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Die Krux mit den Eiern

31.10.2005  00:00 Uhr
Vogelgrippe-Impfstoff

Die Krux mit den Eiern

von Christina Hohmann, Eschborn

Für den Fall einer Grippe-Pandemie suchen Wissenschaftler weltweit nach einem Impfstoff gegen den Erreger der Vogelgrippe H5N1. Prototypen existieren schon, doch die momentanen Produktionskapazitäten für Influenza-Vakzine mit den veralteten Herstellungsverfahren reichen nicht aus, um große Teile der Weltbevölkerung rechtzeitig schützen zu können.

Noch ist der Erreger der Vogelgrippe, das Influenza-A-Virus H5N1, nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Doch dies könnte sich früher oder später ändern, vermuten Forscher (lesen Sie dazu auch hier). Dann steht eine neue Grippe-Pandemie bevor. Für diesen Notfall reiche die bisherige Produktionskapazität für Influenza-Impfstoffe nicht aus, und die Herstellung würde Monate dauern, befürchten Experten. Die existierenden Kapazitäten könnten den weltweiten Bedarf im Notfall bei weitem nicht decken, schreibt zum Beispiel die National Academy of Sciences in ihrem Bericht »The Threat of Pandemic Influenza: Are We Ready?«.

Ein Grund hierfür sind die veralteten Herstellungsverfahren für Vakzine, die fast 50 Jahre alt sind, und bei dem die Erreger in befruchteten Hühnereiern herangezogen werden. Hierfür wird das Saatvirus etwa zehn Tage nach der Befruchtung in das Ei injiziert. Der Erreger infiziert den Embryo und vermehrt sich darin. Nach einigen Tagen Inkubationszeit werden die Eier maschinell geöffnet und die Viren isoliert, gereinigt und chemisch inaktiviert. Aus ein bis zwei Eiern lässt sich eine Impfdosis gewinnen. Im Fall einer Pandemie wird daher eine immense Anzahl an Eiern benötigt. Ein viel schwerwiegenderes Problem bei der Herstellung von Impfstoffen gegen H5N1 ist allerdings, dass der Erreger so pathogen ist, dass er den Hühnerembryo tötet, noch bevor geeignete Mengen Virus entstanden sind.

Jetzt schon mit der Produktion von Impfstoff zu beginnen, hat keinen Sinn. Das Virus verändert sich, wie alle Influenza-A-Viren, so rasch, dass eine heute produzierte Vakzine nicht vor einem möglichen Pandemie-Virus im nächsten Jahr schützen würde. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und lokale Gesundheitsbehörden haben den Vogelgrippe-Erreger H5N1 unter strenger Kontrolle. Sobald er die Fähigkeit erlangen sollte, von Mensch zu Mensch überzuspringen, und somit eine Pandemie auslösen könnte, werden die Experten das entsprechende Virus isolieren und die Herstellung eines Impfstoffs veranlassen. Dabei werden vom ersten Auftreten des Pandemie-Virus, über das Isolieren des Erregers bis zum Herstellen der ersten Impfdose vermutlich etwa drei Monate vergehen. Die Produktion der Vakzine für die gesamte deutsche Bevölkerung wird weitere sechs bis acht Wochen dauern.

Weltweite Forschung

Da noch nicht bekannt ist, wie der Pandemie-Erreger aussehen wird, arbeiten verschiedene Unternehmen weltweit an der Entwicklung eines Prototypen. Die Bundesregierung unterstützt die Impfstoffforschung mit 20 Millionen Euro.

Ein erster Impfstoff ist bereits erfolgreich an Menschen getestet worden. Der von Sanofi Pasteur im Auftrag der US-Regierung hergestellte Impfstoff enthält als Saatvirus ein gentechnisch verändertes H5N1-Virus. Da der Erreger stark pathogen für die Hühnerembryonen ist, wandte die Arbeitsgruppe um Dr. Robert Webster vom St. Jude's Children's Research Hospital in Memphis, Tennessee, einen speziellen Trick an, um die Virusausbeute zu verbessern. Die Forscher veränderten das Hämagglutinin-Gen (HA-Gen) von H5N1 so, dass der Errerger weniger pathogen ist. Dieses veränderte HA-Gen sowie das Neuraminidase-Gen (NA-Gen) von H5N1 mischten die Forscher mit sechs Genen eines harmlosen menschlichen Grippe-Virus des Subtyps H1N1. Zusammen wurden die Genomfragmente in tierische Zellen eingefügt, die dann veränderte, harmlose Viren herstellten. Diese verwendeten die Wissenschaftler dann als Saatviren für die Anzucht in Hühnereiern.

Im April dieses Jahres standen die ersten Dosen der neuen Vakzine bereit, und die klinischen Untersuchungen konnten beginnen. Mediziner injizierten den Impfstoff insgesamt 452 Freiwilligen zweimal im Abstand von vier Wochen. Dabei verwendeten sie vier verschiedene Dosen: 7,5, 15, 45 und 90 µg Antigen. Eine erste Auswertung von 113 Teilnehmern zeigte, dass die Vakzine eine starke Immunantwort auslöst. »Wir haben eine Vakzine«, sagte Dr. Anthony Fauci, Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases in einem Bericht der »New York Times« Anfang August. Doch die Freude ist getrübt, denn auch bei diesem Impfstoff wird das Antigen in Hühnereiern produziert und ist somit nur in unzureichenden Mengen lieferbar. Außerdem haben die Untersuchungen gezeigt, dass für eine starke Immunantwort höhere Dosen nötig waren als bei der herkömmlichen Grippeimpfung, nämlich 90 statt 15 µg Antigen.

Bei dieser Dosis ließe sich mit der existierenden Produktionskapazität innerhalb von sechs Monaten für lediglich 75 Millionen Menschen weltweit Impfstoff herstellen, rechnet die Fachzeitschrift »New Scientist« in einem Bericht vom 14. Oktober vor. Eine Lösung für dieses Problem ist, die Antigendosis in der Vakzine zu strecken und zwar so weit, dass sie trotzdem noch eine ausreichende Immunantwort auslöst. Eine Möglichkeit hierfür ist, eine immunstimulierende Substanz, ein so genanntes Adjuvanz, in die Vakzine mit einzuarbeiten. An solchen Impfstoffen arbeiten derzeit viele Herstellerfirmen weltweit. So auch die Sächsischen Serumwerke in Dresden, die zu GlaxoSmithKline gehören. Forscher des Unternehmens entwickelten einen Impfstoff, der mithilfe eines Adjuvanz bereits bei zwei Impfdosen von jeweils 1,9 µg Antigen eine volle Immunantwort hervorruft. Von dieser »Antigen-sparenden« Variante ließen sich viermal mehr Impfdosen herstellen, als von der hoch dosierten Version. Auch Sanofi Pasteur hat nun erste klinische Untersuchungen mit einer niedrig dosierten Vakzine begonnen. Die Ergebnisse könnten dem Unternehmen zufolge bereits im Dezember vorliegen.

Neue Verfahren benötigt

Doch moderne, schnellere Methoden als die Aufzucht in Eiern sind nötig, um im Fall einer Pandemie den enormen Impfstoffbedarf zu decken. Eine Möglichkeit, an der verschiedene Unternehmen schon eine Zeit lang arbeiten, ist, das Virus in Zellkultur zu züchten. Hierfür injizieren Forscher das Virus in Zellen tierischen Ursprungs und vermehren diese. Später zerstören sie die Zellen und trennen durch Zentrifugation die Zelltrümmer von den Viren ab. Die so gewonnenen Erreger werden gereinigt und chemisch inaktiviert.

Anstatt das Saatvirus zu isolieren und für die Anzucht zu verwenden, könnte man auch ausschließlich die beiden wichtigen Oberflächenproteine Hämagglutinin und Neuraminidase des Pandemie-Stammes identifizieren, diese in einen tauglichen Virus einbauen und den Erreger in Zellkultur vermehren, schlägt Professor Dr. Andrew Pekosz von der Washington University School of Medicine in St. Louis vor. Diese Mischung aus »Reversed Genetics« und Zellkultur werde schon in vielen Laboratorien angewendet, der Prozess müsse allerdings stark ausgeweitet werden, um große Vakzinemengen herstellen zu können. Eine baldige Zulassung von auf diese Weise produzierter Vakzine ist daher nicht zu erwarten.

Vielleicht sollte aber neben den Herstellungsmethoden auch das Antigen der Vakzine geändert werden. Alle bisherigen Impfstoffe rufen Immunantworten gegen die Oberflächenproteine HA und NA hervor. Doch diese verändern sich bei Influenza-A-Viren so rasch, dass Herstellerfirmen jedes Jahr neue Grippeimpfstoffe entwickeln müssen. Sinnvoller wäre es, ein stabileres Ziel zu wählen. So hat sich zum Beispiel das M2-Protein, ein Oberflächenprotein von Influenza-Viren im letzten Jahrhundert nicht verändert. Eine Vakzine, die eine Immunantwort gegen dieses stabile Protein hervorruft, müsste nicht jedes Jahr neu entwickelt werden und würde außerdem gegen Influenza-Viren der Typen A und B schützen. An einer solchen »Universal-Vakzine« arbeiten verschiedene Forschergruppen mit unterschiedlichen Ansätzen. Pekosz und seine Kollegen haben einen Impfstoff entwickelt, der so genannte M2-Proteinkerne enthält, Verbände von etwa 240 M2-Molekülen. Wie effektiv diese Vakzine eine Immunantwort auslöst, untersuchen die Forscher derzeit in Tests an Mäusen. In klinischen Studien ist dieser Ansatz noch nicht. Bis zur Zulassung einer Universal-Vakzine könnten noch bis zu zehn Jahre vergehen.

Ein wenig schneller dagegen lassen sich Methoden wie »Reversed Gentics« und Viruszucht in Zellkultur etablieren. Wenn die Pandemie noch mehrere Jahre auf sich warten lässt, könnten diese modernen Verfahren so weit vorangebracht werden, dass der weltweite Impfstoffbedarf im Ernstfall auch gedeckt werden könnte. Bei einer Pandemie in der nächsten Zeit wäre man allein auf Bruteier angewiesen.

 

Begrenzte Ressourcen Derzeit befinden sich laut WHO-Angaben 90 Prozent der Produktionskapazität für Influenza-Impfstoffe in West-Europa und in den USA, und damit in einer Region, in der nur 10 Prozent der Weltbevölkerung leben. Die momentane Kapazität läge bei 300 Millionen Impfdosen pro Jahr. Experten befürchten, dass sich im Fall einer Pandemie vakzineherstellende Staaten entschließen könnten, erst die eigene Bevölkerung impfen zu lassen, bevor der Impfstoff ausgeführt werden darf. Dies könnte zu nicht unerheblichen politischen Konflikten führen.

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