Gesundheitsprobleme der nächsten Jahre |
15.08.2005 00:00 Uhr |
Wirklich überraschend waren die Ergebnisse nicht: Laut 100 führenden deutschen Forschern steht uns ein Anstieg von alters- und ernährungsbedingten Erkrankungen wie Diabetes, Adipositas und Alzheimer bevor. Parallel dazu werden aber auch Therapiefortschritte erwartet.
88 Prozent der Forscher sehen Diabetes mellitus Typ 2 als Spitzenreiter unter den Erkrankungen, bei denen in den nächsten zehn Jahren mit einem Anstieg der Neuerkrankungen zu rechnen ist. »Das Gleiche gilt für das Übergewicht, das wir bislang eher als kosmetisches Problem gesehen haben«, sagte Dr. Dieter Götte, Leiter Medical Affairs bei Sanofi-Aventis, auf einer Pressekonferenz des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Berlin. Damit stehen zwei überwiegend ernährungsbedingte Erkrankungen vor der Demenz, deren Zunahme ausschließlich dem Altersanstieg der Bevölkerung zugeschrieben wird. Momentan leide jeder Dritte Über-90-Jährige an Demenz und deren Zahl werde steigen, so Götte bei der Präsentation der Expertenumfrage. Hierfür hatte das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité im Auftrag des VFA 100 deutsche Forscher befragt, die zu einem Drittel aus der Industrie und zu zwei Dritteln aus Universitätskliniken und Forschungsinstituten kamen.
»Ich glaube, dass Diabetes die am meisten unterschätzte Krankheit ist«, sagte Götte. In den nächsten fünf Jahre rechne man mit einer Zunahme der Inzidenz von 50 Prozent. »Das entspricht einer Neuerkrankungsrate von 350.000 Menschen pro Jahr.« Problematisch sei, dass nur die Hälfte der Über-50-Jährigen wisse, dass sie an Diabetes erkrankt ist. Auch bei Osteoporose und Bluthochdruck sieht der Mediziner das Problem, dass sie zu spät erkannt werden. Demnach sei die Aufklärung ein Thema der Zukunft.
Wie bedrohlich Diabetes eingeschätzt wird, zeigt auch, dass die Befragten vor allem hier einen Anstieg der krankheitsbedingten Todesfälle sehen. Parallel dazu erwarten sie jedoch auch Therapiefortschritte innerhalb der nächsten fünf und zehn Jahre. Die größten therapeutischen Neuerungen vermuten die Experten allerdings auf dem Gebiet der Krebs- und Herzerkrankungen, was auf das neues Wissen über die Endothelfunktion oder die Gerinnungsneigung zurückzuführen ist. In der Behandlung von Morbus Alzheimer dagegen scheinen die Forscher weniger zuversichtlich, zwar rechnen zwei von drei Experten mit einem Behandlungsdurchbruch, allerdings frühestens in zwölf Jahren. Laut Götte befinden sich bei mehreren Firmen Impfstoffe gegen die Alzheimer-Demenz in der Pipeline, die sich gegen die β-Amyloid-Ablagerungen richten. Zudem würden in 2009 voraussichtlich sechs neue Medikamente auf den Markt kommen, wie Sekretasehemmer, die die fehlerhafte Spaltung des Amyloid-Vorläuferproteins verhindern sollen, oder Kandidaten aus der Gruppe der Statine: Denn ein hoher Cholesterolspiegel scheint die Produktion von β-Amyloid zu fördern.
Nach der Umfrage sehen 62 Prozent überdies die Tuberkulose wieder auf dem Vormarsch, was sie auf Migration aus dem Osten und vermehrtes Reisen zurückführen. Auch bei HIV/Aids sowie Hepatitis B und C rechnen die Experten mit einem Anstieg der Neuerkrankungen in Deutschland, da das Schutzverhalten zunehmend nachlässt. Wie bei Alzheimer gehen die Wissenschaftler davon aus, dass ein HIV-Impfstoff erst in etwa zwölf Jahren verfügbar sein wird, da der Erreger wie das Influenza-A-Virus sehr wandlungsfähig ist. Das Risiko für eine schwere Grippeepidemie in Deutschland innerhalb der nächsten fünf Jahren schätzen mehr als 60 Prozent der Befragten als hoch oder sehr hoch ein.
»Arzneimittelforschung ist eine Zukunftsbranche«, so Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des VFA. Da etwa zwölf Jahre vergingen, bis ein Wirkstoff zugelassen werde, müsste stets das künftig zu erwartende Krankheitsspektrum als Grundlage für die Forschung dienen. Und diese habe nach wie vor ihren Platz in Deutschland. Laut einem Standortvergleich des Fachmagazins »Nature« liege Deutschland in der klinischen und präklinischen Forschung auf Platz 3 hinter den USA und Großbritannien. Die befragten Forscher sprechen Deutschland vor allem im Bereich Diabetes eine wichtige Rolle in klinischer und Grundlagenforschung zu.
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