Medizin |
29.11.1999 00:00 Uhr |
Die meisten Krebszellen verdanken ihre Unsterblichkeit der Telomerase. Wird das Enzym gehemmt, sterben die entarteten Zellen.
Telomere schützen Chromosomen vor dem Abbau. Es handelt sich dabei um DNA-Sequenzen, die wie eine Zündschnur an den Enden der Erbgutträger sitzen. Bei jeder Zellteilung wird die Telomer-DNA ein Stück kürzer. Das Leben einer Zelle endet, wenn die Lunte abgebrannt ist.
Die unsterblichen Krebszellen haben ein spezifisches Enzym, mit dem sie diesen Prozess stoppen können - die Telomerase. Die Telomerase katalysiert die De-novo-Synthese der Telomere, die Zündschnur wird repariert. Das Enzym ist tumorspezifisch, in sterblichen Zellen kommt es nicht vor.
Wissenschaftler trachten schon seit einiger Zeit danach, durch eine Hemmung der Telomerase den Krebszellen ihre Sterblichkeit zurückzugeben. Doch bislang war ungewiss, ob entartete Zellen tatsächlich zu Grunde gehen, wenn ihre Telomere schrumpfen. William Hahn und seinen Kollegen von Massachusetts Institute for Technology ist jetzt der Beweis gelungen.
In verschiedene Krebszellkulturen schleusten die Forscher das Gen einer inaktive Telomerase-Variante in die Zelle ein. Mit Erfolg: In den meisten Tumorkulturen sank die Telomerlänge mit jedem Zellzyklus. Nur einige wenige Krebszellen, die ihre Telomere unabhängig von der Telomerase in Schuss halten können, überlebten die Behandlung. Alle anderen Tumortypen starben ab.
Besonders hoffnungsfroh stimmt Hahn, dass auch Versuche mit Mäusen erfolgreich verliefen. Der Krebsforscher räumt ein, dass Mäuseversuche häufig Hoffnungen wecken, die später enttäuscht werden. Die Versuche hätten aber zumindest gezeigt, dass die Hemmung der Telomerase ein Ansatz ist, Tumorzellen mit relativ geringen Auswirkungen auf sterbliche Körperzellen zu zerstören.
Quelle: Hahn, W. C., et al. Nature Medicine, Oktober 1999, 1164-1170
Lieber arm als einsamArmut ist kein Grund Selbstmord zu begehen, mangelnde soziale Bindungen dagegen schon. Dieses Fazit ziehen die Initiatoren einer britischen Studie, die den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Sozialstruktur mit Selbstmordraten in 633 britischen Wahlkreisen von 1981 bis 1992 untersuchten.
Dabei registrierten Elise Whitley und ihre Kollegen die meisten Selbstmorde in Wahlkreisen, in denen es viele Einzelhaushalte gibt, wo die Fluktuation der Bewohner groß ist und viele Unverheiratete leben. Die Beobachtung machten sie unabhängig vom Wohlstand der dort lebenden Menschen. Die Größe der Häuser, Zahl der gemeldeten Autos oder Arbeitslosenquote korrelierten nicht mit der Suizidrate.
Wie Whitley weiter feststellte, verlaufen auch die Änderungen von Sozialstruktur und Selbstmordrate in einem Wahlkreis parallel. Dort, wo sich die soziale Struktur während des Untersuchungszeitraums verschlechtert hat, mehrten sich auch die Selbstmorde. Verarmung hatte dagegen keinen Einfluss.
Quelle: Whitley, E., et.al., BMJ, 1999, 319; 1034-1037
Altersbedingter Stromausfall in der Zelle
Wahrscheinlich altern Menschen, weil ihre zelluläre Energieversorgung ins Stocken gerät. Genetiker vom kalifornischen Institut für Technologie haben auf der Mitochondrien-DNA von Senioren Mutationen gefunden, die bei jungen Menschen nicht vorkommen.
Giuseppe Attardi und seine Mitarbeiter entdeckten die Veränderungen an einer Schlüsselstelle im Erbgut der Zellkraftwerke. Die Mutationen seien zwar vergleichsweise selten, räumen die Wissenschaftler ein, aber folgenschwer: Sie stoppen die Replikation der DNA. An empfindlicher Stelle getroffen, scheren die Kraftwerke aus dem zellulären Energieverbund aus. Sie gehen vom Netz. In die Jahre gekommene Reaktoren schalten sich so nach und nach selbst ab und drehen der Zelle den Saft ab.
Die Mutationen sind altersbedingt. Die Forscher fanden sie ausschließlich bei Menschen über 48 Jahren. Untersuchungen von konserviertem Gewebe, das den älteren Versuchspersonen vor neun und 19 Jahren entnommen worden war, bestätigten die Vermutung, dass es sich um altersabhängige Mutationen handelt. In den im Jugendstadium eingefrorenen Zellen war die Mitochondrien-DNA in fehlerfreien Zustand.
Quelle: Michikawa, Y., et al.; Science Vol 286, 22. Oktober 1999 774-779
Nervenzellen doch regenerationsfähig
Neue Erkenntnisse über die Neubildung von Nervenzellen in der Großhirnrinde höherer Primaten haben jetzt ein Dogma der Neurophysiologie ins Wanken gebracht.
Elizabeth Gould und ihre Kollegen von der Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey beobachteten bei Makaken, einer meerkatzenartigen Affenart, dass sich zentrale Nervenzellen entgegen der Lehrmeinung in ausgewachsenem Nervengewebe doch neu bilden können.
Bislang galt die Großhirnrinde eines erwachsenen Primaten als strukturell stabil. Nervenzellen wachsen ausschließlich pränatal, nicht mehr nach abgeschlossener Entwicklung des Gehirns, war bisher die Ansicht der Wissenschaftler.
Wie die amerikanischen Forscher mit Hilfe einer DNS-Markierungssonde nun zeigen konnten, bilden sich Nervenzellen in bestimmten Arealen des Großhirns postnatal doch nach. Neuronale Vorläuferzellen scheinen ausgehend von ihrem Entstehungsort in der subventrikulären Zone durch die weiße Marksubstanz bis hin zur Großhirnrinde zu wandern, wo sie sich schließlich zu reifen Neuronen differenzieren. Die Wissenschaftler vermuten, dass ein solcher Austausch von alten gegen neue Nervenzellen im Bereich des kognitiven Neocortex die zeitliche Dimension von Gedächtnis und Lernvermögen erklären könnte.
Sollten sich diese Erkenntnisse auch beim Menschen bestätigen, ergeben sich daraus neue Ansätze in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen, erwarten die Experten.
Quelle: Elizabeth Gould et al, Science, Vol. 286, 15. Oktober 1999
Die Pflanze danach
Extrakte aus einem indischen Wolfsmilchgewächs können Schwangerschaften verhindern - zumindest bei Ratten. Die Arbeitsgruppe um Shivayogi P. Hirmath von der Gulbarga-Universität in Indien testete vier verschiedene Extrakte von Acalypha indica auf ihre fruchtbarkeitshemmende Wirkung.
Hatten sich die Ratten gepaart, erhielten die Weibchen anschließend an sieben Tagen peroral entweder 300 oder 600 mg Extrakt pro kg Körpergewicht beziehungsweise Placebo. In jeder Gruppe waren acht Ratten.
Am stärksten fruchtbarkeitshemmend wirkte der Petrolether-Extrakt. Von den acht Ratten, die 600 mg/kg KG erhalten hatten, wurden sechs nicht trächtig. In der niedrigen Dosierung verhinderte der Petrolether-Extrakt noch bei drei von acht Ratten, dass sich befruchtete Eizellen einnisteten. Der ethanolische Extrakt schnitt etwas schlechter ab; mit fünf von acht Ratten in der Gruppe, die die höhere Dosierung erhalten hatten und drei von acht Ratten ohne Nachwuchs, die mit der niedrigeren Dosierung behandelt worden waren. Chloroform-Extrakt und wässriger Extrakt hatten keinen fruchtbarkeitshemmenden Effekt.
Die Wirkung der Pflanzenenextrakte war reversibel. Nach Absetzen der Behandlung wurden alle Ratten nach erneuter Paarung trächtig und brachten normal entwickelte Junge zur Welt. Sowohl der Petrolether-Extrakt als auch der ethanolische Extrakt haben estrogene Wirkung auf den Durchmesser des Uterus, die Dicke des Endometriums und die Dicke des Endometrium-Epithels, so die Ergebnisse der indischen Forscher.
Quelle: Hiremath, Shivayogi, P. et al., Journal of Ethnopharmacology 67, 1999, 253 - 258
Angstfrei ohne Nebenwirkungen
Das breite Spektrum erwünschter und unerwünschter Effekte von Benzodiazepinen ist auf verschiedene a-Subtypen des GABAA-Rezeptors zurückzuführen. Das fanden jetzt Pharmakologen der Universität Zürich mit ihren Untersuchungen an Mäusen heraus.
Benzodiazepine binden an den GABAA-Rezeptor-Chloridkanal-Komplex und verstärken die hemmende Wirkung von GABA. Der Rezeptor-Komplex ist ein Heteropentamer aus zwei a-, zwei ß- und einer g-Untereinheit. Die Bindungsstellen für Benzodiazepine befinden sich auf der a- , die für GABA auf der ß-Untereinheit. Rudolf und seine Kollegen entwickelten Knock-out Mäuse, deren a-Untereinheit mutiert war und Benzodiazepine daher nicht mehr binden konnte. Diese Mäuse waren völlig gesund. Gab man ihnen Diazepam, wirkte die Substanz weder sedierend noch schränkte es die Erinnerung ein. Dagegen wurden Kontrollmäuse unter den gleichen Bedingungen träge und vergesslich. Überraschenderweise führte Diazepam in beiden Gruppen, das heißt auch in Knock-out Mäusen zur Anxiolyse. Die angstlösende und sedierende Wirkung von Benzodiazepinen scheinen somit nicht gekoppelt, sondern vom Subtyp der a- Untereinheit abhängig zu sein, so die Wissenschaftler.
Quelle: Rudolph, U. et al., Nature, Vol. 401, 796 - 800.
NO ist ein Neurotransmitter, eine Chemowaffe der Immunabwehr und ein Thromozytenaggregationsblocker - das gasförmige Stickstoffmonoxid gilt schon lange als physiologischer Tausendsassa. Jetzt haben Wissenschaftler entdeckt, dass es außerdem antioxidativ wirkt.
NO-freisetzende Substanzen werden seit langem zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzt. NO wirkt gefäßerweiternd und antianginös. Neu ist, dass das Gas auch ein gefäßprotektives Potenzial hat. Wie der Hallenser Pharmakologe Professor Dr. Henning Schröder auf einer Medica-Veranstaltung erläuterte, schützt NO Endothelzellen vor oxidativem Stress.
Freie Eisenionen katalysieren Oxidationsprozesse und damit die Entstehung schädlicher Radikale. Das körpereigene Protein Ferritin kann Eisenionen im Cytosol binden und sie so entschärfen. Stickstoffmonoxid induziert wiederum die Synthese des eisenbindenden Proteins. Dadurch werde die Bildung von Oxidationsprodukten gestoppt, sagte Schröder. Im Gegensatz zu anderen Antioxdantien fängt NO die Sauerstoffradikale also nicht direkt ab, sondern lässt sie vom Ferritin einfangen.
Weiter verstärkt wird das antioxdative Potenzial von NO durch seine Wirkung auf die Hämoxigenase-1. Das Enzym kurbelt die Bildung von Ferritin an. Darüber hinaus greift die Hämoxigenase-1 in den Gallenstoffwechsel ein und fördert die Synthese des ebenfalls antioxidativ wirksamen Bilirubins. Allerdings steige der Bilirubinspiegel nur moderat an, sagte Schröder, eine Hyperbilirubinäme sei nicht zu erwarten.
Der antioxidative Effekt von Stickstoffmonoxid sei im Reagenzglas belegt, so Schröder weiter. Demnach induzieren NO-Donoren und ACE-Hemmer in Endothelzellkulturen die Ferritinproduktion. Dies belege, dass NO ein indirektes Antioxidans mit endothelprotektiven Effekten sei. NO substituierende und freisetzende Medikamente hätten dieselbe Wirkung.
© 1999 GOVI-Verlag
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