Schlafstörungen sind ernst zu nehmen |
31.10.2005 00:00 Uhr |
Schlaf wird von vielen nur als ein notwendiges Übel gesehen. Er ist aber enorm wichtig für Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Schlafstörungen sollten von Betroffenen und Ärzten ernst genommen werden, forderten Schlafmediziner auf dem ersten weltweiten Schlafkongress in Berlin.
Wie viel Schlaf ist normal, wie viel ist gesund? Fragen, die selbst Schlafmediziner, also Ärzte mit der Zusatzqualifizierung Schlafmedizin, nur individuell beantworten können. Denn zum einen unterscheidet man in der Bevölkerung die Chronotypen »Lerche« und »Eule«, bei denen der gesamte Tagesrhythmus nach vorne beziehungsweise hinten verschoben ist. Zum anderen gibt es Kurz- und Langschläfer, für die die gleiche Schlafdauer jeweils ganz unterschiedliche Erholungsgrade mit sich bringt. So sind für die einen sechs für die anderen neun Stunden völlig normal. Kürzlich haben Wissenschaftler von der Universität Zürich in einer Studie mit mehr als 4300 Probanden ein so genanntes »Tiefschlaf-Gen« entdeckt. Menschen mit einer Mutation im Adenosin-Desaminase-Gen haben einen tieferen Schlaf als Vergleichspersonen.
Neben einer genetischen Komponente ist die Schlafdauer auch vom Alter abhängig. So schlummern Neugeborene noch bis zu 16 Stunden. Mit einem Alter von 16 Jahren stellt sich in der Regel die optimale Schlafdauer ein, die sich auch im Alter kaum noch verkürzt. Zwar schlafen Ältere nachts häufig kürzer, dafür aber auf öfter um die Mittagszeit. Darüber hinaus verbrauchen Ältere in der Regel weniger Energie, sodass auch weniger Schlaf nötig ist. Sorgen wegen einer vermeintlichen Schlaflosigkeit sind daher häufig unbegründet.
Die Deutschen schlafen laut einer repräsentativen Studie im Durchschnitt 7,2 Stunden. Diese Zahl beinhaltet, dass viele zu wenig schlafen. »Der Kernschlaf sollte sechs Stunden betragen, alles darüber ist Wohlfühlschlaf«, sagte Privatdozent Dr. Ingo Fietze vom Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und -medizin (DGSM) in Berlin. Als Grund für einen zu kurzen Schlaf nannte der Mediziner auch den Einfluss einer Großstadt, mit ihrem Licht, Lärm und zahlreichen Kulturangeboten. Eine von der Charité geleitete Fragebogenstudie mit 1913 Personen hatte 2001 ergeben, dass in Berlin jeder 13. Bürger mit Schlafstörungen zu kämpfen hat. Der deutschlandweite Schnitt lag bei 4 Prozent, am besten schlafen Menschen in ländlichen Regionen Baden-Württembergs oder Thüringens, so Fietze.
Die Prozentzahlen bei solchen Erhebungen schwanken mit der Art der Fragebögen allerdings erheblich. So ist im Heft 27 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zu lesen, dass etwa jeder vierte Erwachsene an Schlafstörungen leidet und mehr als 10 Prozent der Bürger ihren Schlaf häufig oder dauerhaft als nicht erholsam ansehen. Zudem ist eine Bewertung stets subjektiv und ohne Informationen werden manche Normalitäten falsch eingestuft. So ärgern sich viele Menschen, wenn sie nachts aufwachen und können schon deswegen nicht mehr einschlafen. Sie sollten wissen, dass vier Aufwachreaktionen pro Stunde völlig physiologisch sind, sagte der Regensburger Schlafforscher Professor Dr. Jürgen Zulley auf einer Pressekonferenz der Firma Merck. Bewusst wahrgenommen werden diese aber erst, wenn man mehr als drei Minuten wach ist.
Schlaf online testen Auch per Internet-Fragebogen können Betroffene ihren Schlaf analysieren lassen. Dazu hat Professor Dr. Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Uniklinikum Regensburg, mit Unterstützung von Merck ein Internetportal entwickelt. Unter www.schlaftrainer.de werden Interessierte in 21 Fragen zu ihrem Schlaf befragt. Innerhalb von einem Tag erhalten sie dann eine zehnseitige, computergestützte Auswertung. Diese enthält verschiedene Schlaftipps sowie gegebenenfalls den Rat, einen Arzt aufzusuchen. Die Ergebnisse einer Auswertung von 5700 Fragebögen stellte der Schlafmediziner auf der DGSM-Jahrestagung vor. Demnach benötigte jeder Dritte mehr als 45 Minuten zum Einschlafen, ein weiteres Drittel litt unter Durchschlafstörungen. Dabei wussten die meisten nicht, warum sie unter Schlafstörungen leiden, aber dass ihr Leben davon häufig beeinflusst wird. So hatten 11 Prozent der Befragten bereits einen Sekundenschlaf am Steuer erlebt, 38 Prozent gaben an, häufig gedrückter Stimmung zu sein. Rund 25 Prozent nahmen gelegentlich, 7 Prozent bereits über einen längeren Zeitraum Schlafmittel ein.
Wenn die Nacht den Tag beeinträchtigt
Behandlungsbedürftig wird eine Schlafstörung, wenn der Tag beeinträchtigt ist. Besteht sie länger als vier Wochen sollten Betroffene sich an einen Arzt wenden und sich gegebenenfalls in eines der 316 bei der DGSM akkreditierten Schlafmedizinischen Zentren überweisen lassen (www.dgsm.de). Denn auch bei Schlafstörungen besteht die Gefahr der Chronifizierung, von der Schlafmediziner ab einer Dauer von einem halben Jahr sprechen. Hierunter versteht man eine Konditionierung des Körpers beziehungsweise der Psyche: Der Körper lernt anzuspannen, wenn man ins Bett geht. »Im Durchschnitt kommen die Patienten aber erst nach fünf Jahren ins Schlaflabor«, so Zulley.
Schon länger ist bekannt, dass der Schlaf in verschiedenen Phasen verläuft. Dabei hat ein Mensch in der Regel nur zwei bis drei Tiefschlafphasen. »Diese sind immer in der ersten Schlafhälfte, werden aber auch schnell gestört, etwa durch Lärm oder Schmerzen«, berichtete Zulley. Ist dies der Fall, versucht der Organismus, sich durch Tiefschlafphasen gegen Morgen zu erholen. Klingelt dann der Wecker, fühlen die Betroffenen sich wie gerädert. Die Tiefschlafphasen sind nötig, um sich zu erholen; in den Traum- oder REM-Phasen (Rapid Eye Movement) dagegen werden Erfahrungen gespeichert und Probleme verarbeitet. REM-Phasen werden im Verlauf der Nacht immer länger. »Die ersten erstrecken sich über zehn Minuten, dann über bis zu einer Stunde«, so der Schlafforscher. Da der Organismus sich hierbei an der Grenze zum Erwachen befindet, wird man gegen Morgen auch immer häufiger und immer länger wach.
Normalerweise kommt es während des REM-Schlafs zu einem Verlust des Skelettmuskeltonus, damit der träumende Mensch nicht um sich schlägt. Im Tiefschlaf dagegen sind die Muskeln angespannt. Stimmt hier das Timing nicht oder ist es noch nicht ausgereift, können Phänomene wie das Schafwandeln oder Sprechen im Schlaf auftreten, was vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten ist. Darüber hinaus lassen einige Untersuchungen vermuten, dass gestörte REM-Schlafphasen ein früher Hinweis auf das Vorliegen einer Parkinson-Erkrankung sein könnten, sagte Professor Dr. Claudia Trenkwalder aus Göttingen. Sie können der Entwicklung der typischen motorischen Parkinson-Symptome mehr als ein Jahr vorausgehen. Bis zu 90 Prozent der diagnostizierten Parkinson-Patienten leiden unter Schlafstörungen, so die Medizinerin.
Eisenmangel bei Restless Legs
Ebenfalls auf einer Störung des dopaminergen Systems beruht das so genannte Restless-Legs-Syndrom (RLS), eine der inzwischen 88 bekannten Schlafstörungen. Hier leiden die Patienten über Missempfindungen und Schmerzen in den Beinen, die einem circadianem Rhythmus unterliegen und vor allem abends und nachts auftreten. Vermutlich besteht zu diesen Zeiten ein Dopaminmangel im Gehirn, Behandelt wird das RLS mit einer Kombination aus L-Dopa und Benserazid (Restex®), im nächsten Jahr könnte der Dopaminagonist Ropinirol (Adartrel®) auch auf den europäischen Markt kommen, so Trenkwalder. Darüber hinaus gelte Pramipexol als viel versprechender Kandidat, der für diese Indikation zugelassen werden könnte. Führen dopaminerge Substanzen nicht zum gewünschten Erfolg, können auch Opioide, vor allem Oxycoden, oder Antikonvulsiva wie Gabapentin eingesetzt werden.
Auch die Gene haben auf das Entstehen des RLS einen Einfluss, wie familiäre Häufungen vermuten lassen. Identifiziert sind die entsprechenden Gene jedoch noch nicht. Als eine weitere Ursache wird ein Eisenmangel im Gehirn diskutiert, sagte Professor Dr. Wayne Hening, Bacaltimore (USA). Dafür spreche, dass die Krankheit bei Anämie, Schwangerschaft, Nierenversagen oder nach Blutspenden vermehrt auftritt. MRI-Untersuchungen konnten zeigen, dass die Gehirne der Betroffenen tatsächlich zu wenig Eisen aufwiesen. Eventuell können die Hirnzellen nicht genügend Eisen speichern. Eine Supplementierung bei niedrigen Eisenwerten im Blut helfe etwa einem Drittel der Patienten. Bei einem weiteren Drittel gelange das Element nicht ins Gehirn und der Rest leide bei einer Supplementierung unter Nebenwirkungen. In der Schwangerschaft stelle sie aber eine sichere Alternative zu Dopaminantagonisten dar. Diese seien hier nicht die Mittel der Wahl.
Besser schlafen
Ist der Schlaf gestört, sollten einige Tipps befolgt werden. Helfen kann ein ruhiger Raum mit einer Temperatur von 14 bis 18 °C und Frischluftzufuhr. Betroffene sollten sich an einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus gewöhnen und tagsüber nicht länger als 30 Minuten schlafen, da dies den Einschlafdruck am Abend nimmt. Zudem empfehlen Schlafmediziner, eine ausreichende, leichte und warme Mahlzeit (keine Rohkost) gegen 18 Uhr zu essen. Alkohol fördert zwar das Einschlafen, aber auch einen unruhigen Schlaf. Nikotin und Coffein vor dem Zubettgehen sind tabu, Entspannungsübungen dagegen gewünscht.
Hilft auch eine gute Schlafhygiene nicht, können Schlafmittel herangezogen werden. Pflanzliche Mittel sollten Baldrian mit mindestens 250 mg pro Dosis enthalten. Antihistaminika der ersten Generation sind zwar nicht Mittel der Wahl, können aber in der Selbstmedikation bei seltenem Gebrauch eine Alternative sein, so Professor Dr. Göran Hajak vom Universitätsklinikum Regensburg. Als verschreibungspflichtige Schlafmittel kommen Zolpidem, Zopiclon, aber auch Serotoninrezeptorantagonisten als Schlafpromotoren zum Einsatz. Benzodiazepine seien wegen ihres Suchtpotenzials wenig geeignet. Die DGSM rät in ihrem Patientenratgeber, Schlaftabletten ein bis zwei Nächte einzunehmen und sie dann in den folgenden ein bis zwei Nächten wieder abzusetzen, nachdem sich der Schlaf verbessert hat. Ein täglicher Gebrauch gehört unter ärztliche Kontrolle.
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