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Aufklärung erhöht den Therapieerfolg

08.03.2004  00:00 Uhr
Psychoedukation

Aufklärung erhöht den Therapieerfolg

von Gudrun Heyn, Berlin

Wenn Patienten den Krankheitsprozess sowie die Wirkweise und Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung verstehen, verbessert dies den Behandlungserfolg dramatisch. Daher haben Mediziner zur Therapie von psychisch Kranken einen neuen Ansatz entwickelt: die Psychoedukation.

Psychoedukation ist die gezielte Information und Aufklärung von Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenien, Depressionen, Sucht oder Persönlichkeitsstörungen. Den Betroffenen wird in kleinen Gruppen kompliziertes Fachwissen auf einfache, für Laien verständliche Weise vermittelt. Sie werden über die Krankheitsentstehung, den Verlauf der Erkrankung sowie über die einzelnen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt. Ziel dieses Ansatzes ist es, das Interesse und das Verständnis des Patienten für seine Erkrankung zu wecken. Denn bei vielen Therapieverfahren, die häufig Langzeitbehandlungen sind, hängt der Erfolg von der Einsicht der Betroffenen ab. Sie sollen zu mündigen Patienten gemacht werden, die „in die Therapieentscheidung mit einbezogen werden können“, sagte Professor Dr. Andreas Heinz von der Charité auf dem ersten deutschen Kongress zur Psychoedukation Ende Februar in Berlin.

Die Patienten sollen die Erkrankung annehmen, sich mit ihr auseinandersetzen und vor allem auch die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten verstehen, um die Therapien effektiv für sich nutzen zu können. Da eine Betreuung im Krankenhaus heute im Durchschnitt nicht länger als drei Wochen dauert, müssen die Betroffenen schnell lernen, sich selbst zu helfen.

Doch für die Psychoedukation reicht es nicht aus, den Betroffenen Fakten an die Hand zu geben. Für eine erfolgreiche Behandlung müssen die Patienten gemeinsam mit dem behandelnden Arzt in Gesprächsgruppen ihre Erfahrungen und ihr Wissen austauschen können – zum Beispiel zu verschiedenen Therapien und ihren Nebenwirkungen.

Angehörige mit einbeziehen

„Bei vielen psychischen Erkrankungen, wie den schizophrenen Psychosen oder der Demenz tragen Angehörige die Hauptlast“, sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung Deutscher Nervenärzte, Dr. Frank Bergmann, aus Aachen. Oft sind sie rund um die Uhr im Einsatz. Daher ist es sinnvoll, auch die Angehörigen zu informieren und in die Lage zu versetzen, mit der Krankheit umzugehen. So kann die Psychoedukation unter anderem mit überholten Krankheitsbildern aufräumen, die zum Teil noch weit verbreitet sind, wie etwa dem „Unsinn von Schuldgefühlen“, sagte Bergmann. Nicht zuletzt erleichtert es die Situation für Patienten und Angehörigen, wenn beide den selben Wissensstand haben und somit „die gleiche Sprache sprechen“. Patienten, die selber Experten ihrer Erkrankung geworden sind, entlasten ihre Angehörigen erheblich, erklärte Bergmann.

Aufklären statt verschleiern

Schon vor Ausbruch der Erkrankung, im so genannten Prodromalstadium kann die Psychoedukation erfolgreich eingesetzt werden. Daher gilt es heute, Betroffene aufzuklären, statt die Diagnose zu verschleiern. Doch das ist oft schwierig, denn die Vorbehalte gegen psychische Erkrankungen sind groß. „Jemandem zu sagen, er sei schizophren, ist eine strafrechtlich belangbare Beleidigung“, sagte Dr. Josef Bäuml vom Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München. In der Folge bewegen sich viele Betroffene in einem Teufelskreis, indem sie alles tun, um ihre Erkrankung zu leugnen. „Früher bestand die höchste ärztliche Kunst darin, die Diagnose zu verschleiern“ berichtete Bäuml. Im Patientengespräch mieden Mediziner das Wort Schizophrenie. Heute wird dagegen bereits beim ersten Auftreten einer schizophrenen Psychose umfassend aufgeklärt, um weitere Schübe, die bei 80 bis 85 Prozent der Betroffenen auftreten, zu vermeiden oder hinauszuschieben.

Schon Jahre vor der ersten psychotischen Episode kündigt sich die Erkrankung im Prodromalstadium durch eher uncharakteristische Zeichen wie Konzentrationsstörungen an. Im Verlauf der teilweise fünf- bis sechsjährigen Phase kommen vermehrt spezifische Symptome hinzu. Vor allem kognitive Ausfälle, wie Gedankenblockaden, Gedankeninterferenzen und Wahrnehmungsstörungen treten auf. „Diese Symptome scheinen nach Untersuchungen verschiedener Früherkennungszentren relativ spezifisch für schizophrene Psychosen zu sein“, berichtete der Leiter des Früherkennungs- und Therapiezentrums für beginnende Psychosen Berlin-Brandenburg, Dr. Georg Juckel.

In diesem Stadium lernen die Betroffenen mit Hilfe der Psychoedukation vor allem, wie sie Stress und Familienkonflikte besser bewältigen können. Untersuchungen aus Australien zeigen, dass bei Patienten, die intensiv mit Psychotherapie, Psychoedukation und mit Pharmakotherapie behandelt werden, die Krankheit selten ausbricht.

Wie erfolgreich das Konzept der Psychoedukation ist, zeigen verschiedene internationale Studien. So zum Beispiel das Psychosen-Informations-Projekt (PIP) in München, an dem sich 235 Patienten und ihre Angehörigen beteiligten. Während die Kontrollgruppe eine normale Routinebehandlung erhielt, nahmen die Patienten der Interventionsgruppe zusätzlich an acht Gruppensitzungen teil, und ihre Angehörigen erhielten ebenfalls eine Psychoedukation. Bei einer Stichprobe vier Jahre nach der Behandlung wies die Kontrollgruppe eine Rückfallrate von 67 Prozent, die Edukationsgruppe eine Rückfallrate von 46 Prozent auf. Nach sieben Jahren war der Unterschied zwischen beiden Gruppen noch deutlicher: 88 Prozent der Patienten aus der Kontrollgruppe aber nur 54 Prozent der Interventionspatienten waren mindestens einmal wegen ihrer Grunderkrankung im Krankenhaus behandelt worden. Dabei war der Einzelpatient in der Kontrollgruppe in den vier Jahren durchschnittlich 225 Tage im Krankenhaus, in der Interventionsgruppe nur 75 Tage. Auch waren die Edukationspatienten häufiger berufstätig, wohnten häufiger alleine und hatten häufiger Partnerbeziehungen als die Studienteilnehmer aus der Kontrollgruppe. Dagegen beeinflusste die alleinige Abgabe von schriftlichem Informationsmaterial an Angehörige die Rückfallraten nicht.

Nicht für alle geeignet

Nicht sinnvoll ist eine Psychoedukation bei Patienten mit schweren formalen Denkstörungen, mangelndem Sprachverständnis oder erheblichen Einbußen der Intelligenz. Auch Menschen in akuter Suizidgefahr sollten von der Teilnahme an einer Psychoedukationsgruppe ausgenommen werden. Ansonsten gilt die Empfehlung, mit der Psychoedukation zu beginnen, sobald die Betroffenen an Gruppensitzungen teilnehmen können.

Wie groß das Interesse der Mediziner an der neuen Therapieform ist, zeigte die Teilnehmerzahl des Psychoedukations-Kongresses: Über 600 Psychiater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten sich angemeldet. Mit 350 Teilnehmern hatten die Veranstalter der Charité gerechnet.

Mittlerweile wird Psychoedukation an vielen Kliniken als Bestandteil der Therapie angeboten. Und in vertragsärztlichen Praxen werden Elemente der Psychoedukation in die regelmäßigen Gespräche und Kontakte mit Patienten und Angehörigen eingebunden. Darüber hinaus gibt es bereits Praxen, die in regelmäßigen Abständen Gruppensitzungen anbieten.

„Finanziell ist die Psychoedukation für die vertragsärztlichen Praxen ein Abenteuer“, sagte Bergmann. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nur die Kosten für eine 30-minütige Beratung pro Patient. Alle darüber hinausgehenden Leistungen, wie Angehörigengruppen oder Patientengruppen, werden von der GKV nicht bezahlt. Top

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