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HAE ist eine heimtückische Krankheit

30.07.2001  00:00 Uhr

SELBSTHILFEGRUPPEN

HAE ist eine heimtückische Krankheit

von Christiane Berg, Hamburg

Das hereditäre Angioödem (HAE) als Sonderform des Quincke-Ödems ist den wenigsten Menschen bekannt. Einer sicheren Diagnose sowie der damit verbundenen Behandlung geht oftmals eine jahrelange Leidensgeschichte der Betroffenen mit zahlreichen Fehldiagnosen voraus. In Deutschland wird die Zahl der HAE-Kranken auf etwa 500 geschätzt. Die Dunkelziffer ist hoch. Experten gehen von 5000 bis 8000 tatsächlich Betroffenen aus.

Die seltene aber schwerwiegende Erkrankung ist durch wiederkehrende, oftmals starke Schwellungen an Händen, Füßen, im Gesicht oder im Atemwegsbereich gekennzeichnet. HAE wird autosomal dominant vererbt. Es basiert auf der Veränderung eines Gens auf dem Chromosom 11, das für die Bildung des C1-Esterase-Inhibitors verantwortlich ist. Durch den Mangel an funktionsfähigen C1-Esterase-Inhibitoren kommt es zur Fehlsteuerung des sogenannten Komplementsystems, einer Kaskade von Serumproteinen, die bei der Immun- und Entzündungsantwort des menschlichen Körpers eine wichtige Rolle spielen und unter anderem mit einer erhöhten Bradykinin-Ausschüttung reagieren.

Gefährliche Erstickungsanfälle

Die Häufigkeit der Anfälle variiert stark. Einige Patienten sind über lange Zeit beschwerdefrei. Andere berichten über immer wiederkehrende Attacken in kurzen Abständen. In über 70 Prozent der Fälle kommt es zu Schwellungen der Schleimhäute an inneren Organen, die sich in kolikartigen Krämpfen, Erbrechen und Durchfall niederschlagen und auch zu Kreislauf-Beschwerden führen können. Besonderes gefährlich: Akute Erstickungsanfälle auf Grund einer Schwellung im Kehlkopfbereich. Sie sind für 30 bis 50 Prozent der Todesfälle verantwortlich und im Notfall nur durch einen Luftröhrenschnitt zu beheben.

Die Anfälle können ohne erkennbare äußere Ursachen auftreten. Stress, Angst oder Traumata provozieren jedoch eine Krise. Bei Frauen zählen Menstruation und Schwangerschaft zu den auslösenden Faktoren, die zu häufigeren Attacken führen.

Keine Linderung durch Cortison

"Ich habe oft nächtelang im Sitzen verbracht, da die Attacken besonders dann auftraten, wenn Ruhe oder Entspannung anstanden", so die 39-jährige Gudrun Kruse. Seit ihrem neunten Lebensjahr litt sie unter Symptomen, die von schweren abdominellen Beschwerden mit Brechreiz und Durchfall bis hin zu starker Atemnot reichten. In der Annahme, es handele sich um eine Allergie, wurde Gudrun Kruse mit Cortison behandelt, dass jedoch keine Linderung brachte.

Das hereditäre Angioödem habe ihr ganzes Leben geprägt, sagt sie heute. "Stell Dich nicht so an. Bist Du schon wieder krank?": Sie habe unter dem Unverständnis ihrer Umwelt sehr gelitten und sich schließlich nur noch selten verabredet oder an Festen teilgenommen. Kruse: "Mein Lebensmut sank zunehmend, ich litt schließlich unter Depressionen und habe mich immer mehr ausgegrenzt".

C1-Esterase-Inhibitor-Aktivität

In einer Frauenzeitschrift las die gelernte Erzieherin und Mutter zweier Kinder 1998 über die seltene Erkrankung und den Zusammenschluss von Betroffenen in der HAE-Vereinigung. Sie nahm Kontakt zu der Selbsthilfegruppe auf. Mit deren Unterstützung suchte sie die Hilfe eines aufgeschlossenen Arztes, der ihre Verdachtsdiagnose durch Messung der C1-Esterase-Inhibitor-Aktivität und des C1-Esterase-Inhibitor-Antigens im Blutplasma bestätigte.

Auch bei ihrer nun 19-jährigen Tochter, die unter ähnlichen Symptomen litt, wurde das hereditäre Angioödem diagnostiziert. Gudrun Kruse vermutet, dass auch ihre Mutter und deren Schwestern, die im Alter zwischen 42 und 52 Jahren starben, unter HAE litten. Eine eindeutige Diagnose wurde damals nicht gestellt. Erst heute weiß man, dass bei bekannt positiver Familienanamnese der Diagnosestellung große Bedeutung zukommt, um bei Bedarf die möglicherweise lebensrettende Therapie einzuleiten. Bei nicht behandeltem HAE verstirbt jeder dritte Patient frühzeitig.

Lang- und Kurzzeitprophylaxe

Zur Therapie der HAE wird Danazol eingesetzt, ein Androgen, das ein Ansteigen des Blutplasmaspiegels von C1-Esterase-Inhibitor bewirkt, jedoch in Abhängigkeit von Dosierung und Dauer starke Nebenwirkungen (Virilisierung) mit sich bringt. Bei Patienten mit schwerer Einschränkung der Lebensqualität ist seit Ende 1997 die Langzeitprophylaxe mit dem C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat aus Humanplasma (Berinert HS®) möglich.

Gudrun Kruse injiziert sich das Konzentrat alle drei Tage selbst und führt heute "ein von der Krankheit nahezu uneingeschränktes und angstfreies Leben". Bei ihrer Tochter kommt das Konzentrat zur Kurzzeitprophylaxe bei Attacken oder in Situationen zum Einsatz, die das Risiko einer Ödembildung in sich bergen, zum Beispiel vor Operationen oder zahnärztlichen Eingriffen. Mutter und Tochter tragen stets einen Notfallkoffer sowie einen Ausweis mit Notfall-Therapieempfehlungen bei sich. Wichtig zu wissen: eine akute HAE-Attacke spricht nicht auf die Standardtherapie des klassischen Quincke-Ödems mit Adrenalin, Antihistaminika und Corticoiden an.

Krankheit verläuft niemals gleich

"Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit konnten wir schon einige bis dahin nicht diagnostizierte Betroffene erreichen", sagt Lucia Schauf (39), die wie ihr Bruder an der seltenen Erkrankung leidet. Die gelernte Krankenschwester, die auf Grund des hereditären Angioödems schon 1994 berentet wurde, ist Mitglied im Vorstand der HAE-Vereinigung, die 1997 gegründet wurde und heute 150 Mitglieder hat. "HAE ist eine heimtückische Krankheit, da sie sich bei jedem Patienten anders zeigt und niemals gleich verläuft", so die Mutter zweier gesunder Kinder."Der Kontakt mit anderen Betroffenen ist unbeschreiblich wichtig, denn es kann sehr tröstlich sein festzustellen, dass man kein seltsames Exotenwesen ist".

Schauf verweist auf den Internetauftritt der HAE-Vereinigung (www.angiooedem.de; www.schwellungen.de; www.C1-esterase-Inhibitormangel.de) sowie regelmäßig erscheinende Info-Hefte, die HAE-Erkrankten und ihren Angehörigen den Umgang mit der Erkrankung erleichtern sollen. "Durch rege Öffentlichkeitsarbeit wollen wir auch künftig versuchen, anderen Betroffenen lange Leidenswege zu ersparen".

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