Vom genetischen Christkind |
17.12.2001 00:00 Uhr |
von Ulrike Wagner, Düsseldorf
Embryonale Stammzellen, Designerbabies, Chips im Gehirn: Viele Diskussionen um umstrittene Entwicklungen der Wissenschaft münden letztlich in die Frage um das Selbstverständnis des Menschen. Soll Homo sapiens die Evolution jetzt selbst in die Hand nehmen? Einige Wissenschaftler würden dies lieber heute als morgen tun, andere halten es für unmöglich und warnen vor den Folgen eines gescheiterten Versuchs. "Homo ex machina? Visionen vom optimierten Menschen" war der Titel des Kongresses, auf dem Wissenschaftler ihre Vorstellungen von der Zukunft einer breiten Öffentlichkeit präsentierten. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen.
Am Bildschirm eine Seite im Internet aufrufen, verstehen, was diese Seite an Informationen bietet, weiterklicken mit der Maus: Das alles ist mit einer Höchstgeschwindigkeit von 15 Hertz möglich, bedingt durch das maximale Tempo, mit dem unsere Finger die Tastatur bedienen. Viel zu langsam, um die Rechenleistungen moderner Computer auszunutzen, meinen zumindest amerikanische Wissenschaftler.
Die Lösung des Problems sollen "direktere Schnittstellen" zwischen Mensch und Computer bringen, so Professor Dr. Gerald Q. Maguire, der derzeit am Institut für Mikroelektronik und Informationstechnologie der Königlich Technischen Hochschule Kista in Schweden lehrt. Gemeint sind damit Chips, die ins Gehirn implantiert werden. Damit könne die Interaktionsgeschwindigkeit zwischen Nutzer und Computer um den Faktor zehn und mehr erhöht werden. Menschen könnten in Zukunft mit anderen Menschen direkt im virtuellen Raum kommunizieren. Sie könnten sich selbst ins Internet heraufladen. Damit wären sie im Computernetz ständig und mit ihrer ganzen Person präsent. "Das Internet wird zum Weg zur Unsterblichkeit", schwärmte Maguire. Später würden die ins Netz geladenen Kopien dann eigenes Leben entwickeln. "Vielleicht liegt so die Zukunft des Menschen im Cyberspace und nicht mehr in unseren biologischen Körpern?", gab der amerikanische Wissenschaftler zu bedenken.
Computer überholen Menschen
Maguire ist fest davon überzeugt, dass die Computer ihren Siegeszug längst angetreten haben. Zurzeit trägt man sie nur am Körper. Der Schritt, sie zu implantieren, sei davon nicht weit entfernt. Zunächst würden solche Schnittstellen eingesetzt, um Prothesen zu lenken. Die nächsten Nutznießer seien dann Militärs. Und wenn diese aus dem Militärdienst entlassen werden, würden sie die Systeme auch im zivilen Sektor nutzen wollen. "Spätestens 2030 wird sich ein großer Teil der Bevölkerung Computersysteme, Schnittstellen und andere elektronische Aufrüstung implantieren lassen." Damit würden die Systeme auch wesentlich billiger, prognostizierte Maguire.
"Warum sollte ich mir ein Gehirnimplantat antun, wenn ich keinen Schlaganfall hatte?", entgegnete Professor Dr. Jörg-Uwe Meyer von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Er machte auf die Grenzen der Technologie aufmerksam. "Der Vergleich zwischen der Rechenleistung von Computer und Gehirn ist binäres Denken", kritisierte er. "Was sind schon 10 bis 2000 Mikrokontakte im Vergleich zu 105 bis 1015 verknüpften Neuronen?" Verglichen mit dem Gehirn, bei dem sich in jedem Kubikmillimeter 10 Milliarden Synapsen befinden, seien Elektroden grobschlächtig. "Chip und Nervensystem passen überhaupt nicht zusammen", sagte Meyer. Die Idee, Gedanken und Träume aus dem Gehirn auf den Computer oder gar ins Internet herunterzuladen hält er für "schwaches Ingenieursdenken" - genauso wie Nanoroboter. Den direkten Zugriff vom Gehirn auf das Internet hielt er zwar für möglich, aber nur für Teile, sicherlich nicht für das gesamte Ich.
Kaum in die Praxis umgesetzt
Bislang gebe es nur wenige elektronische Implantate, die tatsächlich an Patienten angewandt werden, sagte Meyer. Er nannte Herzschrittmacher, Cochlea-Implantate und Vagus-Nerv-Stimulatoren, die gegen Depressionen helfen sollen. Zudem sollen motorische Implantate Querschnittgelähmten Bewegungen ermöglichen. "Von 'stand up and walk' sind wir aber noch weit entfernt", sagte Meyer. Derzeit entwickeln Spezialisten Nervenstrom-gesteuerte Prothesen aus flexiblen biokompatiblen Materialien. "Aber die elektrischen Ableitungen reichen bei weitem nicht für den Informationsfluss aus, der über einen peripheren Nerven läuft", so Meyer.
Im Vergleich zur Perzeption sei die Stimulation von Nerven einfacher. So entwickeln deutsche Wissenschaftler seit sechs Jahren Neurostimulatoren für die Retina, die bei Blinden Sehempfindungen provozieren sollen. Dazu wird ein Chip auf die Retina implantiert, der Signale aussendet, die dann vom Sehnerv zum visuellen Cortex geleitet werden. Beim Tier habe man mit dieser Technik erste Erfolge verzeichnen können. Allerdings erreichen die Systeme eine räumliche Auflösung von gerade einmal 24 Punkten - "weit weg vom eigentlichen Sehempfinden".
Für zukunftsträchtiger als die Implantation von Computerchips hält Meyer Gewebeimplantate oder Chips kombiniert mit Zellen, so genannte biohybride Zellimplantate. So könnten Mikrosonden embryonale Nervenzellen kontrollieren, wenn diese zum Beispiel den Kontakt zum Muskel herstellen.
Blüte der Humanität?
Auch beim Thema Gentechnik kennen einige amerikanische Wissenschaftler offensichtlich keine Grenzen. So plädierte Professor Dr. Gregory Stock für Eingriffe in die Keimbahn und dafür, dass Eltern die Eigenschaften ihrer Kinder gezielt auswählen und beeinflussen. Bedenken anderer Wissenschaftler, die diese Eingriffe für zu gefährlich halten, weil sie alle zukünftigen Generationen beeinflussen, teilte er nicht. Seiner Meinung nach sind solche Methoden bereits in naher Zukunft realisierbar. Er sah darin die Entwicklung zu einem "flowering of humanitiy", einer Blüte der Menschlichkeit. Es sei erstrebenswert, den Menschen zu verbessern. Eltern wollten doch nur das Beste für ihr Kind und wenn es besonders schlau sein soll, sei dies ein Gewinn für die Menschheit. Sicher könne man Fehler dabei nicht ausschließen, aber aus solchen Fehlern müsse man dann eben lernen. Genauso wie der Mensch seine Umwelt verändert habe, nehme er jetzt eben seine eigene Evolution selbst in die Hand, um sich selbst zu perfektionieren.
"Wie sollte ein unvollkommener Mensch in der Lage sein, eine vollkommene Menschheit zu schaffen", entgegnete ihm Professor Dr. Linus S. Geisler, Gladbeck. Zum menschlichen Zusammenleben gehöre die unbedingte Annahme anderer Menschen, von Partnern untereinander und von Kindern durch ihre Eltern. "Wollen Sie als Eltern Ihrem zwölfjährigen Kind erklären, dass Sie es ganz besonders lieben, weil Sie vor dessen Geburt sichergestellt haben, dass es nicht die Erbkrankheit von Tante Emma hat?", provozierte Geisler.
"Das gesunde Kind erweist sich als Auslaufmodell", sagte der Mediziner. "Das Genkind wird zum genetischen Christkind, das alle Wünsche erfüllt." Die Eltern würden ihre selbst nicht erreichten Ziele in ihre Kinder projizieren. Dabei sei die Idee vom genetischen Determinismus, - dass alle Eigenschaften in den Genen begründet liegen und die Umwelt nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen hat - wissenschaftlich längst überwunden.
Geisler kritisierte neben In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik vor allem Eingriffe in die Keimbahn. Der Mensch habe einen Anspruch auf ein unverändertes Erbgut. Mit der Keimbahntherapie werden Generationen von Menschen in ihrem Erbgut verändert, ohne dass sie überhaupt zustimmen können. "Der Mensch, der sich einem solchen Langzeitexperiment hingibt, ist schutzlos gegenüber jeglicher Manipulation und wird zudem immer imperfekt bleiben", sagte Geisler. Ob Eingriffe in die menschliche Keimbahn jemals auch nur annähernd zu Verbesserungen führen können, sei ungewiss. Gewiss sei aber, dass es sich um eine Strategie der Machtentfaltung zur finalen Kontrolle über das menschliche Leben handele. Geisler: "Überzeugende Gründe für die Optimierung des Menschen lassen sich schwerlich ausmachen. Sehr viele Gründe hingegen sprechen für eine Optimierung der Lebenswelt jenes Großteils der Menschheit, dem es durch Unterdrückung, Ausbeutung und Verteilungsungerechtigkeiten verwehrt ist, aus der jedem Menschen innewohnenden reichen Vielfalt seiner Möglichkeiten zu schöpfen."
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