Die molekularen Wurzeln von Krankheit erkennen |
27.05.2002 00:00 Uhr |
Gendiagnostik
von Hannelore Gießen, München
Molekulargenetische Erkenntnisse und Untersuchungen haben die Medizin in den vergangenen Jahren entscheidend beeinflusst. Von der Hämostaseologie zur Virologie bereichert die Molekularbiologie inzwischen das diagnostische Repertoire. Den Stand der Forschung stellten Experten während der Analytica Conference Ende April in München vor.
Die molekularbiologische Diagnostik kommt unter anderem bei Störungen der Blutgerinnung zum Einsatz. Erkrankungen in diesem System hängen oft mit genetischen Defekten zusammen. Paradebeispiel ist die Hämophilie A. Ursache der Blutgerinnungsstörung ist ein Defekt in einem einzelnen Gen (monogenetische Erbkrankheit), der sich in einem Mangel an Gerinnungsfaktor VIII äußert. Eine Diagnose, die sich ausschließlich auf einen Blutgerinnungstest stützt, ist jedoch nur bedingt aussagekräftig. Externe Faktoren wie Medikamente, Entzündungen oder eine Schwangerschaft beeinflussen den Wert. Eine sichere Aussage ist deshalb nur anhand von DNA-Tests zu treffen.
Mit molekulargenetischer Diagnostik können auch die Patienten identifiziert werden, die Antikörper gegen extern zugeführte rekombinante Faktor-VIII-Präparate entwickeln. Ob Patienten solche Inhibitoren bilden, hängt von der Art ihrer Mutation ab.
Hämophilie A kommt mit einer Häufigkeit von 1:5000 vor; an einer Thrombose erkrankt jedes Jahr jedoch ein Mensch unter Tausend. Ursache einer Neigung zu Thrombosen sind oft Mutationen im Faktor-V- oder im Prothrombin-Gen. Diese sind in der Bevölkerung relativ häufig: Immerhin 5 bis 10 Prozent der Bundesbürger tragen das Risiko in ihren Genen, eine Thrombose zu erleiden - meist ohne es zu ahnen.
Die evolutionsbiologische Erklärung für das Phänomen: Werdende Mütter, die bei einer Geburt weniger Blut verloren, überlebten häufiger als andere Frauen. Auch Deletionen im Protein-C- und Protein-S-Gen konnten inzwischen identifiziert und damit die Diagnostik bei bekanntem familiären Protein-C- oder -S-Mangel verbessert werden. Ob ein allgemeines Screening der Bevölkerung auf die wichtigsten Genmutationen, die eine Thrombose begünstigen, sinnvoll ist, wird zurzeit kontrovers diskutiert. Allerdings fordern einige Gynäkologen solche Untersuchungen vor einer Erstverordnung von Kontrazeptiva.
Fettstoffwechselstörungen
Im Fokus der molekularen Diagnostik des Fettstoffwechsels steht die Suche nach Mutationen in Genen des Lipoproteinstoffwechsels. Sie tragen zu einem erhöhten Risiko bei, an Arteriosklerose zu erkranken. Mutationen im LDL-Rezeptor-Gen und dem Apo(lipoprotein)-B-100-Gen, das für den Liganden dieses Rezeptors codiert, werden intensiv erforscht. Die molekularen Wurzeln von Hypertriglyzeridämie sind dagegen noch weitgehend unbekannt. Auch die molekulare Diagnostik von Genen, die mit einem verminderten HDL-Cholesterol assoziiert sind, steckt noch in den Kinderschuhen.
Schon vor Jahren haben amerikanische Forscher entdeckt, dass genetische Unterschiede im Aufbau eines anderen Apolipoproteins, des Apo-E-Moleküls, das Risiko erhöhen, an Alzheimer Demenz zu erkranken. Als Suszeptibilitätsgen für die Alzheimer-Demenz wurde das Apo-E-Gen auf Chromosom 19 identifiziert. Apo E ist als Lipidtransportprotein und als Regulator der Cholesterinaufnahme in die Zellen entscheidend in den Stoffwechsel der Membranlipide einbezogen. Im Wesentlichen tritt das Apo-E-Gen in drei verschiedenen Allelen auf, von denen eines mit dem erhöhten Risiko für eine Alzheimer-Demenz assoziiert ist. Diese Zusammenhänge werden jedoch erst erforscht und bieten derzeit noch keinen Ansatz für eine Labordiagnostik.
Krebsdiagnostik
Jeder Tumor geht auf eine einzige Ursprungszelle zurück, die vom genau regulierten Weg kontrollierter Teilung abgekommen ist. In dieser Zelle und ihren Nachkommen häufen sich Genveränderungen an. Von Mutationen sind dabei drei Klassen von Genen betroffen:
In einer gesunden Zelle dirigieren die drei Genklassen, perfekt aufeinander abgestimmt, die Zellteilung. Verändern sich diese Gene, kann die Zelle unkontrolliert wachsen und entarten. Mit sensitiven analytischen Verfahren ist es möglich, auf der Ebene des Genoms die DNA, aber auch auf der Ebene der Transkription die mRNA zu bestimmen. Diese "Abschrift der Gene" wird angefertigt, wenn das zugehörige Gen aktiv ist.
Molekulare Diagnostik wird in der Onkologie beispielsweise bei der familiären adenomatösen Polyposis eingesetzt, einer seltenen, aber sehr gefährlichen Darmerkrankung, verursacht durch eine Mutation des APC- Tumorsuppressorgens. Zunächst bilden sich zahlreiche Polypen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Krebs entarten. Auf Grund des Gendefektes entwickelt sich der Tumor aus der normalen Schleimhaut nicht wie sonst über Jahre, sondern im Zeitraffertempo. Darmkrebs tritt dann ungewöhnlich früh auf, meist noch vor dem 40. Lebensjahr. Genträger werden deshalb engmaschig über eine Koloskopie überwacht.
Ein zweites Beispiel ist das Mammakarzinom, dem in 5 bis 10 Prozent aller Fälle eine bekannte genetische Ursache zu Grunde liegt. Molekulare Zellporträts dienen einer besseren Tumordiagnostik, um Brustkrebs-Patientinnen in Zukunft gezielter zu überwachen und die Chemosensitivität des Tumors zu bestimmen. Bei welcher Patientin Tamoxifen wirkt, welche Taxol oder Cisplatin bekommen soll, für wen Trastuzumab (Herceptin®) die richtige Therapie ist, muss dann nicht mehr ausprobiert, sondern kann mit molekularer Diagnostik im Voraus untersucht werden. Etabliert ist bereits die Bestimmung des humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (HER-2), dessen Überexpression Voraussetzung für die Therapie mit Herceptin ist. Rund 30 Prozent aller Tumoren der Brust enthalten Zellen, deren HER-2-Gen vervielfältigt vorliegt und die deshalb das Protein vermehrt herstellen.
Nachweis von Viren mit PCR
In der Virologie sind molekularbiologische Methoden seit Jahren etabliert. Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wurde schon kurz nach ihrer Entwicklung angewandt, um pränatal Cytomegalieviren oder bei Meningitiden und Enzephalitiden den Erreger nachzuweisen, dessen winziges Genom erst nach einer Replikation mit der PCR-Methode bestimmt werden kann. Gendiagnostik trägt auch dazu bei, verschiedene Genotypen des Hepatitis C-Virus oder des HI-Virus zu differenzieren.
Nicht nur rein qualitative Bestimmungen, auch der quantitative Nachweis des Virusgenoms ist möglich. Zu einer effizienten Behandlung von HIV-Patienten gehört heute eine Verlaufskontrolle mit einem quantitativen HIV-RNA-Nachweis. Außerdem wird mit molekularbiologischer Diagnostik nach Mutationen des HI-Virus gesucht, die mit einer Resistenz gegen antivirale Medikamente assoziiert sind. Versagt die Therapie, kann auch der Genotyp des Patienten mitbeteiligt sein, wenn auf Grund von mutierten Transporterproteinen oder enzymatischen Defekten keine ausreichenden Wirkspiegel erzielt werden. Allerdings dürften die Gründe für eine Therapieversagen eher auf Virusmutationen oder eine Non-Compliance zurückzuführen zu sein als auf eine variable Pharmakokinetik des Patienten.
Quelle: Analytica Conference, Symposium der Berufsvereinigung der Naturwissenschaftler in der Labordiagnostik e. V. (BNLD)
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