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Spanische Grippe lockt Forscher ins ewige Eis

06.11.2000  00:00 Uhr

Spanische Grippe lockt
Forscher ins ewige Eis

von Ulrike Wagner, London

Wie sieht ein Virus aus, das sich in kürzester Zeit um die ganze Welt verbreitet, um fast 40 Millionen Menschen zu töten? Diese Frage trieb Wissenschaftler auf den Friedhof von Longyerbyen im Norden von Norwegen. Im Jahr 1918 wurden hier sieben junge Männer begraben, die an der Spanischen Grippe gestorben waren. Der Boden ist dort - 1300 km vom Nordpol entfernt - das ganze Jahr über gefroren. Einer der Teilnehmer war Professor Dr. John Oxford von der St. Bartholomew´s and Royal London School of Medicine. Er berichtete darüber während einer von Roche organisierten Presseveranstaltung zu Viruskrankheiten.

Als die Spanische Grippe im Jahr 1918 ausbrach, wusste man noch nicht einmal, dass es sich bei dem Übeltäter um ein Virus handelt. Und auch der Name ist eigentlich falsch. Denn die Pandemie begann keineswegs in Spanien. Alle anderen betroffenen Länder befanden sich jedoch im Krieg und wollten auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass eine Krankheit ihre Truppen schwächen könnte. Da Spanien vom ersten Weltkrieg verschont blieb, fiel dort zuerst auf, dass ungewöhnlich viele und vor allem junge, ansonsten gesunde Menschen an der Grippe starben.

Wo das Grippevirus tatsächlich zuerst auftauchte, ist heute schwer zu sagen, vor allem weil es drei Erkrankungswellen gab: im Frühjahr und im Herbst 1918 und in den ersten Monaten des Jahres 1919. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die erste Welle in China ihren Ursprung hatte. Die Archive der US-Streitkräfte berichten bereits am 11. März 1918 von Influenza-Erkrankungen in Fort Riley, Kansas. Ob sich die Krankheit von dort aus über die ganze Welt verbreitet hat, ist nicht bewiesen, wird aber von vielen Wissenschaftlern vermutet.

Longyerbyen liegt auf einer kleinen Insel in der Nähe von Spitzbergen. Die Männer, die hier begraben liegen, waren in die Region gekommen, um in einer Mine zu arbeiten. Wie viele Opfer der Spanischen Grippe waren sie jung: zwischen 19 und 27 Jahre alt.

Per Radar untersuchten die Forscher aus den USA, Kanada, Norwegen und Großbritannien im letzten Jahr die Gräber, damit nicht aus Versehen wertvolles Material verlorengeht. Sie konnten damit die exakte Lage von sieben Särgen ausfindig machen. Bei den Exhumierungen, die von den Hinterbliebenen genehmigt worden waren, isolierten sie Gewebe aus verschiedenen Organen, unter anderem dem Respirationstrakt, dem Gehirn und den Nieren. Dies geschah unter Hochsicherheitsbedingungen. Die Gewebeproben wurden sofort gekühlt und in ein entsprechendes Labor gebracht - auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, sich unter diesen Bedingungen anzustecken.

Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher das Virus nicht nur im Respirationstrakt, sondern auch in anderen Organen wie der Niere und dem Gehirn. Nach Oxfords Angaben gehört das Virus zu den humanen Influenzaviren. Vermutet hatten Experten bisher als Verursacher der Spanischen Grippe eher Vogelviren. Bei den bisher analysierten Sequenzen, innerhalb derer man eigentlich besondere Mutationen erwartet hatte, haben sich kaum Unterschiede zu bereits bekannten Grippeviren gezeigt, erklärte Oxford. Allerdings ist noch nicht das gesamte Genom analysiert.

Was auch immer die Virulenz dieses Virus ausmachte, eine ähnliche Pandemie kann nach Ansicht der Wissenschaftler jederzeit ausbrechen. "Und inzwischen könnte es einmal wieder an der Zeit sein", warnte Oxford. Allerdings sind die Menschen dem Virus nicht mehr so hilflos ausgeliefert wie vor 80 Jahren. Mittlerweile nehmen Experten die Influenza ernst. Viele Länder haben Impfkampagnen gestartet, um Risikopersonen gegen eine mögliche Grippeerkrankung zu schützen.

Von einer Durchimpfung der gesamten Bevölkerung hielt Oxford jedoch nichts. Das würde das Virus nur anregen, seine Oberflächenantigene noch schneller zu verändern. Eine Durchimpfungsrate von 10 bis 15 Prozent betrachtet er als sinnvoll. Zudem böten die neuen Neuraminidase-Inhibitoren eine Behandlungsoption bei Influenza-Infektionen. Mehr über die aktuellen Impfempfehlungen in Deutschland finden Sie in PZ 38, Seite 90.

Neue Viren entstehen in Schweinen

Influenza-A-Viren, die Erreger der Grippe, verändern mit rasender Geschwindigkeit ihre Oberflächenantigene. Dadurch entstehen immer wieder neue Virustypen. Aus diesem Grund müssen jedes Jahr neue Impfcocktails gemischt werden, die verschiedene Virusstämme enthalten. Wie kommt der Antigen-Shift zustande? Es gibt zwei Reservoire für Influenza-A-Viren: den Menschen und Wasservögel. Mischinfektionen mit menschlichen und tierischen Viren kommen bei Schweinen vor. Bestimmte Praktiken in der Landwirtschaft begünstigen diesen Prozess. In Asien halten die Menschen zum Beispiel Enten und Schweine auf den gleichen Feldern. Infizieren zwei unterschiedliche Viren nun eine Zelle, so ist dem Austausch genetischen Materials Tür und Tor geöffnet. Dadurch können neuartige Grippeviren entstehen, so die Theorie vieler Forscher. Top

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