Neu gebildete Immunzellen sind geschwächt |
19.05.2003 00:00 Uhr |
Bislang wird der Erfolg einer HIV-Therapie unter anderem daran gemessen, ob das Immunsystem der Patienten am Ende wieder genügend CD4-Helferzellen bildet. Das alleine scheint aber nicht auszureichen. Denn je später der Behandlungsbeginn, um so mäßiger ist die Qualität dieser Abwehrzellen, hat ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftler-Team herausgefunden.
So lange kein Impfstoff gegen HIV in Sicht ist, ist die hoch aktive antiretrovirale Therapie (HAART) die einzige Hoffnung für HIV-Patienten, das Virus unter Kontrolle zu halten. Auf Grund der Nebenwirkungen und mangels Langzeitergebnissen wird der teure und aggressive Cocktail aus verschiedenen Substanzen – obwohl wissenschaftlich anerkannt – kontrovers diskutiert, wobei der Therapiebeginn im Vordergrund steht. Der Erfolg der HAART-Behandlung bemisst sich zurzeit daran, ob der Medikamentenmix die Virusmenge über längere Zeit im nicht nachweisbaren Bereich hält, und ob die Zahl der CD4-Zellen, das sind wichtige Helferzellen des Immunsystems, im Therapieverlauf ansteigt.
Durch Dezimierung dieser Immunzellen sinkt letztlich die allgemeine Krankheitsabwehr der Betroffenen, die anfällig für weitere Infektionen durch Pilze, Bakterien und Viren werden. Eine erfolgreiche HAART-Behandlung trägt zur Normalisierung der Helferzellzahlen bei und stärkt somit das Immunsystem. Doch haben die neu gebildeten CD4-Zellen auch die gleiche Qualität wie die ursprünglich vom HI-Virus befallenen? Offenbar nicht, wie der Biologe und Mediziner Dr. Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel gemeinsam mit Kollegen vom Center for Aids Research in Cleveland, Ohio, entdeckte. Die Forscher konzentrierten sich auf 29 HIV-Patienten bei denen nach dreijähriger antiretroviraler Behandlung keine Viren mehr im Blut nachweisbar waren. Die Zahl der CD4-Zellen lag bei allen Patienten am Ende der als erfolgreich bezeichneten Behandlung bei durchschnittlich circa 750 je Mikroliter Blut. „Zu Beginn der Behandlung schwankte der Wert bei den Patienten zwischen null und 600“, berichtet Lange. Der statistische Mittelwert lag bei 250 Zellen.
Die Forscher teilten nun die Patienten in zwei Gruppen. Solche, deren tatsächliche CD-Zellzahl am Behandlungsbeginn unter 250 lag, und solche mit darüber liegenden Werten. Dann ermittelten sie bei jedem Einzelnen mit standardisierten immunologischen Tests wann wer mit welcher Stärke auf einen Infektionsreiz reagierte und teilten die Patienten danach erneut ein. Dabei zeigten sich trotz identischer CD4-Werte am Ende der Behandlung, Unterschiede in der Stärke der Abwehrsysteme. Bei Patienten mit zuvor geringen CD4-Zellzahlen fielen die Immunantworten schwächer aus. Die Forscher fanden außerdem heraus, dass die CD4-Zellen der schwächer reagierenden Patienten weniger CD28-Moleküle auf ihrer Oberfläche trugen. „Ohne die Expression von CD28 auf den Zelloberflächen sind die CD4-Zellen wie gelähmt“, erklärt Lange.
Die Ergebnisse lassen die Diskussion nach dem richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer HAART-Behandlung in einem neuen Licht erscheinen. Manche Protokolle empfehlen die Behandlung ab einem CD4-Wert von 350, andere erst bei 200. In letzterem Fall scheinen die CD4-Zellen des wiederbelebten Immunsystems aber an Qualität einzubüßen. Lange: „Wir haben einen linearen Funktionsverlust des Immunsystems gefunden, je später eine Therapie begonnen wurde.“ Die Forscher behaupten auch, dass man nicht unbedingt eine vollständige Rekonstruktion der Abwehr erreichen müsse, damit das Risiko für weitere Infektionen gering ist.
Einem frühen Therapiebeginn stehen jedoch schwerwiegende mögliche
Nebenwirkungen der Therapie entgegen. Lange weist besonders darauf hin, dass
seine Arbeiten zwar im Einklang mit jüngst veröffentlichten klinischen
Studien stehen, dass aber Fragen des Therapiebeginns durch klinische Studien
und nicht durch immunologische Arbeiten beantwortet werden müssen. Außerdem
betonen die Forscher, dass möglicherweise mehr Forschung darauf verwandt
werden sollte, um die klinische Bedeutung der CD28-Moleküle auf den
Oberflächen der CD4-Zellen zu untersuchen. „Möglicherweise haben wir hier
einen Parameter der viel bessere Aussagen zur tatsächlichen Immunfunktion
zulässt“, so Lange, dem für die neu gewonnenen Erkenntnisse am 16. Mai
während des 9. Deutschen Aids-Kongresses in Hamburg der mit 20.000 Euro
dotierte Preis der H. W. & J. Hector-Stiftung verliehen wurde.
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