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Todesstoß für Tumorzellen

03.11.2003  00:00 Uhr
Apoptose-Steuerung

Todesstoß für Tumorzellen

von Brigitte M. Gensthaler, Würzburg

Fast jede Körperzelle kann sich selbst töten. Ist dieser Apoptose-Prozess gestört, resultieren ernste Krankheiten bis hin zum Krebs. Ziel vieler Forscher ist es daher, Blockaden im Apoptose-Signalweg gezielt zu lösen, um einen gerichteten Zelltod zu ermöglichen.

Ohne Apoptose kein Leben: „Der gerichtete, aktive Zelltod spielt die zentrale Rolle in physiologischen Prozessen. Jede Deregulation hat ernsthafte pathophysiologische Folgen“, erklärte Professor Dr. Angelika Vollmar von der Universität München beim Jahreskongress der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Mitte Oktober in Würzburg.

Ein Zellverband kann nur bestehen, wenn Mitose und Apoptose, also Zellvermehrung und Zelltod, im geordneten Gleichgewicht stehen. Bei überschießender Apoptose gehen zu viele Zellen zu Grunde. Bei Morbus Alzheimer sind Neuronen im Gehirn betroffen, bei Aids sind es Immunzellen. Das Gegenteil ist bei Tumoren und einigen Autoimmunerkrankungen der Fall: Die Apoptose ist blockiert, so dass Zellen ungehindert wuchern können. Auch die Resistenz vieler Krebszellen gegenüber Zytostatika beruht auf gestörten Apoptose-Signalwegen. Proteine, die diese Signalwege kontrollieren, eignen sich daher als Zielmoleküle für Arzneistoffe, erklärte die Pharmazeutische Biologin.

Signal zum Freitod

Wie beginnt das Ende einer Zelle? Man kennt heute den extrinsischen und den intrinsischen Weg, die aber nicht planlos nebeneinander ablaufen, sondern über das Protein BID verbunden sind.

Beim extrinsischen Weg bindet ein Proteinligand an einen membranständigen „Todesrezeptor“ und löst intrazellulär zahlreiche Folgereaktionen aus, bei denen Caspasen (Cysteinyl aspartate specific proteases) aktiviert werden. Caspase-3 läutet schließlich den Zelltod ein. Gut untersucht sind beispielsweise TNF- oder FAS-(CD95)-Todesrezeptoren.

Hauptakteure beim intrinsischen Weg sind die Mitochondrien, erklärte Vollmar. Wirken zum Beispiel UV-Licht oder Arzneistoffe auf eine Zelle ein, gerät diese unter Stress. Proteine vom BH3-only-Typ übermitteln das Signal und aktivieren in der Zelle die Proteine Bax und Bak, die sich in die Mitochondrienmembran einlagern und Poren bilden. Das Mitochondrium wird löchrig und setzt Mediatoren wie Cytochrom C ins Zytoplasma frei. Fatale Folge: Bindet der Mediator an das Adaptorprotein Apaf-1, kann ein Komplex entstehen (Apoptosom), der wiederum Caspasen aktiviert. Caspase-3 gibt schließlich auch hier das Selbstmordsignal.

Bcl-2-Protein lahm legen

Ein so wichtiger Prozess ist gewissenhaft reguliert. Als eine essenzielle Proteinfamilie stellte Vollmar die Bcl-2-Moleküle vor. Sie sind in der äußeren Mitochondrienmembran verankert und können andere Proteine binden. Wird beispielsweise das Bcl-2-Protein überexprimiert, bindet es seine proapoptisch wirksamen Gegenspieler Bak und Bax und verhindert damit den Zelltod. Diese Überexpression macht Zellen gegen viele Chemotherapeutika resistent. Der Bcl-2-Spiegel wird daher bei Tumorpatienten inzwischen als Marker für eine Chemoresistenz genutzt.

Die zentrale Stellung des Bcl-2-Proteins lässt aufhorchen. „Arzneistoffe, die mit diesem Target interagieren, sensibilisieren die Tumorzelle gegen Zytostatika oder wirken selbst anti-chemoresistent“, stellte die Forscherin klar. Sie arbeitet selbst mit einem Naturstoff, der Jun-Kinasen aktiviert, die ihrerseits das Bcl-2-Protein durch Hyperphosphorylierung lahm legen. Schlecht für die Tumorzelle: Sie reagiert wieder empfindlich auf das Apoptose-Signal und stirbt ab.

Einen anderen Ansatz verfolgt die Antisense-Therapie. Dabei binden Antisense-Nucleotide an die Bcl-2-messenger-RNA, die dadurch nicht mehr richtig abgelesen werden kann. So entstehen keine funktionsfähigen Bcl-2-Proteine. In klinischer Phase II und III werden solche Nucleotide bereits beim malignen Melanom (lokale Anwendung) und multiplem Myelom eingesetzt.

Smac räumt den Apoptose-Weg frei

Eine zweite wichtige Gruppe sind Inhibiting Apoptosis Proteins, kurz IAP. Sie binden Caspase-3 und –9, blockieren damit deren katalytische Aktivität und unterbrechen so die Apoptose-Signalkette. Diese IAP-Proteine können Chemotherapie-Resistenz bei Hodgkin-Lymphomen verursachen. Endogener Gegenspieler ist das von Mitochondrien freigesetzte Protein Smac, das seinerseits an die Bindedomänen auf IAP andockt und Caspasen aus der Falle befreit.

Diesen Prozess wollen die Forscher mit Smac-Peptidanaloga imitieren. In ersten Versuchen wurden Agonisten in stark chemoresistente, maligne Gliomazellen eingebracht und konnten dort die Resistenz durchbrechen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Arbeitsgruppe um Vollmar mit dem Molekül Cephalostatin-1 aus dem marinen Wurm Cephalodiscus gilchristi. In vitro regte der Stoff Mitochondrien zur Ausschüttung großer Mengen von Smac-Protein an. „Cephalostatin könnte Zellen helfen, durch Smac-Freisetzung die Chemoresistenz zu überwinden“, hofft die Münchner Forscherin. Können Tumorzellen wieder sterben, hilft das den Körperzellen zu leben.

 

Apoptose oder Nekrose Den Zelltod kann man im Elektronenmikroskop beobachten. Beim ungerichteten Zelltod, der Nekrose, schwillt die Zelle an, die Membran bricht auf und entlässt den Zellinhalt in die Umgebung. Anders bei der Apoptose: Die Zelle schrumpft, die DNA kondensiert, und der Zellinhalt zerlegt sich bei intakter Zellmembran.

In beiden Fällen werden die Reste von Fresszellen phagozytiert. Dennoch reagieren die „Hinterbliebenen“ völlig unterschiedlich auf den Tod des Zellnachbarn. Bei der Nekrose kommt es durch Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen wie TNF-a und Interleukin-1b zur Entzündung. Dagegen verläuft die Apoptose in ruhigen Bahnen, da antiinflammatorische Mediatoren wie TGF-1b freigesetzt und Entzündungsmarker gedämpft werden.

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