Medizin

Die Evolution von Krankheitsgenen nachzeichnen
Serie Human Genome Project
Parallel zum Human Genome Project läuft das Human Genome Diversity Project (HGDP). Es untersucht die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen auf der Erde. Damit sollen die menschliche Evolution sowie die Vererbung und Ausbreitung von Krankheitsgenen nachgezeichnet werden. Über einige Ergebnisse des Projektes wurde auf dem Human Genome Meeting in Heidelberg berichtet. Neue Methoden gestatten es, viele DNA-Sequenzen halbautomatisch in kurzer Zeit zu analysieren und anhand der gefundenen Unterschiede Verwandtschaftsgrade zwischen Völkern zu ermitteln. Mit der Technik fanden L. Excoffier und H. Zischler heraus, daß sich afrikanische Völker genetisch wesentlich stärker voneinander unterscheiden als indo-europäische. Das bestätigt die Theorie, wonach der Mensch aus Afrika stammt, Denn alte Völker haben mehr Zeit, sich genetisch auseinanderzuentwickeln.
Genomanalysen helfen auch, die Geschichte aufzuklären. Aufgrund der sprachlichen Klassifikation gehören die meisten europäischen Völker zu den Indo-Europäern. Ausnahmen sind die Finnen und die Samen (Lappen). Die genetischen Daten, die Zischler gesammelt hat, stimmen mit dieser Einteilung jedoch nicht überein. Nach seinen Erkenntnissen gehören die Finnen zu den Indo-Europäern, die Samen nicht. Seine Erklärung: Ursprünglich war das heutige Finnland von den Samen bewohnt. Erst später ist eine vergleichsweise kleine Gruppe Indo-Europäer eingewandert, die von den dort lebenden Samen majorisiert wurde und deren finnisch-ugrische Sprache annahm. Im Laufe der Zeit erwiesen sich jedoch die eingewanderten Indogermanen als genetisch dominant und beanspruchten den größeren Teil des Landes als Lebensraum.
Dies dürfte vor etwa 2000 Jahren geschehen sein, und seitdem hat es nur noch sehr wenige Einwanderer in Finnland gegeben. Deshalb seien die rund 5 Millionen Bewohner des Landes eine ideale Untersuchungsgruppe, erläuterte L. Peltonen aus Helsinki. Ein Beispiel: Der Stoffwechselkrankheit Aspartylglukosaminurie liegen weltweit 26 verschiedene Punktmutationen eines lysosomalen Enzyms zugrunde. Peltonen fand in Finnland, wo die Krankheit überdurchschnittlich häufig auftritt, bei 98 Prozent aller Patienten dieselbe Mutation. Dies läßt sich nur mit einem sogenannten Gründereffekt erklären. Die erkrankten Finnen haben einen gemeinsamen Vorfahren. Im Gegensatz dazu stammen die 2 Prozent der Kranken, bei denen eine andere Mutation vorliegt, allesamt von der Südküste und haben estnische Vorfahren.
Durch den geringen genetischen Austausch haben sich bestimmte Gene über Jahrtausende rein erhalten. Die Stammbäume vermischen sich in der relativ kleinen Bevölkerung häufig, so daß auch seltenere rezessiv vererbte Krankheiten immer wieder auftreten. Inzuchtsituationen, wie in einigen finnischen Regionen, können zu einer Anreicherung von krankheitauslösenden Genen führen.
PZ-Artikel von Josef Gulden, Grafrath
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de