Lotsen der Therapie |
28.06.2004 00:00 Uhr |
Anders als im Krimi arbeiten Pathologen überwiegend für den lebenden Menschen. Oft liegt Diagnose und Therapieentscheidung in ihren Händen. Dennoch geschieht ihre Arbeit meist im Verborgenen.
„Obduktionen an Verstorbenen sind die Ausnahmen in unserem Beruf“, sagte Professor Dr. Manfred Stolte vom Klinikum Bayreuth im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Nur maximal 1 Prozent seiner Arbeitszeit verbringen Pathologen mit Leichenschauen. Etwa 28. 000 natürliche Todesfälle untersuchen sie jährlich in Deutschland. Um ungeklärte Todesfälle dagegen kümmern sich Rechts- oder Gerichtsmediziner. Umso größer ist die Verärgerung der Pathologen, wenn sie in Krimis und in der Öffentlichkeit mit diesen verwechselt werden.
Hauptsächlich arbeiten Pathologen zum Wohle lebender Patienten. Ihr Tätigkeitsfeld ist das Labor, wo sie mit Mikroskop und modernen molekularbiologischen Methoden gezielte Diagnostik durchführen. Gewebeproben und Zellen von mehr als 20 Millionen Menschen untersuchen sie in Deutschland jedes Jahr.
Alles, was Ärzte einem Patienten mit einer Punktionsnadel, einem chirurgischen Messer oder einer kleinen Zange entnehmen, wird pathologisch untersucht. Dabei verraten Gewebeschnitte und Zellpräparate mehr als nur, ob ein Organ erkrankt ist.
Nahezu alle Krebsdiagnosen einschließlich der Frage, wie gutartig oder bösartig ein Tumor ist, werden vom Pathologen gestellt. Von ihrer Prognose hängt es ab, ob eine Therapie fortgesetzt wird und auf welche Behandlungsstrategie der Patient am besten ansprechen wird. Innerhalb des Ärzteteams kommt den Medizinern im Hintergrund daher eine zentrale Rolle zu. Anhand ihres Untersuchungsmaterials bestimmen sie den Fortschritt der Erkrankung, die Tumoreigenschaften und damit die Therapie.
Allein fünf Millionen Zellabstriche aus dem Gebärmutterhals begutachten Pathologen jährlich im Rahmen von Krebsvorsorgeuntersuchungen. Aber auch Abstriche aus ausgehustetem Schleim, aus Ergüssen in Körperhöhlen, Abstriche von Feinpunktaten aus Organen, Lymphknoten sowie Blut- und Knochenausstriche werden von ihnen untersucht.
Untersuchung transplantierter Organe
„Obwohl kaum ein Patient jemals einen Pathologen zu Gesicht bekommt, kennen viele Pathologen ihre Patienten sehr genau“, berichtete Professor Dr. Michael Mihatsch vom Institut für Pathologie in Bern. Besonders bei Transplantationen begleiten sie die Krankengeschichte anhand der Biopsien oftmals über viele Jahre. So verrät eine geschädigte Niere, welches Grundleiden der Patient hat. Ob diese Grundkrankheit nach einer Transplantation auch dem neuen Organ gefährlich werden kann, lässt sich bereits aus dem Biopsiebefund der alten Niere schließen. Auch die Qualität des Spenderorgans ist wichtig. Im Zweifelsfall ist diese noch während der Operation mittels einer Schnellbiopsie überprüfbar.
Nach Transplantationen sind es wiederum Pathologen, die Gewebeproben von nicht funktionierenden transplantierten Organen untersuchen. Als Ursachen für Komplikationen kommen Sauerstoffmangel, Schädigung durch Medikament oder auch hyperakute Abstoßungsreaktionen infrage. Inzwischen unterscheiden Pathologen verschiedene Formen der Abstoßungsreaktion, die jeweils eine spezifische Behandlung erfordern.
Eine vermeidbare Komplikation der modernen Immunsuppression ist die Polyomavirusnephropathie. Die Infektionskrankheit tritt unter hochpotenten Immunsuppressiva, wie Tacrolimus, auf und zerstört das transplantierte Organ. Ausgelöst wird sie durch einen bestimmten Stamm des Polyomavirus. In Deutschland sind etwa 75 Prozent der Bevölkerung mit diesem Erreger durchseucht. Bereits in frühester Kindheit kommen die meisten Menschen mit ihm in Kontakt. Nach der Erstinfektion tritt über wenige Tage Schnupfen auf. Dann zieht sich das Virus in die ableitenden Harnwege zurück und verbleibt dort. Nur unter einer Immuntherapie wird es wieder aktiv.
In der Forschung tätig
Neben der Krebsfrüherkennung, Tumor- und Infektionsdiagnostik oder der Abklärung von männlichen und weiblichen Unfruchtbarkeitsproblemen widmen sich Pathologen der Erforschung neuer und alter Krankheiten. Derzeit laufen Untersuchungen an Patientinnen, die an einem Mammakarzinom erkrankt sind. In einem bestimmten Stadium können 70 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen durch eine Operation geheilt werden. Nur 30 Prozent dieser Frauen bekommen ein Rezidiv. Dennoch werden alle Patientinnen chemotherapeutisch behandelt, denn bis heute weiß man nicht, zu welchem Kollektiv eine betroffene Frau gehört.
Bei der Erforschung der Ursachen für das unterschiedliche Verhalten setzen die Pathologen große Hoffnung auf die Molekularpathologie in klinischen Studien. Doch gerade die Studienlage in Deutschland bereitet den Medizinern Sorge. Durch die Kostenreduktion nimmt die Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen immer mehr ab.
Hilfreiche Obduktionen
Auch wenn die Obduktion natürlich Verstorbener nur einen Bruchteil der Arbeitszeit eines Pathologen ausmacht, so hat sie doch eine wichtige Funktion für die Qualitätssicherung in der Medizin. Schädliche Nebenwirkungen neuer Medikamente und neuer Behandlungsverfahren können durch sie früh erkannt und abgestellt werden.
Ergibt die Autopsie, dass der Verstorbene einer Erbkrankheit unterlag, so hilft dieses Ergebnis den Angehörigen. Sie können sich prophylaktisch behandeln lassen oder andere Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Außerdem werden Angehörige von Toten in ihrer Trauerarbeit unterstützt, wenn die Obduktion zeigt, dass in der Pflege nichts falsch gemacht oder der Verstorbene nicht zu spät ins Krankenhaus gebracht wurde. Nach wie vor fehlen in einigen Bundesländern gesetzliche Regelungen und damit verbindliche Entscheidungskriterien zur Obduktion. Etwa in Niedersachsen arbeiten Pathologen in einer Grauzone, in der sie bei Zwistigkeiten zwischen Angehörigen zwischen allen Stühlen stehen.
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