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Sensible Haut braucht Extrapflege

21.03.2005  00:00 Uhr
Dermopharmazie

Sensible Haut braucht Extrapflege

von Werner Voss und Christina Bürger, Münster

10 bis 20 Prozent der Bevölkerung macht eine sensible Haut zu schaffen. Im Gegensatz zu fest umschriebenen Krankheitsbildern wie der atopischen Dermatitis fehlt jedoch für die sensible Haut noch immer eine klare Definition. In der Apotheke gilt es daher, gezielt nachzufragen.

Für den Begriff sensible Haut gibt es keine allgemein gültige Definition. Einige Forscher vermuten eine konstitutionelle, genetische Komponente als Ursache. Ferner werden auch Alterungsprozesse der Haut und der Einfluss von Irritantien diskutiert.

 

Checkliste sensible Haut
  • Die Haut wird rot und fleckig nach dem Baden, nach heißem Duschen oder aggressiver Reinigung.
  • Die Haut reagiert auf Umwelteinflüsse wie Temperaturschwankungen.
  • Die Haut errötet schnell (Flush), auch bei geringstem Anlass, etwa schon bei Berührung.
  • Die Haut ist sehr blass, Blutgefäße scheinen durch.
  • Die Haut brennt regelmäßig nach Anwendung von Reinigungsmitteln und Pflegeprodukten.
  • atopische Disposition
  • höheres Lebensalter
  • Hauttyp mit geringer Toleranz gegenüber UV-Licht, vorzeitige Hautalterung

 

Ebenso ist bisher nicht geklärt, ob der Begriff sensibel nur für sichtbare Hautveränderungen mit Stechen, Brennen und Spannungsgefühl nach Applikation eines topischen Produktes verwendet werden sollte. Oft sind es nämlich nur sensorische Missempfindungen ohne klinisch sichtbares Korrelat, die nach Anwendung von kosmetischen Produkten beklagt werden. Hier spricht man auch vom »Status cosmeticus«. Nicht selten wird nach Anwendung von Kosmetika über Hautmissempfindungen und Zeichen von Hautirritationen berichtet. Oft stehen die angegebenen Beschwerden aber im Widerspruch zu objektivierbaren Hautveränderungen. Selbst hypoallergene Kosmetika, die meist problemlos vertragen werden, können bei Personen mit sensibler Haut Juckreiz, Brennen und Spannungsgefühl, Erytheme, trockene und raue Haut hervorrufen.

Dieses Phänomen tritt in verschiedenen ethnischen Gruppierungen unterschiedlich oft auf. So sind Asiaten häufiger betroffen als Kaukasier, was möglicherweise mit der stärkeren Sonnenexposition und der höheren relativen Luftfeuchte asiatischer Länder zusammenhängt. Laut einer von L’Oréal in Auftrag gegebenen Umfrage in England gaben über 50 Prozent der befragten Frauen und fast 40 Prozent der befragten Männer an, eine empfindliche Haut zu haben. Anderen Umfragen in Europa zufolge bezeichneten 9 Prozent der Befragten ihre Haut als »sehr empfindlich«, 33 Prozent als »empfindlich«. Für das Gesicht wurde die Empfindlichkeit deutlich höher bewertet. 14 Prozent gaben an, eine »sehr empfindliche« Haut, 39 Prozent eine »empfindliche« Haut zu haben. Dabei lagen die Angaben in Deutschland höher als in anderen europäischen Ländern.

 

Pflegetipps
  • Reduktion der Hautpflege auf das Wesentliche
  • Reinigung der Haut maximal zweimal täglich
  • Anwendung von Peelingcremes höchstens einmal pro Woche
  • Nicht zu viele verschiedene Produkte verwenden. Je weniger die Haut mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen konfrontiert wird, desto geringer ist das Risiko, Irritationen auszulösen. Es ist daher empfehlenswert, auf Produkte mit einer überschaubaren Anzahl von Inhaltsstoffen zurückzugreifen.

 

Trockene Haut findet sich oft auch bei nicht manifest erkrankten Familienmitgliedern von Atopikern sowie bei Familienmitgliedern von Patienten mit Ichthyosis vulgaris (Verhornungsstörung der Haut mit Herabsetzung der Schweiß- und Talgsekretion). Begründet ist dies möglicherweise durch eine unterschiedliche Expressivität der Ichthyosis vulgaris. Klinisch gesunde Genträger zeigen abnormale Keratohyalin-Granula und Profilaggrin- und Filaggrinspiegel. Eine kleine Anzahl von Patienten mit Ichthyosis vulgaris wird fälschlicherweise als atopische Dermatitiker diagnostiziert.

Zu viel Wasser verloren

Die wichtigsten Gründe für sensible Haut sind Trockenheit, Hautalterung und eine atopische Disposition. Durch Reizung der Nervenendigungen in der papillären Dermis entstehen Brennen, Juckreiz und Spannungsgefühl. Schädigung des Stratum corneum, sei es auf Grund konstitutioneller Faktoren oder einer chronischen Exposition mit Wasser, Syndets, Seifen, Chemikalien, Desinfektionsmitteln oder Sonne, führen zu erhöhter Permeabilität für exogene Irritantien. Darüber hinaus kommt es zu einem erhöhten transepidermalen Wasserverlust und dadurch zu einer weiteren Störung der Permeabilitätsbarriere.

Übersteigt der TEWL die Wasseraufnahme aus der Dermis, kommt es zur Austrocknung der Haut. Dies kann durch Umweltfaktoren wie geringe Luftfeuchtigkeit und Wind erfolgen, aber auch durch endogene Einflüsse, wie eine atopische Disposition oder mit der Hautalterung.

Bei einem erhöhten TEWL lassen eine geringere Konzentration an Ceramiden, fehlende lamelläre Struktur der Lamellarkörperchen (elektronenmikroskopisch sichtbar), geringere Anzahl von Keratohyalin-Granula und die Abnahme der NMF die Haut zunehmend austrocknen. Zudem ist die Talgproduktion reduziert und es sind weniger freie Fettsäuren auf der Hautoberfläche zu finden. Die Haut wird empfindlicher gegenüber Irritantien. Eine irritative Dermatitis geht mit erhöhtem TEWL einher und die Regeneration der Hautbarriere sowie die Wundheilung sind verzögert.

Ratschläge bei sensibler Haut

Bei sensibler Haut liegt häufig ein Teufelskreis vor: Toxische Stoffe und freie Radikale penetrieren durch die gestörte Hautbarriere. Entzündungs- und Immunreaktionen werden getriggert. Die nachfolgende Freisetzung von Radikalen und Endotoxinen führt erneut zur Zellschädigung. Eine weitere Verschlechterung der Hautbarriere ist die Folge.

Erste Ziele in der Therapie müssen daher die Rehydration und Wiederherstellung einer gesunden Hautbarriere sein. Wichtig ist das Vermeiden exogener Hautschädigungen. Betroffene sollten daher heiße Bäder und Standardseifen meiden und rückfettende Seifen oder milde Reinigungssyndets verwenden.

 

Lipide und NMF bieten Schutz Eine intakte Hautbarriere schützt vor übermäßigem transepidermalem Wasserverlust (TEWL) und hält die Haut widerstandsfähiger gegenüber Irritantien der Umwelt. Störungen dieses Gleichgewichtes führen zu empfindlicher, sensibler Haut bis hin zur Neurodermitis. Hier ist der Übergang von konstitutionell bedingt empfindlicher, sensibler Haut zu besonders unter Belastung stark sebostatischer Haut bis hin zur klinisch manifesten Neurodermitis gut zu beobachten.

Die Epidermis ist ein backsteinmauerähnlich geschichtetes Plattenepithel, das im Wesentlichen aus Keratinozyten besteht, die vom Stratum basale hin zum Stratum corneum differenzieren. Das Endprodukt, die Hornschicht, ist ein 10 mm dünnes, durchscheinendes, reißfestes und für Wasser und wasserlösliche Substanzen fast undurchlässiges Häutchen. An seiner Oberfläche findet ein unmerkliches Abschuppen einzelner verhornter, toter Keratinozyten statt. Dieser Zyklus dauert insgesamt 30 Tage.

Keratinozyten enthalten in so genannten Lamellarkörperchen Ceramide, Sterole und Phospholipide sowie hydrolytische Enzyme. Die Synthese dieser Lipide erfolgt größtenteils neu. Ein kleinerer Teil, zum Beispiel Pflanzensterole, essenzielle Fettsäuren, Arachidonsäure und Cholesterol, kann von basalen Keratinozyten aus der Blutbahn aufgenommen werden. Bei der Ausdifferenzierung der Keratinozyten wird der Inhalt der Lamellarkörperchen am Übergang zum Stratum corneum in den Interzellularraum durch Exozytose ausgeschleust. Hier erfolgt pH-abhängig die Umstrukturierung der polaren Lipide durch enzymatische Hydrolyse in nichtpolare Produkte. Die interzellulären Stratum-corneum-Lipide werden zu einer kontinuierlichen Doppelmembranstruktur geordnet. Sie machen 8 Prozent des Trockengewichtes der Epidermis aus und bestehen hauptsächlich aus Ceramiden (40 Prozent), Sterolen (20 bis 25 Prozent) und freien Fettsäuren (20 Prozent). Mit Ceramiden veresterte langkettige gesättigte Fettsäuren bieten einen besonderen Schutz gegen UV-Strahlung und Ozon.

Neben den Lipiden des Stratum corneum schützt der von den Talgdrüsen produzierte dünne Talgfilm der Hautoberfläche vor einem übermäßigen TEWL. Auf Grund ihrer hygroskopischen Eigenschaften binden und speichern zudem natürliche Feuchthaltefaktoren (NMF) Wasser und mindern so den TEWL, selbst wenn die atmosphärische Feuchtigkeit der Umwelt gering ist. Sie bilden 10 Prozent des Trockengewichtes des Stratum corneum. Zu den NMF der Haut zählen Milchsäure, Harnstoff, Pyrrolidoncarbonsäure-Derivate, Glucose und Aminosäuren. Aminosäuren werden in den Keratohyalin-Granula der Keratinozyten durch den Abbau von Filaggrin gewonnen.

 

Regelmäßiges Eincremen mit Hautpflegemitteln, die Harnstoff, Milchsäure oder andere NMF enthalten, schützt die Hautbarriere. Auch Ölbäder wirken protektiv, sind jedoch weniger effektiv als die Pflege mit NMF. Schon die Zunahme von 1 Prozent Wasseranteil in der Haut verbessert signifikant deren Elastizität und Barrierefunktion.

Menschen mit sensibler Haut zeigen eine vermehrte perkutane Absorption von Irritantien und daher zum Teil eine Hyperreaktivität der Haut auf normalerweise gut hautverträgliche Kosmetika. Aus diesem Grund sollten auf der Verpackung sämtliche Inhaltsstoffe aufgeführt sein. Eine Luftbefeuchtung der Wohnräume ist für Personen mit empfindlicher Haut von Vorteil, Reisen in Regionen mit trockenem, heißem Wind sind stark belastend .

Spezielle Formulierungen gefragt

Externa können die epidermale Barriere beeinflussen und zur Rekonstruktion und Reparation einer trockenen, irritierten Haut beitragen. Die Bestandteile von Externa sind

  • Emulgatoren: Ihre Aufgabe ist es, Lipide durch die Bildung von mizellaren Strukturen in Wasser zu dispergieren. Sie sind damit aber auch in der Lage, die aus Lipiden bestehende Permeabilitätsbarriere der Haut durch Mizellbildung zu unterbrechen. Emulgatoren, die eine den Hautbarrierelipiden ähnliche chemische Struktur besitzen, werden eher in die Doppelmembran integriert als diese zu mizellieren und sind daher hautschonender. Emulgatoren, die mit den interzellulären Lipiden nicht verwandt sind, zeigen dagegen ein hohes Irritationspotenzial. Als geeignet gelten Phospholipide, Sterole und Fettsäureester von Zuckern. Ideal wären Formulierungen, die Lipide, Wirkstoffe und Wasser in kristallinen Doppelmembranen enthalten und so die Permeabilitätsbarriere stärken.
  • Lipide: Die Öl- oder Fettphase von Hautpflegemitteln sollte aus natürlichen Ölen, Fetten und Wachsen oder aus Estern linearer Fettsäuren mit 8 bis 22 C-Atomen bestehen. Geeignete Öle beziehungsweise Fette sind etwa Oliven- oder Sonnenblumenöl, raffiniertes Sojaöl, Mandel-, Borretsch- oder Jojobaöl und Sheabutter. Als besonders günstig gilt ein hoher Anteil an α-Linolensäure.

Neben den Öl- und Fettkomponenten kann die Öl-/Fettphase noch weitere Lipidstoffe enthalten, die der Pflege oder einer stabileren Zusammensetzung dienen. Dazu zählen Tocopherole oder Ceramide. Reine, hautidentische Ceramide aus biotechnischer Produktion stellen ein ideales Lipid für kosmetische Formulierungen dar. Ihre geringe Löslichkeit und somit große Neigung zu Rekristallisation erschweren jedoch die stabile Einarbeitung in Emulsionen. Besonders günstig sind auch Lipidpräparationen, die dem physiologischen Verhältnis der Barrierelipide angepasst sind (Cholesterol/Ceramide/Fettsäuren:1:1:1).

  • Liposomen sind Biomoleküle, die eine Ähnlichkeit mit Biomembranen aufweisen. Sie können mit Wirkstoffen oder Lipiden beladen werden und penetrieren gut ins Stratum corneum.
  • Mikroemulsionen sind Formulierungen mit Öl-Wasser-Aggregaten, die 100-mal feiner sind als bei herkömmlichen Emulsionen. Sie erlauben eine tiefere Penetration der Wirkstoffe in die Haut.

Die Wirkung von Dermatika hängt nicht nur von ihrer Grundlage, den verwendeten Vehikeln und Wirkstoffen ab, sondern auch entscheidend vom Hautzustand. Je niedriger der Lipidgehalt des Stratum corneum, desto besser ist die Penetration eines applizierten Lipids. Umgekehrt heißt das, je besser der Hautzustand, umso geringer die sichtbare Wirkung eines Externums. Der Anspruch der Kosmetika, eine normale epidermale Barriere zu verbessern und ein ansprechenderes Äußeres zu erzielen, findet hier seine Grenze.

 

Für die Verfasser:
Dr. Werner Voss
Engelstraße 37
48143 Münster
Telefon (02 51) 488 22 49
dr.voss@dermatest.de
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