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Karies als Auslaufmodell

05.09.2005  00:00 Uhr
Zahngesundheit

Karies als Auslaufmodell

von Conny Becker, Berlin

Karies hat bei deutschen Kindern zunehmend schlechte Chancen. Wie die „epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2004“ zeigen, geht die Zahl der kariösen Zähne stetig zurück. Ein Problem sehen Experten jedoch im so genannten Nuckelflaschenkaries, der sich bei Schulanfängern bemerkbar macht.

Während Deutschland in den 80er-Jahren bei der Mundgesundheit noch hinterher hinkte, können sich die Zähne deutscher Kinder und Jugendlicher nun in Europa sehen lassen. Geholfen hat hier offensichtlich, dass 1989 die Verbesserung der Zahngesundheit gesetzlich verankert wurde. So gibt es seitdem neben der Individualprophylaxe beim Zahnarzt für Jugendliche auch die Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen für Kinder bis zwölf Jahre. Ist das Kariesrisiko der Schüler überdurchschnittlich hoch, untersuchen die Jugendzahnärzte seit 2000 auch Jugendliche bis 16 Jahre in den entsprechenden Schulen oder Behinderteneinrichtungen.

Um die Erfolge der Maßnahmen zu überprüfen, finden seit 1994 oralepidemiologische Begleituntersuchungen statt, für die repräsentative Stichproben von Sechs- bis Sieben-, Neun- und Zwölfjährigen herangezogen werden. In den Studien der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ), die bislang alle drei, jetzt vier Jahre stattfinden, halten die Zahnärzte die Zahl versiegelter Zähne, das Vorhandensein bakterieller Zahnbeläge sowie die Kariesindizes dmf-t (bei Milchzähnen) und DMF-T (bei bleibenden Zähnen) fest. Der Wert beschreibt die Anzahl kariöser beziehungsweise auf Grund von Karies gefüllter oder fehlender Zähne. Das heißt bei einem erkrankten Zahn ist der DMF-T gleich 1.

Besser als die WHO verlangt

Das Ergebnis der vierten DAJ-Studie, an der sich erstmals alle 16 Bundesländer beteiligten, zeigt, dass es mit der Mundgesundheit bei Kindern kontinuierlich nach oben geht. Besonders erfreulich sind die Karieswerte bei den Zwölfjährigen: Der durchschnittliche DMF-T nahm in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent von 2,44 auf 0,98 ab und liegt damit bereits in der Hälfte der Bundesländer unter dem von der WHO für 2020 geforderten Wert von 1,0. „Mehr als die Hälfte dieser Altersgruppe ist kariesfrei“, resümierte Professor Dr. Klaus Pieper vom medizinischen Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Marburg bei der Vorstellung der Studie in Berlin. In Europa liegen die Deutschen in dieser Altersgruppe mit den Niederlanden, Großbritannien und Dänemark an der Spitze.

 

Über Nuckelflaschenkaries aufklären Wenn Kinder täglich gesüßte Tees oder natursüße, säurehaltige Säfte aus der Flasche nuckeln, kann vor allem an den oberen Frontzähnen schnell Karies entstehen. Denn die Bakterien im Zahnbelag (Plaque) bilden aus den Zuckern Säuren, die den Zahnschmelz entkalken. Zucker sollte somit nur selten auf die Kinderzähne gelangen. Die anfänglich noch reversiblen Entkalkungen können mit Hilfe fluoridhaltiger Zahnpasten remineralisiert werden.

Diese Zusammenhänge sind allerdings vielen Eltern nicht bewusst, wie die Studie „Mundgesundheitsaufklärung beim Zahnarzt“ im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) ergab. Bei der Befragung von 14.000 Müttern stellte sich heraus, dass viele Eltern ihre Kinder auch nachts weiternuckeln lassen, wodurch sich das Kariesrisiko um das 11fache erhöht. Für den Kariesanstieg machen Experten auch die leichten Kunststoff-Saugflaschen verantwortlich, die von Kindern selbst gehalten werden können. Denn Nuckelflaschenkaries wurde erst seit der Einführung von Plastikflaschen zu einem Massenphänomen. Vermehrt Karies wiesen zudem Kleinkinder mit mehreren Geschwistern sowie aus sozial schwachen und Migrantenfamilien auf, was auch die DAJ-Studie ergeben hatte. Laut MDS haben Regionalstudien in Hannover und Erfurt eine Prävalenz von 14 Prozent bei Drei- bis Fünf- beziehungsweise 17 Prozent bei Zweieinhalbjährigen ermittelt. Experten gehen davon aus, dass deutschlandweit rund jedes zehnte Kind betroffen ist.

Karies der Milchzähne kann Schmerzen durch freiliegende Nerven verursachen, abgesehen davon, dass sie entstellend wirkt und so das Selbstwertgefühl des Kindes mindern kann. Müssen Milchzähne gezogen werden, fehlen sie als Platzhalter, was späteren Zahnfehlstellungen Vorschub leistet. Zudem kann dies die Nahrungsaufnahme sowie die Sprachentwicklung des Kindes beeinflussen.

 

Zwischen den einzelnen Bundesländern gab es allerdings deutliche Unterschiede. Während Zwölfjährige in Baden-Württemberg und im Saarland einen DMF-T von 0,71 aufwiesen, war der Wert in Mecklenburg-Vorpommern doppelt so hoch. Hier lag der Ausgangswert vor zehn Jahren allerdings auch bei 3,5. Gründe für die schlechteren Zähne sieht Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundesärztekammer und DAJ-Vorsitzender, im geringeren sozioökonomischen Status der Kinder verbunden mit geringerer Bildung, auch der Eltern. So hatten in Hessen etwa dreimal so viele Hauptschüler Karies wie gleichaltrige Gymnasiasten. „Karies konzentriert sich auf eine kleine Gruppe von Kindern“, so Pieper. Allerdings ergab eine Subanalyse, dass auch das Drittel mit dem höchsten Kariesrisiko gegenüber 1994 deutlich weniger Karies aufwies.

Da die DMF-T-Werte der Neunjährigen in 2000 sehr niedrig waren, wurden statt dieser Altersgruppe nun erstmals 15-Jährige untersucht, um zu sehen, wie sich der Kariesstatus nach Ende der Gruppenprophylaxe entwickelt. Der DMF-T lag im Mittel bei 2,05, was die Experten auf die vermehrte Entstehung größerer Zahnzwischenräume auf Grund des im zwölften Lebensjahr vollständig durchgebrochenen bleibenden Gebisses sowie einen tendenziell ungesünderen Lebensstil zurückführen. Für 15-Jährige sei dies jedoch ein „sehr guter“ Wert. Damit die Prophylaxe auch bei Jugendlichen nicht nachlässt, soll in Kürze eine Imagekampagne für gesunde Zähne starten.

Milchzähne besser schützen

Weniger rosig ist es allerdings um die Zähne der Schulanfänger bestellt. Im Vergleich zu 1994 nahm der dmf-t-Wert zwar um ein Viertel auf 2,16 ab, gegenüber 2000 verbesserte er sich jedoch nur marginal, in fünf Bundesländern verschlechterte er sich sogar wieder. Mit 50,1 Prozent kariesfreier Milchgebisse wurde die aktuelle WHO-Vorgabe gerade noch erfüllt. Laut Pieper berichten auch Norwegen, Schweden und die Schweiz über einen Wiederanstieg der Milchzahnkaries. Als Gründe bezeichnete Oesterreicher die noch mangelhafte Aufklärung der Eltern etwa bezüglich Nuckelflaschenkaries (siehe Kasten) sowie den zu seltenen Gang zum Zahnarzt, der ab dem zweiten Lebensjahr erfolgen sollte (U7). Seit 2000 müssen auch Kinderärzte zur Mundgesundheit, Mundhygiene, zahnschonenden Ernährung und Zahnpflege des Kindes beraten (U3, U7, U8). Die DAJ schlägt zudem vor, auch Gynäkologen in die Aufklärung mit einzubeziehen. Zahnärzte müssten ferner die Milchzähne besser behandeln; laut Pieper waren bei den Schulanfängern fast die Hälfte der kariösen Milchzähne nicht mit einer intakten Füllung versorgt.

Für ein Kind ist nach Angaben der Bundeszahnärztekammer schon die Zahnpflege der werdenden Mutter bedeutsam. Auf Grund der hormonellen Umstellung neigen Schwangere zu Zahnfleischblutungen. Weniger Pflege kann dann zu einer Entzündung des Zahnfleischs (Gingivitis) und schließlich des Zahnbetts (Parodontitis) führen. Diese scheint aktuellen Studie zufolge das Risiko einer Frühgeburt mit geringem Geburtsgewicht zu erhöhen – vermutlich, da lokal produzierte Prostaglandine in den Blutkreislauf gelangen. Auf Zahnpflege sollte somit gerade in der Schwangerschaft geachtet werden. Verursacht das Zähneputzen Brechreiz, können antibakterielle Mundspülungen als Alternative dienen.

Nach der Geburt kann die Mutter nicht nur über das Putzen der Kinderzähne und die Ernährung die Mundgesundheit des Kindes beeinflussen. Hat sie kariöse Zähne, ist das Kariesrisiko des Kindes erhöht. Denn die Mundhöhlenbakterien werden von der engsten Bezugsperson weitergegeben, machten Experten bei der Auftaktveranstaltung des „Monats der Mundgesundheit“ in Berlin deutlich, der in diesem September zum fünften Mal stattfindet. Mit einem Fernsehspot und Broschüren in Zahnarztpraxen, die unter www.bzaek.de kostenlos heruntergeladen werden können, will die Bundeszahnärztekammer gemeinsam mit dem Unternehmen Colgate auf die Prophylaxe von Mutter und Kind aufmerksam machen. Bei der Aktion sind zudem 1000 professionelle Zahnreinigungen zu gewinnen (www.monat-der-mundgesundheit.de).

 

Tipps für gute Kinderzähne
  • Mütter sollten mindestens sechs Monate lang stillen.
  • Glasflaschen kaufen, möglichst ab dem 12. Monat Flasche absetzen, keine Selbstbedienung.
  • Zur Beruhigung Schnuller geben, nicht die Flasche.
  • Keine süßen, säurehaltigen Getränke geben, sondern Wasser oder ungesüßte Tees.
  • Wer ein Jahr lang stillt, kann auf Flaschen ganz verzichten und gleich zu einem Becher übergehen, möglichst auf Schnabeltassen verzichten.
  • Kauaktive Nahrungsmittel regen die Speichelproduktion an, wodurch Säuren besser neutralisiert werden.
  • Eltern sollten nach Durchbruch des ersten Milchzahns die Zähne mit einer erbsengroßen Menge Kinderzahncreme (bis 500 ppm Fluorid) einmal täglich putzen.
  • Ab dem 2. Lebensjahr zweimal täglich putzen, bis zum 6. Lebensjahr sollten Eltern stets nachputzen.
  • Altersgerechte Zahnbürsten benutzen (mit Dosierfeld oder rutschfestem Griff).
  • Schulanfänger können Erwachsenenzahncreme (1000 bis 1500 ppm Fluorid) verwenden.
  • Bei der Individualprophylaxe (6. bis 18. Lebensjahr) können Fissuren an den Backenzähnen versiegelt werden.
  • Ab dem 12. Lebensjahr Zahnseide benutzen.
  • Fluoridhaltiges Speisesalz verwenden, nur alternativ Fluoridtabletten und erst nach dem Durchbruch des ersten Zahns.

 

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