Rheumafoon bietet Hilfe für junge Rheumatiker |
04.06.2001 00:00 Uhr |
SELBSTHILFEGRUPPEN
Rheuma hat viele Gesichter: 450 Krankheitsbilder lassen sich unterscheiden. Allein an rheumatoider Arthritis leiden in Deutschland 800.000 Menschen, das sind 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung. Frauen sind dreimal so häufig betroffen wie Männer. Ob entzündlich-, degenerativ- oder weichteilrheumatisch: Schätzungen gehen von insgesamt vier Millionen Menschen mit einer Erkrankung des rheumatischen Formenkreises aus. Mehr als eine Million lebt mit einer Fibromyalgie.
Rheumatische Erkrankungen verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten: Sie sind Ursache für 25 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage und 50 Prozent aller stationären medizinischen Heilbehandlungen der gesetzlichen Rentenversicherungen. Circa ein Drittel aller Frühberentungen ist auf rheumatische Erkrankungen zurückzuführen.
Unverständnis und Nichtwissen
"Nur zu häufig gehen rheumatische Erkrankungen mit starken Funktionsbeeinträchtigungen und Schmerzen, körperlicher Behinderung und gesellschaftlicher Isolation des Kranken einher", sagt Christel Kalesse, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Deutschen Rheuma-Liga, Bonn. Mit derzeit 220.000 Menschen und 800 Selbsthilfegruppen in 16 Landes- und drei Mitgliedsverbänden (Morbus Bechterew, Lupus erythematodes, Sklerodermie) ist die Rheuma-Liga die größte Vereinigung chronisch kranker Menschen in Deutschland.
"Trotz der großen Zahl der Betroffenen und der Schwere der Erkrankung sind in der Öffentlichkeit Unverständnis, Nichtwissen und Vorurteile verbreitet", so die heute 55-jährige ehemalige Speditionskauffrau, die auf eine 40-jährige Krankengeschichte und 30 Operationen zurückblickt. Mit 15 Jahren erkrankte Christel Kalesse an einer juvenilen chronischen Polyarthritis, die sie zwang, mit 27 Jahren "beruflich das Handtuch zu werfen". Mit Hilfe ihres Mannes und guter Freunde sei es ihr über alle Jahre gelungen, den Alltag zu bewältigen, so Kalesse, die mit und in der Rheuma-Liga für die Chancengleichheit chronisch kranker Rheumapatienten kämpft.
Die Krankheit kann in jedem Alter auftreten, sie manifestiert sich jedoch am häufigsten zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie werden 40 Prozent der Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis bereits nach fünf Jahren erwerbsunfähig. Die Lebenserwartung ist um vier bis zwölf Jahre verkürzt.
Chance durch neue Medikamente
Kalesse verweist auf TNFa-Hemmer wie Etanercept und Infliximab, zugelassen zur Therapie der aktiven rheumatoiden Arthritis, die auf Basistherapeutika wie Methotrexat unzureichend anspricht. Zwar müsse der Einsatz der TNFa-Hemmer stets individuell geprüft werden. Keinesfalls jedoch dürften die Medikamente den Patienten aus Kostengründen verweigert werden. Insbesondere bei jungen Menschen, bei denen die chronische Polyarthritis einen besonders aggressiven Verlauf nehmen kann, müssten die Chancen der Neuentwicklungen genutzt werden.
"Rheuma gleich alt": Diesem Vorurteil wollen die jungen Rheumatiker in der Rheuma-Liga, über 5000 Betroffenen zwischen 16 und 35 Jahren, entgegenwirken. Seit 1996 bieten sie einen telefonischen Beratungsdienst an, der sich speziell an rheumatisch erkrankte junge Leute richtet. Am "Rheumafoon" nehmen sie Stellung zu Themen wie Ausbildung und Beruf, Partnerschaft, Sexualität und Schwangerschaft, selbstbestimmtes Wohnen und Leben trotz Krankheit und Behinderung. Vorreiter ist das Nachbarland Holland, wo das Rheumafoon bereits seit einigen Jahren erfolgreich läuft.
Auch Kinder erkranken
Als Rheumafoon-Beraterin für Eltern rheumakranker Kinder setzt sich Dr. Patricia Vöttiner-Pletz, Apothekerin und Mutter zweier Kinder von zehn und sieben Jahren ein. Im Alter von zwei Jahren erkrankte ihre Tochter an einer chronischen Polyarthritis. Dankbar habe sie damals die Unterstützung und Hilfe des in ihrer Region bestehenden Elternkreises der Deutschen Rheuma-Liga (Adresse des Bundesverbandes: Maximilianstraße 14, 53111 Bonn, Tel. (02 28) 76 60 60) angenommen, den sie seit 1996 selbst leitet, so Patricia Vöttiner-Pletz in der Februar-Ausgabe 2001 des sechsmal jährlich erscheinenden Mitglieder-Magazins "mobil". Sie wünscht sich, dass das Rheumafoon, (0 77 25) 91 77 97, in der Zukunft noch häufiger klingelt und noch mehr Eltern über diese Einrichtung geholfen werden kann.
"Es gibt ein hohes Potenzial an Erfahrung und beachtliche Erfolge in der Selbsthilfe bei Rheuma. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen und anderen verfügbar zu machen", bestätigt Kalesse. Jeder chronisch kranke Mensch sollte gut über seine Krankheit informiert sein, um im Kampf gegen das falsche ökonomische Denken der Leistungsträger zu bestehen.
Von wegen tatenlos... Auch mit rheumatoider Arthritis lässt sich auf Dauer ein erfülltes Leben führen. Wie, das ist Thema der bundesweiten Kampagne "Von wegen tatenlos - Perspektiven im Leben mit der rheumatoiden Arthritis" am 9. Juni 2001. Die Aktion informiert insbesondere über Wege der Selbsthilfe, neue Therapien, Gelenkersatz, Ernährung oder Patientenschulung. Weiterführende Informationen gibt es unter www.rheuma-liga.de/home/rubrik10.htm.
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