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Mörderisch und heilsam zugleich

18.10.2004  00:00 Uhr
Arsen

Mörderisch und heilsam zugleich

von Harald Mückter, München

Der klassische Giftmord wird im Kriminalroman mit Arsen verübt. Trotz seiner Giftigkeit ist das Spurenelement ein Bestandteil des Stoffwechsels von Pflanzen und Tieren. Verschiedene Arsenverbindungen werden seit dem 19. Jahrhundert bis heute als Medikamente gegen die Schlafkrankheit eingesetzt.

Arsen gehört nach derzeitiger Kenntnis für den Menschen nicht zu den essenziellen Spurenelementen. Dennoch kann sich niemand einer Aufnahme kleiner Dosen entziehen, denn es kommt überall in der Umwelt vor – in organischen Verbindungen, in der Luft und im Wasser. In der Luft beträgt der Arsengehalt in ländlicher Umgebung zwischen 0,02 und 4 ng/m3, in den Städten 3 bis 200 ng/m3. Die tägliche Aufnahme von Arsen über die Nahrung liegt weltweit zwischen 12 und 60 µg. Besonders hohe Konzentrationen weisen Fisch und Getreideprodukte auf, in denen das Halbmetall organisch gebunden beziehungsweise fünfwertig vorliegt.

Grundwasser enthält etwa 1 bis 2 µg/l Arsen, wobei Regionen mit vulkanischen Aktivitäten und Erzbergbau in ihrer Geschichte, wie der Schwarzwald, das Erzgebirge oder die Eifel, regional höhere Werte bei Grund- und Sickerwasser aufweisen. Zum Teil liegen sie über 3 mg/l. Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Grenzwert für Arsen im Trinkwasser von 10 µg/l wird seit 1997 in Deutschland eingehalten und ist seit 1998 in der EU gesetzlich vorgeschrieben. Für Mineralwässer gelten derzeit noch höhere Grenzwerte für Arsen (50 µg/l). Signifikante Auswirkungen auf die Gesundheit allein durch die tägliche Arsenzufuhr über Nahrung und Trinkwasser sind in Deutschland nicht zu erwarten.

In anderen Regionen der Erde sind die Arsenwerte im Trinkwasser dagegen wesentlich höher, sodass hier die chronische Exposition zu Erkrankungen der Bevölkerung führen kann. Insbesondere in Indien (West-Bengalen), Taiwan, Argentinien, Nepal und in der inneren Mongolei wurden im Wasser Arsenkonzentrationen von mehr als 3 mg/l gefunden. Mehr als 80 Millionen Menschen in diesen Regionen leben von Trinkwasser, das die Grenze von 50 µg des Elementes pro Liter teilweise deutlich überschreitet.

Ein Stoffwechselgift

Da Arsen kein essenzielles Spurenelement ist, sind Mangelerscheinungen beim Menschen bisher nicht bekannt. Vielmehr stehen seine toxischen Eigenschaften im Vordergrund: Die meisten Arsenverbindungen sind potente Stoffwechselgifte. Sie greifen in zahlreiche biochemische Prozesse ein, indem sie Sulfhydryl-Gruppen (SH-Gruppen) von Enzymen und anderen Proteinstrukturen blockieren. Dadurch stören sie unter anderem den zellulären Energiestoffwechsel, Rezeptor-vermittelte Transportvorgänge, die Signaltransduktion sowie DNA-Reparaturvorgänge.

Die Giftigkeit hängt von der chemischen Substitution des Arsens ab: Für den Menschen sind Halogeno- und Oxo-Verbindungen des dreiwertigen Arsens stärker giftig als solche der höchsten Oxidationsstufe (fünfwertig). Besonders stark toxisch ist Arsentrioxid (Arsenik), weniger toxisch sind dagegen organische Verbindungen wie Arsenzucker, Arsenobetain und Arsenocholin, die vor allem in Meerestieren, aber auch in einigen Pflanzen vorkommen. Sie werden vom menschlichen Körper innerhalb weniger Tage unverändert über die Niere ausgeschieden. Aus den Arsenoxiden Arsenat und Arsenit bilden viele Organismen methylierte Formen. Auch diese werden vom menschlichen Körper innerhalb weniger Tage größtenteils renal eliminiert.

Vergiftungserscheinungen

Arsenvergiftungen lassen sich in akute und chronische unterteilen. Schon eine Dosis von 60 bis 170 mg Arsenik ist – je nach Alter und Konstitution des Menschen – tödlich. Bei einer akuten Vergiftung treten zerebrale Krämpfe und gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Koliken und Blutungen auf. Die Vergiftung kann bis zu einem Nieren- oder Kreislaufversagen führen. Während die Symptome der akuten Vergiftung bereits wenige Stunden nach einer Überdosis auftreten, kann die Latenzzeit bis zur Manifestation chronischer Symptome je nach Höhe der täglichen Aufnahme bis zu 30 Jahre betragen.

Bei chronischen Vergiftungen treten bestimmte Hautveränderungen wie Efflorenzen, Pigmentstörungen und Hyperkeratosen, also eine verstärkte Verhornung der Haut, auf. In Regionen mit geogener Arsenbelastung des Trinkwassers führen solche Hyperkeratosen und Hyperpigmentierungen der Haut bereits bei Jugendlichen zu schweren Entstellungen. Eine chronische Zufuhr von stark mit Arsen belastetem Trinkwasser kann auch die Kapillaren schädigen, was in schweren Fällen zum Absterben der betroffenen Extremitäten (“Black Foot Disease“) führt. Dann bleibt oft nur die Amputation der erkrankten Körperteile. Weiterhin kann eine chronische Arsenbelastung bösartige Tumoren der Haut, Lunge, Leber und Harnblase induzieren.

Diagnostik

Eine Arsenbelastung wird heute durch Messung des Blutspiegels und der täglichen Ausscheidung mit dem Urin mittels Atomabsorptions- oder -emissionsspektroskopie nachgewiesen. Bei unbelasteten Personen liegen die Arsenspiegel im Blut zwischen 5 und 15 µg/l. Bei üppigem Verzehr von Meerestieren und arsenbelasteten Pflanzenprodukten liegen die Konzentrationen höher und können mit einer unerwünschten chronischen Arsenbelastung verwechselt werden. Hier hilft nur die exakte Spezifizierung des Arsens. Im Urin beruflich nicht-exponierter Personen schwankt die Konzentration zwischen 5 und 20µg/l, kann aber bei Zufuhr arsenhaltiger Nahrung auch 1000 µg/l übersteigen. Eine chronische Arsenbelastung wird am besten durch die Analyse keratinhaltiger Körperbestandteile wie Haare oder Nägel diagnostiziert. Als Faustregel gilt, dass ein Anstieg der Arsenkonzentration im Trinkwasser auf das Zehnfache den Arsengehalt der Zehennägel langfristig verdoppelt. Durch das Längenwachstum von Haaren und Nägeln ist in günstigen Fällen sogar eine "zeitaufgelöste" Analyse möglich.

Bis 1940 war die Behandlung einer Arsenvergiftung nur symptomatisch möglich. Die Entwicklung des ersten Antidots Dimercaprol (BAL) durch Sir Rudolph Peters leitete nach 1945 eine Wende ein. Inzwischen wurde das nebenwirkungsreiche Dimercaprol durch die besser verträglichen Derivate DMPS (Unithiol, 1956) und DMSA (Succimer, 1959) ergänzt, sodass mindestens drei gut wirksame Gegengifte verfügbar sind. Ihr Stellenwert bei der chronischen Arsenvergiftung wird allerdings noch immer kontrovers diskutiert.

Arsen als Heilmittel

Trotz der bekannten Giftigkeit von Arsenverbindungen haben Arsenikalien eine lange Tradition als Heilmittel. Eine 1-prozentige Lösung von Kaliumarsenit wurde nach Reiseberichten des schottischen Missionars David Livingstone 1887 als Antipyretikum und als Mittel gegen die Schlafkrankheit in Afrika eingesetzt. Es war bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts als Fowler'sche Lösung auch in Deutschland im Gebrauch, wo es außer als Stärkungsmittel zur Psoriasis-Behandlung indiziert war.

1905 wiesen Harold Wolferstan Thomas und Anton Breinl nach, dass das Arsenpräparat Atoxyl die Erreger Schlafkrankheit, die Trypanosomen, abtötet. Zunächst wurde das Präparat bei fiebrigen Zuständen verwendet, obwohl die immer wieder auftretende Schädigung des Nervus opticus sowie häufige Rückfälle ein ernstes Problem darstellten. Angeregt durch diese Beobachtungen prüfte Paul Ehrlich über 600 arsenhaltige Stoffe, bis er 1910 das Salvarsan in der Syphilisbehandlung einführte. 1918/19 entwickelten Michael Heidelberger und Walter Jacobs das Tryparsamid, das 1920 im damaligen Belgisch-Kongo zur Behandlung der Schlafkrankheit eingesetzt wurde. Bei einer Massenvergiftung im Jahr 1930 erblindeten 800 behandelte Soldaten, weil ein Leutnant eigenmächtig die Dosis verdoppelt hatte. Daher wurde mehr und mehr auf den Einsatz von Tryparsamid beim Menschen verzichtet.

In den 40er- und 50er-Jahren prüfte Ernst Friedheim mit seinen Mitarbeitern besser verträgliche Alternativen gegen Trypanosomen und entwickelte eine neue Substanz, die er Melarsoprol nannte. Diese verband die schlechte ZNS-Gängigkeit des basischen Melamins mit der trypanoziden Wirkung des Arsens, das als Addukt mit dem damals neu beschriebenen Arsenantidot Dimercaprol noch besser verträglich sein sollte. Tatsächlich konnte sich Melarsoprol bis heute in der Behandlung der Schlafkrankheit behaupten, wo es inzwischen dank besserer Alternativen nur noch bei fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung eingesetzt wird, seit einigen Jahren wegen aufgetretener Resistenzen sogar noch seltener.

Für die Behandlung des Menschen ist seit Ende 2000 in den USA auch Arsentrioxid (Arsenik) zur antineoplastischen Chemotherapie seltener Formen der akuten promyelozytären Leukämie zugelassen. Es soll die Apoptose entarteter Zellen induzieren und so zur Elimination maligner Klone führen.

 

Geschichte des Weißen Gifts Der Name "Arsen" leitet sich vom griechischen Wort „arsenikon“ ab, das soviel wie "männlich" bedeutet, aber auch die griechische Bezeichnung für Auripigment ist, ein goldglänzendes Arsenschwefel-Mineral (As2S3), das schon im Altertum die Neugier der Naturforscher weckte. Arsen ist ein Halbmetall, das mit einer Häufigkeit von 2,1 mg/kg zu den weniger häufigen Elementen in der Erdkruste gehört. Die Giftigkeit arsenhaltiger Stoffgemische war schon vor 2500 Jahren bekannt. Dioskourides, Leibarzt am Hofe Neros, beschrieb im 1. Jahrhundert nach Christus die Wirkungen von Arsen. Albertus Magnus soll um 1250 durch Reduktion von Arsenik mit Kohle das Element Arsen hergestellt haben. 1638 erkannte Agricola den arsenhaltigen Charakter des "weißen Gifts", wie Arsentrioxid genannt wurde, das bei der thermischen Zersetzung arsenhaltiger Mineralien und Erze entstand. Doch erst im letzten Jahrhundert begann die mechanistische Aufklärung der biologischen Wirkungen des Arsens. In dieser Zeit wurden Arsenverbindungen als Pestizide, Pflanzen- und Holzschutzmittel eingesetzt. Auch als Heilmittel haben Arsenikalien besonders in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine gewisse Bedeutung erlangt. Einige von ihnen sind heute noch zugelassen.

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