Medizin
In den letzten Jahren ist
Bewegung in die Therapie der benignen Prostatahyperplasie
(BPH) gekommen: Ein 5alpha-Reduktasehemmer und mehrere
alpha-Rezeptorenblocker erweitern das Therapiespektrum
zwischen Phytotherapie und Operation. Doch trotz
intensiver Forschung ist die Pathogenese noch nicht
völlig verstanden.
Die kleine Drüse unterhalb der männlichen
Blase wächst bei (fast) jedem Mann zweimal: Während der
Adoleszenz vergrößert sich das Organ vom Geburtsgewicht
von etwa 2g auf rund 20g. Die pathologische
Wachstumsphase beginnt etwa mit dem 60. Lebensjahr.
Mikroskopisch lassen sich bereits bei der Hälfte der
50jährigen Veränderungen im Gewebe feststellen. Das
Bindegewebe (Stroma) proliferiert massiv, aber auch die
epithelialen Anteile nehmen zu.
Die Ursachen sind noch immer nicht klar. Fest steht, daß
Androgene sowohl für die embryonale Entwicklung als auch
für den Größen- und Funktionserhalt der
"erwachsenen" Prostata erforderlich sind und
daß die BPH-Entwicklung mit dem Alter assoziiert ist.
Dihydrotestosteron (DHT), das durch das Enzym
5alpha-Reduktase aus Testosteron gebildet wird, gilt als
Androgen der Prostata. Doch die DHT-Hypothese, wonach ein
Übermaß an DHT die Proliferation auslöst, ist heute so
nicht mehr haltbar. Dies erklärte Professor Dr. Ulf Tunn
von den Städtischen Kliniken, Offenbach bei einem
Symposium der Synthelabo Arzneimittel GmbH, Puchheim, in
Bad Reichenhall. Denn auch Estrogene und
Wachstumsfaktoren greifen in die Pathogenese ein.
Nach neueren Untersuchungen liegen nicht im Bindegewebe
der vergrößerten Prostata die höchsten
5alpha-Reduktase- und damit DHT-Spiegel vor, sondern im
Epithel der jungen, normalen Prostata. Die Aktivität,
der 5alpha-Reduktase und damit die DHT-Spiegel nehmen im
Prostataepithel im Alter kontinuierlich ab, während sie
im Bindegewebe relativ konstant bleiben. Die
pathobiochemische Bedeutung dieser Befunde ist ebenso
unklar wie die altersabhängige Abnahme der
Androgenrezeptor-Dichte im Epithel der Prostata.
Auch Estrogene werden im hyperplasierten Gewebe
angereichert. Die Akkumulation von Estradiol und Estron
im Bindegewebe ist umso höher, je älter die Prostata
ist. Im Epithel finden sich altersunabhängig hohe
Estrogenspiegel. Durch die DHT-Abnahme im Epithel und die
Estrogenzunahme im Stroma steigt im Alter der
Estrogen-Androgen-Quotient in der Prostata. Dies könnte
ein ursächlicher Faktor in der BPH-Genese sein.
Wann welche Medikamente?
Finasterid hemmt die 5alpha-Reduktase und damit
die DHT-Bildung. Das Azasteroid scheint vor allem die
Aktivität der epithelialen Reduktase zu hemmen; damit
könnte die erzielte Reduktion des Prostatavolumens auf
einer Regression des Epithels beruhen. Finasterid
beeinflußt die statische Komponente der BPH, die durch
Einengung der Harnröhre entsteht. Langzeitbeobachtungen
zeigen, daß der positive Effekt auf Symptomenscore,
Harnfluß und Prostatavolumen über vier bis fünf Jahre
anhält, sofern die Patienten initial auf die Therapie
ansprechen (etwa die Hälfte).
An der dynamischen Komponente der BPH setzen die
alpha1-Rezeptorenblocker an. Darunter versteht man einen
erhöhten Tonus der glatten Muskulatur an Blasenboden und
Prostata, der vor allem die irritativen Symptome
auslöst. Je mehr Bindegewebe bei der Hyperplasie
entsteht, um so mehr tritt die dynamische Komponente in
den Vordergrund, erläuterte Tunn.
Derzeit sind fünf Wirkstoffe zugelassen, deren Wirkung
auf Symptomenscore und Harnfluß etwa gleich ist, zeigte
Professor Dr. Kurt Dreikorn, Bremen. Neuere Wirkstoffe
wie Alfuzosin, die relativ selektiv die alpha1-Rezeptoren
hemmen, beeinflussen den Blutdruck weniger als ältere
Stoffe wie Doxazosin oder Prazosin, die auch zur
Hochdrucktherapie zugelassen sind. Eine Blutdrucksenkung
durch Vasodilatation kann jedoch grundsätzlich bei allen
Stoffen auftreten. Tamsulosin greift selektiv am
Rezeptorsubtyp alpha1A an, der überwiegend in der
Prostata vorkommt und soll daher keine Blutdruckwirkung
auslösen.
Liegt keine absolute Operationsindikation vor, empfiehlt
Dreikorn bei gering ausgeprägten Symptomen
"watchful waiting", eventuell kombiniert mit
Phytotherapeutika; bei stärkeren bis starken Beschwerden
sollten alpha1-Rezeptorenblocker eingenommen werden; sind
diese ineffektiv und liegt das Prostatagewicht über 50g
sei eine Therapie mit Finasterid angezeigt. Bei
Nicht-Ansprechen sollte operiert werden.
PZ-Artikel von Brigitte Gensthaler, Bad Reichenhall
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