Medizin


Das Fibromyalgiesyndrom (FMS), das sich durch chronische,
generalisierte Schmerzen im Bereich der Muskulatur, der Knochen und des
Bindegewebes auszeichnet, gehört zu den häufigsten Erkrankungen in der
internistisch-rheumatologischen Praxis. Ungefähr drei Prozent der
Bevölkerung sind betroffen. Es besteht eine Dominanz des weiblichen
Geschlechts mit einem Erkrankungsmaximum zwischen dem 35. und 55.
Lebensjahr.
Von einem großen sozialmedizinischen Problem sprachen die Referenten eines
Symposiums der Strathmann AG am 7. Februar 1998 in Tremsbüttel bei Hamburg.
Nicht Polemik aufgrund gravierender Mängel in Diagnostik und Therapie, sondern
die interdisziplinäre Zusammenarbeit der medizinischen Fachbereiche sei angezeigt.
Das Dilemma der Patienten, die nicht selten als Simulanten behandelt werden, da es
an einem nosologischen Konzept der Erkrankung mangelt, schilderte Professor Dr.
Erika Gromnica-Ihle aus Berlin. Die Fibromyalgie gehe einher mit einem
generalisierten, muskuloskeletalen Schmerz sowie mit Schlafstörungen, Müdigkeit,
vegetativen Funktionsstörungen und psychischen Symptomen, aber auch
gastrointestinalen und kardialen Symptomen, Atembeschwerden, Parästhesien,
Dysurie, kalten Körperenden (Finger, Zehen, Nase, Kinn, Ohrmuscheln),
Hyperhidrosis oder Tremor der Hände. Körperliche Untersuchungen, Röntgen,
Laborparameter seien ohne Befund.
Chronische Überlastung löst Erkrankung aus
Trotz meist lang andauernder Beschwerden seien organische Veränderungen nicht zu
registrieren, so Gromnica-Ihle. Sie nannte chronische Überlastung, Streß, mangelnde
Erholungsmöglichkeiten, Verspannungen der Muskulatur sowie ein verändertes
Schlafmuster und falsche Schmerzverarbeitung als Ursachen der Erkrankung.
Psychisch stehe die Neigung zur Depression im Vordergrund der Erkrankung. Bei
75 Prozent der Patienten handele es sich um ängstliche Persönlichkeiten, die über
Streß oder eine schwierige Kindheit, aber auch über psychosoziale
Dauerbelastungen klagen. Die Betroffenen neigen zu Perfektionismus und erscheinen
überangepaßt.
Nach den Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) ist
das Fibromyalgiesyndrom über die sogenannten Tender Points
(Hauptschmerzpunkte) definiert. Dolorimetrische Untersuchungen mittels
Druckaufnehmer ermöglichen die semiquantitative Objektivierung einer reduzierten
Schmerzschwelle auf mechanischen Druck im Vergleich zu Gesunden, sagte
Privatdozent Dr. Gunther Neeck, Bad Nauheim.
Das zentrale Moment der Symptomatologie scheine eine vorübergehende oder
fixierte Schmerzschwellenerniedrigung auf zentralnervöser Ebene zu sein, wobei
verschiedene Störungen im Transmittersystem (zum Beispiel Serotonin)
pathophysiologisch relevant sein dürften. Die Diagnose eines primären
Fibromyalgie-Syndroms sei immer eine Ausschlußdiagnose, so Neeck.
Symptomorientierte Therapie
Aufgrund vorliegender Befunde kann die Fibromyalgie als besondere Form einer
Depression betrachtet werden, betonte Professor Dr. Manfred Ackenheil aus
München. Patienten mit Fibromyalgiesyndrom werden häufig mit niedrigdosierten
Antidepressiva behandelt, wobei ein Ansprechen der Beschwerden nicht immer
gewährleistet sei.
Die Behandlung ist symptomorientiert, erklärte Dr. Haiko Sprott aus Jena. Neben
Antidepressiva kommen Myorelaxantien, Psychopharmaka, aber auch
Lokalanästhetika und Salben zum Einsatz. Die Therapie sei darüber hinaus
physikalischer (Bindegewebsmassagen, elektrogalvanische Vollbäder,
Wassergymnastik) sowie psychotherapeutischer Art (Schmerzverarbeitung,
Schmerzbewältigung und Entspannungsübungen, autogenes Training).
Dr. Jochen Tolk aus Kiel verwies auf die Rolle der analgetischen Bedarfsmedikation
und die große Bedeutung von Selbsthilfeaktivitäten. Von der Arbeitsgemeinschaft
um Professor Dr. Wolfgang Müller, Gründer des Fibromyalgiezentrums in Bad
Säckingen, sei der Serotonin-3-Rezeptor-Antagonist Tropisetron in die Behandlung
der Fibromyalgie eingeführt worden. In Doppelblindstudien gegen Placebo hätten
circa 400 Patienten über eine signifikante Besserung der Schmerzen berichtet.
PZ-Artikel von Dr. Christiane Berg, Tremsbüttel


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