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Medizin

25.10.1999  00:00 Uhr

- Medizin Govi-Verlag

Neues aus der Wissenschaft

von Gertrude Mevissen, Daniel Rücker und Ulrike Wagner

Der Killer und sein Lotse

Wissenschaftler aus Österreich und den USA haben ein Peptid konstruiert, das selektiv tumorversorgende Gefäßzellen ausschaltet.

Tumorzellen verbrauchen mehr Energie als die meisten anderen Körperzellen, weil sie sich schneller teilen. Ihre Versorgungsleitungen bauen sich die Tumoren selbst, indem sie Blutgefäße zum Wachstum, zur Angiogenese, anregen. Das zusammengesetzte Peptid mit dem eingängigen Namen CNGRC-GG-D (KLAKLAK)2 verhindert dies.

Das Peptid besteht aus zwei funktionellen Einheiten, einem Lotsen und einem Killer. Als Lotse fungiert die Aminosäuresequenz CNGRC. Sie bindet spezifisch an angiogenetisch aktive Gefäßendothelzellen und schleust den Killer, das antibiotisch wirksame Peptid KLAKLAK, in die Endothelzelle.

KLAKLAK greift Membranen von Bakterien sowie eukaryotischer Mitochondrien an und treibt so das Bakterium oder die Zelle in den Selbstmord, die Apoptose. Da eukaryotische Zellmembranen weitgehend verschont werden, richtet das Peptid im menschlichen Körper nur Schaden an, wenn es in die Zelle gelangt.

Eindringen kann das Killerpeptid aber nur in Endothelzellen neu entstandener Gefäße, da das Lotsenpeptid CNGRC spezifisch, an diese Zellen bindet und KLAKKLAK in die Zelle einschleust. Für den Weg in andere Körperzellen fehlt KLAKLAK der Schlüssel.

Michael Ellerbry und seine Kollegen aus Kalifornien und Wien erwarten von ihrem künstlichen Protein, dass es selektiv diejenigen Zellen in den Selbstmord treibt, die Tumoren mit Blut versorgen. Untersuchungen an Zellkulturen bestätigten, dass andere Zellen erst bei einer hundertfach höheren KLAKLAK-Konzentration geschädigt werden.

In Tierversuchen hat sich CNGRC-GG-D (KLAKLAK)2 ebenfalls als wirksam erwiesen. Mäuse, die ein menschliches Mammakarzinom ausbildeten, lebten nach der Behandlung mit CNGRC-GG-D (KLAKLAK)2 deutlich länger als Tiere, die nicht mit dem Peptid behandelt wurden. Außerdem schrumpfte die Tumorgröße und auch die Größe von Lungenmetastasen. Toxische Effekte stellten Ellerbry und seine Kollegen auch nach dreimonatiger Behandlung nicht fest.

Die Wissenschaftler bezeichnen die Ergebnisse als vielversprechend und sehen in der Kombination von proapoptotischen Peptiden und Lotsenpeptiden einen aussichtsreichen Weg für die Krebstherapie.

Quelle: Ellerby, H.M. et al, Nature Medicine, September 1999, 1032 - 1037.

 

Estrogene senken Blutdruck

Wie Wissenschaftler der Universität Barcelona entdeckten, interagieren Estrogene mit speziellen Kaliumkanälen an Endothelzellen und reduzieren so den Gefäßtonus. Dieser Mechanismus trägt zur gefäßprotektiven Wirkung von Estrogenen bei. Bis zum Eintritt der Menopause schützen Estrogene Frauen vor kardiovaskulären Krankheiten. Auf Grund ihrer lipophilen Eigenschaften können Estrogene problemlos als Hormon-Rezeptor-Komplex in den Zellkern eindringen und dort die Genexpression bestimmter Gefäß-protektiver Proteine aktivieren - als Langzeitschutz vor Arteriosklerose.

Doch der genomische Signalweg ist nicht der einzige Mechanismus, durch den Estrogene das kardiovaskuläre System entlasten. M. Valverde und seine Kollegen entdeckten, dass Estrogene über Maxi-Kalium-Kanäle auch einen direkten Effekt auf den Gefäßtonus ausüben. Maxi-K+-Kanäle unterscheiden sich von bisher bekannten Kalium-Kanälen in ihrer größeren K+-Leitfähigkeit und zusätzlicher Aktivierbarkeit durch intrazellulär angestiegenes Ca2+.

Alle Maxi-Kalium-Kanäle bestehen aus vier Kanal-formenden a -Untereinheiten. In der glatten Muskulatur von Gefäßendothelien jedoch, und das im Unterschied zur quergestreiften Skelettmuskulatur, gibt es vier zusätzliche b-Untereinheiten, die, so die Studie, maßgeblich an der Estrogen-modulierten Regulation der Gefäßweite beteiligt sind. Die Bindung des Estrogens an b-Untereinheiten endothelialer Maxi-Kalium+-Kanäle führt zum vermehrten K+-Ausstrom und damit über Repolarisierung des Membranpotentials zur rapiden Relaxation der Blutgefäße.

Die Wissenschaftler erwarten, dass diese Erkenntnisse helfen, gewebsspezifisch wirkende, estrogenartige Medikamente zu entwickeln, die zwar die positiven Effekte von Estrogenen auf das Vaskulärsystem entfalten, aber keine proliferativen Auswirkungen auf Brust oder Gebärmutterschleimhaut haben.

Quelle: Valverde, M. A., et al., Science, Vol 285, 17. September 1999, 1929 - 1931.

 

Flaschen und Tassen als Notbehelf-Spacer

Es muß nicht immer High-Tech sein. Plastikflaschen sind als Inhalator nicht schlechter als Dosieraerosole mit Spacer. Dosieraerosole mit aufgestecktem Spacer sind in Industrienationen zur Behandlung des akuten Asthmas weit verbreitet. Neben der Inhalationstechnik des Patienten sind Form, Volumen und Material des Spacers entscheidend für den Erfolg der Bronchodilation mit b2-Agonisten.

Asthmatiker in Entwicklungsländern hingegen verwenden auch Plastikflaschen und -tassen als Spacer, da entsprechende Industrieprodukte meist zu teuer oder erst gar nicht erhältlich sind.

Obwohl kontrollierte Wirksamkeitsstudien bislang noch ausstanden, wurde der Gebrauch dieser Notbehelf-Spacer in Entwicklungsländern in der Akuttherapie asthmatischer Kinder von der Weltgesundheitsorganisation(WHO) und der Globalen Initiative für Asthma Richtlinien gutgeheißen und offiziell anerkannt.

In einer kürzlich von Heather Zar und Kollegen veröffentlichten Studie aus Südafrika, an der Kinder mit akutem Asthma teilnahmen, wurde nun der noch ausstehende Nachweis erbracht. Wie entsprechende Lungenfunktionstests nach Inhalation eines b2-Agonisten zeigten, kann zumindest mit abgedichteten 0,5l Plastikflaschen eine vergleichbare Bronchodilatation erzielt werden wie mit industriell hergestellten Spacern. Unversiegelte Flaschen hingegen führten nur zu einer mittleren Verbesserung der Lungenfunktion. Plastiktassen hätten keinen nennenswerten Effekt, schreiben die Autoren.

Quelle: Zar, H. J., et al., Lancet, Vol. 354, 979 - 982, 1999.

 

Urotensin II ist stärkster Vasokonstriktor

Eine britisch-amerikanische Forschergruppe hat den stärksten Vasokonstriktor entdeckt. Das Peptid Urotensin II ist um ein vielfaches potenter als Endothelin I. Das somatostatinähnliche Peptid bindet hochselektiv an einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor, der vor allem im Herzgewebe und in Blutgefäßen vorkommt. Robert Ames und seine Kollegen testeten Urotensin II an isolierten Affenarterien und registrierten eine im Vergleich zu Endothelin I um 6- bis 28-fach stärkere vasokonstriktive Wirkung.

Im Tierversuch offenbarte die Substanz einen überraschenden Effekt. Im Gegensatz zu anderen Vasokonstriktoren wirkt sie nicht hypertonisch. 300 pmol/kg Urotensin II verdreifachen zwar den peripheren Gefäßwiderstand des Versuchstieres; die Dosis erhöht aber nicht den systemischen Blutdruck. Die Substanz verursacht nämlich gleichzeitig eine dramatische kontraktile Dysfunktion am Herzmuskel. Das Herzschlagvolumen nimmt um 80 Prozent ab und die Herzschlagfrequenz sinkt leicht.

Ames und seine Kollegen spekulieren nun, dass Urotensin II als hochpotenter Vasokonstriktor eine Rolle bei Herz- und Gefäßkrankheiten spielen könnte. Da die Substanz auch im Rückenmark und in der Schilddrüse nachgewiesen werden konnte, habe sie möglicherweise auch Einfluss auf zentralnervöse und endokrine Prozesse.

Quelle: Ames, R. S., et al., Nature, Vol. 401, 16. September 1999, 282 - 286.

 

Ein Gen macht früh müde

Was wir als Kinder gehasst haben, bleibt uns bis ins hohe Alter nicht erspart. Unsere Eltern bestimmen, wann wir zu Bett gehen. Sie ermahnen uns zwar nicht mehr, dass längst Schlafenszeit ist, die an uns vererbten Gene bergen jedoch klare Anweisungen, wann wir schlafen müssen.

Zum ersten Mal haben Wissenschaftler nachgewiesen, dass eine Verschiebung des Schlaf-wach-Rhythmus beim Menschen vererbt wird. Bisher waren genetisch bedingte Veränderungen der circadianen Rhythmik ausschließlich bei Tieren beschrieben worden.

Christopher R. Jones vom Zentrum für Schlafstörungen der Universität von Utah in Salt Lake City, USA, und seine Mitarbeiter haben drei Großfamilien untersucht. Sie wiesen nach, dass bei ihnen das "Advanced sleep-phase syndrome" (ASPS) autosomal dominant vererbt wird. Patienten mit ASPS werden bereits am späten Nachmittag müde und wachen mitten in der Nacht auf. Die amerikanischen Wissenschaftler beobachteten im Schlaflabor, dass der gesamte Schlaf-wach-Rhythmus der Betroffenen um vier Stunden vorverlegt ist. Auch die innere Uhr der Patienten – bestimmt durch Messung der Körpertemperatur und der Melatoninausschüttung – ging drei bis vier Stunden vor. Außerdem scheint sie anders programmiert.

Hinweise darauf erhielten die Forscher, als sie eine Patientin mit familiärem ASPS 18 Tage lang in einem Laborappartment ohne jegliche Hinweise auf die aktuelle Tageszeit beobachteten. Ihre innere Uhr war nicht, wie die der meisten Menschen auf 24 bis 24,5 Stunden programmiert, sondern auf nur 23,3. Welches Gen bei den Patienten mit familärem ASP-Syndrom defekt ist, müssen die Wissenschaftler noch herausfinden.

Quelle: Jones, C., R., et al., Familial advanced sleep-phase syndrome: A short-period circadian rhythm variant in humans. 1999, Nature Medicine, Vol. 5, 1062 - 1065.

 

Placebo ist billiger

Das weltweit einzig spezifische Mittel gegen Skorpiongift ist das entsprechende Antiserum. Dessen einziger Nachteil: Es wirkt nicht.

Das ist das Ergebnis einer placebokontrollierten Studie mit 825 Patienten, in der Fekri Abroug von der Intensivmedizinischen Abteilung einer Klinik in Monastir, Tunesien, und seine Mitarbeiter das Antiserum gegen Skorpiongift getestet haben. Das Serum förderte in der prospektiven, randomisierten, doppelblinden Studie im Vergleich zu Placebo weder die Heilung, noch verhinderte es die systemische Manifestation. Es beeinflusste genauso wenig die Sterblichkeit. Variationen in der Zeitspanne zwischen Skorpionstich und Behandlung mit dem Antiserum hatten ebenfalls keinen Effekt auf dessen Wirksamkeit. Patienten mit lokal begrenzten Symptomen sollten daher nach einem Skorpionstich nicht mehr routinemäßig mit Antiserum behandelt werden, schreiben die Wissenschaftler. Zumal die jährlichen Kosten der Behandlung allein in Tunesien etwa 800 000 US Dollar betragen.

In dem nordafrikanischen Land werden jährlich fast 40 000 Menschen von Skorpionen gestochen. Bei 97 Prozent der Patienten verläuft die Vergiftung nicht lebensbedrohlich, sie entwickeln lediglich lokale Reaktionen. Die gefährlichen systemischen Manifestationen sind selten. Erste Anzeichen sind Fieber, Schwitzen, Bluthochdruck und Erbrechen. 100 Patienten pro Jahr sterben in Tunesien nach einem Skorpionstich an Lungenödem und kardiogenem Schock. Ursache für die systemischen Wirkungen des Giftes sind wahrscheinlich körpereigene Botenstoffe wie Zytokine und Catecholamine, die innerhalb von Minuten nach dem Stich freigesetzt werden. Danach hilft es den Patienten nicht, wenn Antikörper das Skorpionsgift aus dem Blut wegfangen, vermuten die Wissenschaftler. Allerdings warnen sie davor, das Ergebnis dieser Studie direkt auf Patienten mit schweren Vergiftungserscheinungen zu übertragen. Die Zahl der Patienten, die an der Studie teilgenommen hatten, sei dafür zu gering.

Quelle: Abroug, F., et al. Serotherapy in scorpion envenomation: a randomised controlled trial. Lancet, 1999, Vol. 354, 906 - 909.

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