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Angehörige psychisch Kranker fordern Akzeptanz

23.07.2001  00:00 Uhr

SELBSTHILFEGRUPPEN

Angehörige psychisch Kranker fordern Akzeptanz

von Christiane Berg, Hamburg

Jährlich suchen etwa 1,6 Millionen Menschen psychiatrische Hilfe. 400.000 werden stationär behandelt, bei 250.000 wird die Diagnose Schizophrenie gestellt. Immer sind auch die Angehörigen mit betroffen. Die familiäre Situation ist oft geprägt von Angst, Schuld und Schamgefühlen, Vereinsamung und Überforderung. Die ständige Furcht vor der Zukunft und neuen Krisen gehört zum Alltag.

Ihr Sohn, heute 52, erkrankte mit 22 Jahren. "Er hatte gerade die Lehre als KFZ-Schlosser abgeschlossen", sagt Dorothea Pachur, Gründungsmitglied, von 1986 bis 1993 Vorsitzende und nunmehr Schatzmeisterin des Vereins "Netzwerk Wolfsburg", zu dem sich Angehörige psychisch erkrankter Menschen zusammengeschlossen haben. Ihr seien damals zunächst nur sein rotes Gesicht und seine Unruhe aufgefallen. Sie habe sich gefragt, ob er Ärger mit seinem Vorgesetzten oder Liebeskummer habe, erinnert sie sich.

Mit Schuldgefühlen allein gelassen

Als er dann am Neujahrstag sein Radio aufschraubte, um nachzusehen, ob jemand drin sei, und unverständliche Dinge erzählte, während er ununterbrochen auf die roten Vorhänge starrte, sei die ganze Familie wie vor den Kopf gestoßen gewesen. Man habe den Notarzt gerufen, der zur nervenärztlichen Behandlung riet und von der Verdachtsdiagnose Schizophrenie sprach. Der am darauffolgenden Tag hinzugezogene Neurologe bestätigte die Diagnose.

"Schuldgefühle, schlaflose Nächte, Tränen, Hoffnungslosigkeit: Für uns alle begann ein langer Leidensweg", so die Mutter dreier Kinder, die von 1986 bis 1995 auch stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker - BApK, Bonn, war. Sie habe die Erfahrung machen müssen, wie allein man sich fühlen kann, und habe anderen Familien in ähnlicher Lage Mut machen wollen, so schildert sie die Motivation für ihr langjähriges ehrenamtliches Engagement, für das sie 2000 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Belastung auf allen Ebenen

Was habe ich falsch gemacht oder versäumt? Was mache ich möglicherweise heute noch falsch? Besonders Eltern schizophrener Patienten quälen sich mit Fragen zur Ursache der Krankheit - eine Qual, die durch Vorwürfe des Patienten selbst oder Außenstehender noch verstärkt werden kann. Pachur verweist auf die großen emotionalen, finanziellen und sozialen Belastungen der Familie, die mit der seelischen Erkrankung eines Menschen einhergehen können. Sie betont, wie wichtig es ist, die Angehörigen als Mitleidende zu akzeptieren und nicht als Leid-Verursachende zu verurteilen und auszugrenzen.

"Mit Schuldgefühlen geht Scham einher, was dazu führt, dass die betroffenen Familien immer mehr in die Isolation geraten", bestätigt Konstanze Koenning-Egetmeyer, Mitglied im Beirat des BApK und Mitautorin des Buches "Freispruch der Familie". Zwar habe sich in der Psychiatrie zwischenzeitlich vieles getan. Doch noch immer geschehe es, dass bei einer Klinikeinweisung ausnahmslos der Erkrankte als Leidender und Hilfsbedürftiger wahrgenommen wird, die Angehörigen hingegen ausweichende Antworten erhalten, abgewiesen oder als Störenfriede abgetan werden. "Oft wird ihnen bedeutet, dass sich der Patient von der Familie lösen will. Dabei ständen sie nur im Weg", berichtet die Psychologin aus ihren langjährigen Erfahrungen.

Gegen Stigma und Diskriminierung

Mangelnde Aufklärung über mögliche Hilfen, Medikamente und ihre Nebenwirkungen, sowie sich oftmals widersprechende Ansichten über Ursachen, Diagnosen und Verläufe trügen dazu bei, dass die Ratlosigkeit der Familie wächst. Wie soll ich mich verhalten? Was wird, wenn ich nicht mehr bin? Solche und ähnliche Fragen scheinen unlösbar. Man dürfe die Familien mit der schweren Last der Verantwortung nicht allein lassen. Koenning-Egetmeyer: "Die Sorge um die Zukunft beherrscht das Denken der Angehörigen oft so stark, dass wenig Platz für das Heute bleibt."

Ziel des Bundesverbandes ist die Aufklärung der Gesellschaft über die Situation der Familien sowie der Abbau von Stigma und Diskriminierung psychisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen. Gleichermaßen hat er sich die Darstellung der Chancen und Defizite im Versorgungssystem der Psychiatrie zur Aufgabe gemacht.

Atypische Neuroleptika

So macht der Verband, der einer entsprechenden Psychoedukation große Bedeutung beimisst, auf einen kritikwürdigen Zustand in der Versorgung psychisch kranker Menschen aufmerksam und plädiert unter anderem für den bedarfsgerechten Einsatz der modernen atypischen Neuroleptika zur Behandlung der Schizophrenie. Diese zeichneten sich durch weniger Nebenwirkungen aus als die typischen Neuroleptika. Dem Patienten werde der Weg in die Rehabilitation erleichtert, da psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen greifen können. Dringend verbessert werden müsse auch die Nachsorge.

Gemeinsam mit dem Dachverband Psychosozialer Hilfsvereinigungen e. V. , der im selben Haus sitzt, gibt der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V., Thomas-Mann-Straße 49 a, 53 111 Bonn (Tel.: 0228/ 63 2646), die vierteljährlich erscheinende "Psychosoziale Umschau" heraus, die Angehörige, Bürgerhelfer, Psychiatrie-Erfahrene, professionelle Mitarbeiter und Fachleute aus Politik und Verwaltung über gemeinsame Anliegen und Entwicklungen der Gemeindepsychiatrie informiert. Angehörige, die sich einer Gruppe anschließen, eine Gruppe gründen wollen oder sich informieren möchten, können sich an einen der 15 Landesverbände in den jeweiligen Bundesländern wenden. Adressen erfahren sie über die Bundesgeschäftsstelle.

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