Blut als Heilmittel |
17.11.2003 00:00 Uhr |
Auf Sardinien teilen 1200 junge Menschen ein gemeinsames Schicksal: Sie leiden an Thalassämie, einer vor allem in Mittelmeerländern verbreiteten Krankheit, bei der die Bildung roter Blutkörperchen gestört ist. Da etwa ein Viertel der 1,7 Millionen Sarden den Thalassämie-Gendefekt tragen, sind die Inselbewohner dringend auf die Einfuhr von gesundem Blut aus anderen Ländern angewiesen.
Thalassämie-Patienten bilden auf Grund eines Fehlers im Erbgut keinen normalen Blutfarbstoff: Die Synthese einer oder mehrerer Globinketten, von denen im Hämoglobin insgesamt vier verschiedene (a, b, g, d) vorkommen, ist gestört. Je nachdem wo der Defekt vorliegt, lassen sich die Thalassämien in verschiedene Formen unterteilen. Bei der b-Thalassämie, die vor allem im Mittelmeerraum verbreitet ist, werden zu wenig b-Ketten gebildet. Bei der a-Thalassämie, die hauptsächlich in Südostasien auftritt, ist dagegen die Produktion der a-Ketten verringert.
Bei beiden Formen enthalten die Erythrozyten, deren Hauptaufgabe der kontinuierliche Sauerstoff-Transport von der Lunge zu den O2-verbrauchenden Mikrosomen der Zellen ist, zu wenig des Sauerstoff-Trägerproteins Hämoglobin. Dieser Mangel an Transportkapazität wird mit verschiedenen Kompensationsmechanismen beantwortet: Zum einen steigt die Atmungsfrequenz und Kreislaufaktivität, zum anderen bildet der Körper vermehrt Erythrozyten.
Zu wenig Erythrozyten
Die roten Blutkörperchen sterben bei Thalassämie-Patienten nicht wie normal nach etwa 120 Tagen, sondern bereits nach 30 bis 40 Tagen ab. Der Körper versucht, die Zahl der Erythrozyten durch vermehrte Produktion zu erhöhen. Das blutbildende Gewebe, das Knochenmark, der betroffenen Patienten nimmt an Masse zu. Dadurch verändern sich die Knochenstrukturen, die Patienten leiden an schweren Deformierungen von Gesichtsschädel, Armen und Beinen. Ihre körperliche Entwicklung ist erheblich beeinträchtigt. Zusätzlich sind Leber und Milz, die auch zur Blutbildung beitragen, vergrößert. Die Betroffenen haben eine sehr blasse Haut und zeigen allgemeine Symptome wie Müdigkeit, Schwäche, Belastungsdyspnoe und Herzklopfen.
Je nach Schweregrad kann die Erkrankung unterteilt werden: Die schwächere Form, Thalassaemia minor, tritt bei Personen auf, die von den Eltern eine intakte und eine defekte Genkopie geerbt haben. Menschen, die zwei fehlerhafte Kopien eines Hämoglobingens besitzen, entwickeln die stärkere Form, Thalassaemia major.
Diagnose
Eine Anämie liegt vor, wenn die Zahl der zirkulierenden Erythrozyten und damit die Hämoglobinkonzentration unter die auf Geschlecht und Alter bezogenen Normwerte erniedrigt ist. Frauen haben im Durchschnitt 4,8 x 1012 rote Blutkörperchen pro Liter Blut, Männer 5,5 x 1012. Der klinische Befund einer Anämie bedarf einer ursächlichen Abklärung. Zur Diagnosesicherung wird das Blutbild der Patienten genauer untersucht.
Patienten mit Thalassaemia minor benötigen in der Regel keine Therapie, gelegentlich sind aber Transfusionen notwendig. Eine Folsäuresubstitution kann die Blutbildung verbessern. Die Indikation zur Transfusion liegt nur bei lebensbedrohlichen Dimensionen, vor allem bei Patienten mit Thalassaemia major, vor. Zur Behandlung werden heute Erythrozytenkonzentrate (EK) eingesetzt, wenn die Patienten nicht auf eine Therapie mit Antianämika wie Eisen, Vitamin B12 oder Folsäure und Erythropoetin (EPO) ansprechen.
Ohne lebenslange Substitution mit Erythrozyten, also eine regelmäßige Gabe von Blutkonserven, und engmaschige medizinische Betreuung verläuft Thalassaemia major tödlich. Die eingesetzten Blutkonserven enthalten je 200 bis 250 mg Eisen. Bei Transfusion von drei Einheiten Blut in sechs Wochen, wie sie bei refraktären Anämien typisch ist, sammeln sich im Körper 6 bis 7 g Eisen pro Jahr an. Dies führt langfristig zu Folgeerkrankungen, die synergistisch zu den Spätschäden der Thalassämie hinzukommen, wie zum Beispiel Hypopigmentation der Haut, Leberfibrose beziehungsweise -zirrhose, Diabetes mellitus, Wachstumsstörungen und Ausbleiben der Pubertät.
Um die Risiken der chronischen Transfusionsbehandlung zu minimieren, muss das freigesetzte Eisen aus dem Körper ausgeschwemmt werden. Die einzige Methode zur Eisenelimination besteht derzeit darin, den Betroffenen über mehrere Stunden pro Tag den Chelatbildner Desferrioxamin (Desferal®) parenteral zu applizieren. Die Substanz komplexiert die Eisenablagerungen und macht sie damit für Katabolismus und Exkretion zugänglich.
Inzwischen sind eine Reihe oral anwendbarer Chelatbildner entwickelt worden, die aber bislang wegen fehlender Toxizitätsprüfung noch nicht zur Anwendung beim Menschen zugelassen sind (5). Ergänzend zur Chelattherapie kann die Eisenaufnahme aus der Nahrung durch Beigabe von schwarzem Tee signifikant gesenkt werden (6, 7). Dieser Effekt kann bei Thalasaemia major therapeutisch genutzt werden, um die Eisenbilanz zu verbessern (8, 9, 10). Die zusätzliche Gabe von Ascorbinsäure steigert die Eisenexkretion durch Desferrioxamin, erhöht jedoch zugleich die Kardiotoxizität während der Eisenmobilisation. Eine konsequente, über Jahre fortgeführte Substitutions- und Chelattherapie führt zu guten Langzeitergebnissen der Thalassämie-Behandlung.
Die einzige Behandlung, die zu einer wirklichen Heilung der Krankheit führt, ist allerdings die Knochenmarkstransplantation. Hierfür muss ein gesunder Spender zur Verfügung stehen und das thalassämiekranke Kind sollte in guter körperlicher Verfassung sein.
Blutbrücke für kranke Kinder Um thalassämiekranken Kindern dauerhaft zu helfen, hat der Blutspendedienst der Bundeswehr Koblenz seit Mai 1978 zusammen mit der Bundesluftwaffe eine so genannte „Blutbrücke" organisiert. Regelmäßig werden Blutkonserven mit den benötigten Blutgruppen und Untergruppen unentgeltlich zur Verfügung gestellt und nach Sardinien geflogen. Die Luftwaffe unterhält nahe dem Ort Decimomannu einen großen Stützpunkt mit umfangreichem militärischem Übungsflugbetrieb. Seit Bestehen des Projektes lieferte der Blutspendedienst circa 40.000 Blutkonserven für die Kinder nach Sardinien.
Am 26. September fand anlässlich des 25-jährigen Bestehens der „Blutbrücke" eine Benefizveranstaltung in der Rheinkaserne in Koblenz statt, an dem unter anderem der Initiator des Projektes, Oberfeldapotheker a. D. Dieter Brandt, und der Vorsitzende der Deutschen Thalassämiehilfe e. V., Oberstarzt Dr. Franz Grell. Spenden und vor allem die am Benefizabend stattfindende Tombola brachten einen großen finanziellen Erlös für die Kinder ein.
Literatur
Für die Verfasser:
Thomas Klose
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz - Blutspendedienst
Andernacher Straße 100
56070 Koblenz
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