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Stiefkind Prävention

01.10.2001  00:00 Uhr
KREBS

Stiefkind Prävention

von Ulrike Wagner, Heidelberg

Gesunde Ernährung, Verzicht auf Rauchen oder ausreichender Sonnenschutz - gegen viele Tumorarten ist Prävention möglich. Als so genannte Sekundärprävention gehören dazu auch Früherkennungsuntersuchungen. Das machten Experten während einer Pressekonferenz am 26. September anlässlich der Onkologietage des Heidelberg/Mannheimer Tumorzentrums deutlich. Die wenigsten Menschen sind sich dessen jedoch bewusst. Und auch bei den Krankenkassen scheint der Schwerpunkt eher auf Behandlung als auf Prävention zu liegen.

Die Diagnose Krebs versetzt die meisten Menschen in Angst und Schrecken. Sie empfinden die Erkrankung als permanente Bedrohung. Bereits im Vorfeld scheuen viele daher wichtige Früherkennungsuntersuchungen. Besonders beim Prostatakrebs ist die Angst oft unbegründet. Denn viele Tumoren lassen sich mit den geeigneten Therapien ein Leben lang in Schach halten, vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig entdeckt, erklärte Professor Dr. Peter Alken von der Urologischen Universitätsklinik in Mannheim.

"50 Prozent der 80-jährigen Männer haben latente Prostatakarzinome", sagte Alken. Ein solcher "Haustierkrebs" müsse meist nicht einmal behandelt werden. Im Gegensatz dazu erfordere allerdings ein aggressiver Prostatatumor bei einem 60-Jährigen - ein "Raubtierkrebs" - eine Therapie. Deren Ziele sollten Heilung und eine gute Lebensqualität sein. "Dadurch kann man den Raubtier- in einen Haustierkrebs verwandeln."

Der Urologe versucht Männern, auch die Angst vor der Behandlung zu nehmen. Inzwischen könnten die Ärzte auch bei Radikaloperationen Kontinenz und Potenz erhalten. Und auch die Strahlentherapie könne heute sehr gezielt eingesetzt werden, mit geringen Nebenwirkungen.

PSA-Test in der Apotheke

Die rektale Untersuchung beim Urologen könne man eigentlich nicht als Maßnahme zur Früherkennung bezeichnen. Hierbei handele es sich eher um eine Spätvorsorge, sagte Alken. Denn bei der Hälfte der Männer sind bereits andere Organe befallen, wenn ein Prostatakarzinom vom Arzt ertastet wird. Die einzige echte Früherkennungsuntersuchung sei die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA-Test), den die Kassen jedoch immer noch nicht erstatten. Laut Alken unverständlich, entstehen doch 70 Prozent der Verordnungskosten niedergelassener Urologen durch die Hormontherapie bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom. Die Urologen wünschen sich, dass der PSA-Test in Zukunft über Apotheken vertrieben wird, damit die Männer ihn anwenden können wie Frauen einen Schwangerschaftstest. Wem wird der Test empfohlen? Alken: "Angeboten wird der Test für Männer ab 45 Jahre, ab 55 Jahre zu testen, würde aber wahrscheinlich ausreichen. "

Sonne als Risikofaktor

Bei den Hauttumoren führen Basaliome und Plattenepithelkarzinome das Feld an. Die durch Sonnenbestrahlung entstehenden Tumoren sind zwar mit 40.000 Neuerkrankungen pro Jahr relativ häufig, meist aber nicht lebensbedrohlich. Sie bilden selten Metastasen und der Primärtumor wird erst dann gefährlich, wenn er außerordentlich lange nicht entfernt wird, erklärte Professor Dr. Dirk Schadendorf von der Klinik für Dermatologie der Universität Mannheim. Die beiden Formen des Hautkrebses treten erst spät auf, das mittlere Erkrankungsalter liegt deutlich über 70 Jahre.

Melanome sind wesentlich seltener, aber viel gefährlicher. 8000 Menschen erkranken jedes Jahr neu am schwarzen Hautkrebs, 2000 sterben. Die Tumoren der Pigmentzellen treten früh im Leben auf, die Patienten sind im Durchschnitt 50 Jahre alt, wenn ein Melanom entdeckt wird. Immer wieder erkranken jedoch auch sehr junge Erwachsene.

Die meisten Risikofaktoren für das Melanom sind noch nicht bekannt. Übermäßige Sonnenbestrahlung spielt auch hier eine Rolle, vor allem frühkindliche blasige Sonnenbrände. Einiges spricht auch für eine genetische Prädisposition.

Melanome neigen zur Metastasenbildung, bei 20 bis 25 Prozent der Patienten kommt die Diagnose zu spät. Sind erst einmal Tochtergeschwulste vorhanden, so steht derzeit keine Therapie zur Verfügung, sage Schadendorf und betonte, wie wichtig die Prävention ist. Allerdings bezahlen die Krankenkassen auch hier keine regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen durch den Hautarzt. Ausnahmen bilden Modellversuche zum Beispiel in Schleswig-Holstein und in Bayern, wo einige Krankenkassen das Screening übernehmen.

Immuntherapie bei Melanomen

Angesichts mangelnder Behandlungsmöglichkeiten wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene experimentelle Therapien erprobt, berichtete Schadendorf. Teilweise mit beachtlichen Erfolgen. So konnten Wissenschaftler zum Beispiel zeigen, dass Melanompatienten auf so genannte Krebsimpfungen ansprechen. Derzeit läuft eine deutschland-weite Studie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Krebshilfe, in die 240 Melanompatienten ohne vorherige Behandlung aufgenommen werden sollen. Dabei werden den Patienten Monozyten - bestimmte Immunzellen - aus dem Blut entnommen. Die Zellen werden mit Wachstumsfaktoren behandelt und mit einem Cocktail aus synthetisch hergestellten Tumorantigenen beladen. Zurück in den Patienten injiziert sollen diese Zellen eine Allergie-ähnliche Immunantwort gegen den Tumor induzieren.

Eine Impfung gegen Krebs ist auch bei anderen Krebsarten zurzeit "in", auch wenn zum Beispiel beim Mammakarzinom noch gar nicht klar ist, ob diese Therapieform den Patientinnen überhaupt hilft, sagte Dr. Andreas Schneeweiß von der Onkologischen Ambulanz der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg. Die Ergebnisse klinischer Studien seien oft erschreckend.

Auch Heidelberger Institute seien an einer Vakzinierungsstudie beteiligt gewesen. "Die Patientinnen zeigen wunderbare Immunantworten, aber keinen klinischen Effekt", sagte Schneeweiß. Erste Ergebnisse zu dieser Therapieform bei Patientinnen mit Metastasen erwarten die Wissenschaftler für nächstes Jahr. Dann werden die Resultate der ersten geblindeten Studie veröffentlicht, an der mehr als 900 Brustkrebs-Patientinnen teilgenommen haben.

Hochdosistherapie zu Unrecht "out"

Im Gegensatz zur Immuntherapie ist die Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom vollkommen out. Zu Unrecht, meinte Schneeweiß. Sicher, die Therapie sei zuvor - vor allem nach Veröffentlichung zum Teil gefälschter Ergebnisse - maßlos überschätzt worden. Dass sie nun vollständig in Misskredit geraten ist, sei genauso übertrieben. Verschiedene Studien hätten inzwischen gezeigt, dass junge Patientinnen mit einem hohen Rezidivrisiko wahrscheinlich von einer Hochdosischemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation profitieren.

Besonders stark von Risikofaktoren abhängig sind Kehlkopf-, Rachen- und Mundhöhlenkarzinome. Diese Plattenepithelkarzinome sind hoch aggressiv: Durchschnittlich stirbt mehr als die Hälfte der Patienten innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose. Risikofaktor Nummer eins ist Rauchen, nur vier Prozent der Betroffenen haben nie geraucht. Die Kombination mit Alkohol trägt ebenfalls zur Entstehung der Karzinome bei. "Wir haben es hier mit einer speziellen sozialen Gruppe zu tun, die Patienten sind oft mangelernährt", erklärte Privatdozent Dr. Andreas Dietz von der Sektion Onkologie der Universitäts-HNO-Klinik in Heidelberg die Schwierigkeiten bei der Therapie dieser Patienten. Typischerweise tritt das Karzinom zwischen 50 und 70 Jahre auf, bei 10 Personen von 100.000, Tendenz steigend. Der bislang geringe Frauenanteil unter den Patienten von 10:1 steige ebenfalls, sagte Dietz.

Bei der Therapie steht der Organerhalt im Mittelpunkt. Mit sehr präzisen Lasern könne man dieses Ziel immer häufiger erreichen. Per simultaner Radio- und Chemotherapie sei auch bei Tumoren, die nicht entfernt werden können, bei der Hälfte der Patienten inzwischen ein Erhalt des Kehlkopfes möglich.

Bessere Operationsmethoden

Im Gegensatz zu vielen anderen Tumorarten ist Prävention bei Hirntumoren unmöglich. Zwar machen Hirntumore nur etwa 5 Prozent aller Krebserkrankungen aus. Bei den bis zu 40-jährigen Männern sind sie jedoch die dritthäufigste Todesursache durch Krebs, bei Frauen in diesem Alter die vierthäufigste.

Bei der Behandlung der aggressiven Geschwulste haben Mediziner große Fortschritte gemacht. Starb in den 70er Jahren noch etwa jeder vierte Patient an den Folgen der Behandlung, so ist die Mortalität bis heute auf unter 1 Prozent gesunken, erklärte Dr. Hans-Herbert Steiner von der Ambulanz der Neurochirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg. Dazu haben vor allem Computer-assistierte Operationsverfahren beigetragen, erklärte er. Die als Neuronavigation bezeichneten, in Heidelberg entwickelten Methoden stützen sich auf Bilddaten, die vor der Operation erhoben wurden. Über digitale Datenverarbeitung werden sie mit den Befunden während der Operation korreliert. Dadurch lässt sich der Tumor genau lokalisieren und Zugangswege können optimiert werden. Der Abgleich mit funktionellen Daten erhöht die Sicherheit der Patienten zusätzlich.

Von Heilung könne man aber bei vielen malignen Hirntumoren noch immer nicht sprechen. Schwerpunkte der Forschung lägen heute auf adjuvanten Therapieformen. Experimentelle Ansätze würden vor allem mit Immun- und Stammzelltransplantaten verfolgt. "Um die Gentherapie ist es leise geworden", sagte Dietz. Die Wissenschaftler seien vor allem an geeigneten Genfähren gescheitert, die das Erbmaterial in die Zellen des Gehirns bringen sollen.

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