einahmefrequenzen ermittelt werden. "Denn eine Standardtherapie gibt es bei
chronischen Schmerzpatienten nicht", so der Mediziner bei einer Veranstaltung von
Glaxo Wellcome.
Er stellte mit Morphinsulfat ein Präparat mit, nach seiner Einschätzung, "intelligenten
Kinetik" vor. Es handele sich um ein langwirksames Präparat, wie es in der
Behandlung chronischer Schmerzen gefordert wird. Das besondere daran ist nach
Müller-Schwefe die kontrollierte Freisetzung des Wirkstoffs, der in Form
polymerbeschichteter Retard-Pellets vorliegt. Durch die Zusammensetzung und die
Dicke des polymeren Überzugs läßt sich dabei die Geschwindigkeit der
Wirkstofffreisetzung aus den Pellets modifizieren. Das Präparat zeichne sich laut
Müller-Schwefe durch eine konstante Wirkstoffabgabe aus, wodurch sich eine gute
Analgesie auch bei schweren und schwersten Schmerzen bei gleichzeitig geringer
Wirkstoffgesamtmenge erzielen lasse. Der Mediziner räumte in Bielefeld mit dem
Vorurteil auf, Patienten unter einer Opioidbehandlung seien wegen der potentiell
sedierenden Nebenwirkung nicht fahrtüchtig. Das stimme so nicht, betonte er.
Probleme seien lediglich während der Einstellungsphase zu erwarten, in der auf das
Auto besser verzichtet werden sollte. Dagegen bleibe die Fahrtüchtigkeit durchaus
erhalten, wenn die Patienten mit einer konstanten Dosierung gut eingestellt sind.
Bei der Diskussion um die Fahrtüchtigkeit sei zudem zu bedenken, daß weitverbreitete
Medikamente wie Benzodiazepine und Antidepressiva die Verkehrssicherheit erheblich
beeinträchtigen können. Müller-Schwefe: "Das aber interessiert die Öffentlichkeit
offensichtlich sehr viel weniger."
PZ-Artikel von Christine Vetter, Bielefeld
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