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Blutstammzellen besser als Zellen aus dem Knochenmark

29.10.2001  00:00 Uhr
LEUKÄMIE

Blutstammzellen besser als Zellen aus dem Knochenmark

von Ulrike Wagner, Freiburg

Die Transplantation von Blutstammzellen ist bei Kindern mit einer bestimmten Form von Leukämie erfolgreicher als eine Knochenmarktransplantation. Das ist das Ergebnis einer europaweiten Studie unter der Leitung von Professor Dr. Charlotte Niemeyer, Ärztliche Direktorin der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des Freiburger Universitätsklinikums.

Niemeyer stellte die Studie während einer Pressekonferenz im Vorfeld der Jahrestagung der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation letzte Woche in Freiburg vor. Die behandelten Kinder waren an myelodysplastischen Syndromen (MDS) erkrankt. Durch das neuartige Behandlungskonzept wurde jedes zweite Kind geheilt, das in den verschiedenen Studienzentren behandelt wurde, erklärte Niemeyer. In der Freiburger Klinik wurden sogar 70 Prozent der Patienten gerettet, berichtete Niemeyer. Bislang war es nur möglich, jedes zehnte Kind zu heilen. Schwerpunkte der neuen Behandlungsstrategie war neben einer raschen Diagnosestellung und der konsequenten Suche nach einem Fremdspender die Transplantation von Blutstammzellen.

Bei den myelodysplastischen Syndromen handelt es sich um eine besondere Form der Leukämie. Die betroffenen Kinder sind zunächst nicht schwer krank. Über Monate oder Jahre entwickelt sich jedoch langsam eine besonders bösartige Leukämie, die trotz Chemotherapie ohne Transplantation tödlich verläuft. Nur die Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation verspricht Heilung.

Myelodysplastische Syndrome bei Kindern und Jugendlichen sind schwer zu diagnostizieren. Frühzeitig die Krankheit zu erkennen, ist jedoch wichtig, damit rechtzeitig eine Transplantation vorgenommen werden kann.

Vor der Transplantation wird das eigene Immunsystem der Kinder und damit auch die meisten Tumorzellen durch eine intensive Chemotherapie zerstört. Anschließend erhalten sie ein neues Immunsystem in Form von Stammzellen des blutbildenden Systems. Die fremden Stammzellen wandern aus dem Blut ins Knochenmark und beginnen nach einiger Zeit, neue Blutzellen zu bilden.

Die hämatopoetischen Stammzellen können aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut eines Spenders gewonnen werden. In erster Linie bieten sich hier Geschwister an, aber auch freiwillige nicht verwandte Spender mit identischen Gewebsantigenen. In den letzten Jahren habe sich gezeigt, dass die Transplantation mit Blutstammzellen Vorteile gegenüber der Transplantation von Knochenmark hat, so Niemeyer. Daher werden inzwischen auch bei Jugendlichen und Kindern bevorzugt hämatopoetische Stammzellen aus dem Blut eingesetzt.

Dazu werden Stammzellen des blutbildenden Systems aus dem Knochenmark mit Hilfe eines Medikaments ins Blut gelockt und aus dem Blut des Spenders isoliert. "Die Stammzellen aus dem Blut vermehren sich im Vergleich zu denen aus dem Knochenmark schneller. Die Zeit, während der der Patient einer Infektionsgefahr ausgesetzt ist, weil er nicht über ein funktionierendes Immunsystem verfügt, ist somit kürzer", erklärte Niemeyer die Vorteile der Blutstammzellen. "Außerdem scheinen die Zellen aus dem Blut aktiver zu sein und die Leukämiezellen anschließend besser zu bekämpfen."

Bei der Transplantation fremder Blutstammzellen kommt es zu einer durchaus gewünschten Abwehrreaktion der fremden Zellen gegenüber den eigenen Immunzellen des Kindes (Graft-versus-Leukemia-Effekt). Dadurch werden auch die letzten Leukämiezellen eliminiert.

Und Nabelschnurblutzellen? "Nach Stammzellen aus dem peripheren Blut und Knochenmark sind die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut nur dritte Wahl", sagte Niemeyer. Die Zellen sind naiv, das heißt ihre Abwehrstrategien sind noch nicht besonders gut ausgebildet. Bestehe die Gefahr eines Rezidivs, wie bei myelodysplastischen Syndromen, seien diese Zellen nicht gut für die Transplantation geeignet. Sie bekämpfen verbliebene Leukämiezellen nicht oder viel schwächer als reife hämatopoetische Stammzellen. Zudem reiche die Zahl der Stammzellen aus dem Nabelschnurblut oft für eine Transplantation nicht aus. Einziger Vorteil der Nabelschnurblutzellen: "Die Gewebsantigene müssen wegen der Naivität der Zellen nicht hundertprozentig übereinstimmen", sagte Niemeyer.

Bei der Spendersuche sind die Mediziner inzwischen meistens erfolgreich. Niemeyer: "Für 80 Prozent der Patienten ohne passenden Familienspender findet sich innerhalb von drei bis sechs Monaten ein passender Spender in Europa oder Amerika."

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