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Hilfe für Frühgeborene

15.08.2005  00:00 Uhr
Neonatologie

Hilfe für Frühgeborene

von Dagmar Knopf, Limburg

Frühgeborene, die zusätzlich zur Atemluft mit geringen Mengen von Stickstoffmonoxid beatmet werden, haben laut einer Studie ein um knapp die Hälfte reduziertes Risiko für neurologische Schäden. Der NO-Einsatz ist allerdings bei Medizinern nicht unumstritten.

Trotz großen Fortschritts in der Frühgeborenen-Intensivmedizin tragen zu früh geborene Babys mit unreifen Lungen noch ein großes Risiko für Hirnverletzungen und mentale Entwicklungsverzögerungen. Säuglinge, die bei der Geburt nur etwa ein Kilogramm auf die Waage bringen, haben lediglich eine 50-prozentige Chance, sich im Alter von zwei Jahren völlig unauffällig entwickelt zu haben, das heißt, mit normaler Intelligenz und ohne zerebrale Parese (unvollständige Lähmung), deren Spektrum von ungeschickten Bewegungen bis zu Spastik und Bewegungsunfähigkeit reicht.

Forscher der Universität von Chicago haben nun anhand einer kleinen Patientengruppe von 138 Kindern beobachtet, dass sich die zusätzliche Gabe von Stickstoffmonoxid (NO) in der Atemluft schützend auf die Gehirne auswirkt (New England Journal of Medicine, Band 353 (2005) 11-20). Die randomisierte kontrollierte Studie von Michael Schreiber und seinem Team baut auf früheren Ergebnissen der Arbeitsgruppe auf. Bereits 2003 konnten sie zeigen, dass inhaliertes NO das Risiko chronischer Lungenerkrankungen, schwerer Hirnblutungen reduziert und die Todesrate unreifer Babys mit Atemnotsyndrom (respiratory distress syndrome) senkt.

Die unreif Geborenen wogen im Schnitt nur ein Kilogramm und waren in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen. Es nahmen nur Babys teil, die auf Grund unreifer Lungenfunktion nicht selbstständig atmen konnten und künstlich beatmet werden mussten. Hier versetzen die Ärzte die Atemluft am ersten Tag des Klinikaufenthalts mit 10 ppm Stickstoffmonoxid und die folgenden sechs Tage mit jeweils 5 ppm NO, oder jeweils einem Placebogas.

Bei der aktuellen Studie handelt es sich um die Nachbeobachtung, die sich auf die geistige Entwicklung der überlebenden Kinder fokussiert. Im Alter von zwei Jahren wurden sie an der Universität von Chicago in einer Klinik für die Nachkontrolle von Hochrisikokindern einem Neurologen vorgestellt. Dabei wandten die Wissenschaftler den Bayley-Scales-of-Invant-Development-II-Test zur Beurteilung der geistigen und psychomotorischen Entwicklung an.

Fast jedes zweite frühgeborene Kind (46 Prozent) aus der Placebogruppe zeigte zu diesem Zeitpunkt eine mentale Beeinträchtigung, wie eine verzögerte geistige Entwicklung, litt unter einer zerebralen Parese, war blind oder taub. Im Vergleich dazu wies nur jedes vierte mit NO behandelte Kind (24 Prozent) eine entsprechende Behinderung auf. In der Kontrollgruppe waren von 70 Kindern zwei blind, eins taub, 34 Prozent hatten eine verzögerte geistige Entwicklung und 12 Prozent eine zerebrale Parese. In der mit NO behandelten Gruppe war kein Kind blind oder taub zur Welt gekommen, nur 16 Prozent lebten mit einer verzögerten geistigen Entwicklung und 9 Prozent mit einer zerebralen Parese. Dabei hatten männliche Säuglinge mit niedrigem Geburtsgewicht eine schlechtere Prognose als Mädchen und Kinder mit höherem Gewicht bei der Geburt. Der Sozialstatus der Eltern und Bildung der Mutter spielte hingegen keine Rolle.

Viele Fragen offen

Wie genau das Gas positiv auf die Gehirne der Frühchen wirkt, wissen auch die Ärzte noch nicht. Möglicherweise hat es eher eine indirekte Wirkung, die sich durch eine verbesserte Lungenfunktion und besseres Wachstum durch den Vasodilatator NO ergibt. Beides sind Schlüsseldeterminanten für die Hirnentwicklung. Aber eine direkte Wirkung ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Denn im Labor konnten die Forscher beobachten, dass unreife Gehirne Stickstoffmonoxid produzieren, um sich so vor Verletzungen zu schützen.

Falls eine derzeit laufende Multicenterstudie die Ergebnisse bestätigen sollte, könnte die zusätzliche Behandlung unreif geborener Säuglinge mit NO vielleicht bald zur Standardtherapie gehören, hoffen die Autoren aus Chicago. Einige wichtige Fragen sind allerdings noch offen, etwa die optimale Dosis und Behandlungsdauer. Währenddessen begleiten die Ärzte die 138 Kinder weiter, bis sie mit fünf Jahren ihre Erfolge im Kindergarten beurteilen können und möglicherweise Lehrer die Lernmöglichkeiten der Kinder beurteilen werden.

 

Zweite Studie zeigt keinen Nutzen PZ  Die Autoren einer weiteren, in derselben "Nature"-Ausgabe veröffentlichten Studie sehen dagegen vorerst keinen Nutzen einer NO-Gabe (353 (2005) 13-22). Krisa P. van Meurs und seine Kollegen von der Stanford Universität Palo Alto hatten in einer kontrollierten geblindeten Multicenterstudie 420 Neugeborene untersucht, die mit einem Gewicht von 401 bis 1500 g geboren wurden und denen eine Gabe von Surfactant zu keiner Besserung des Atemnotsyndroms verholfen hatte. Die Frühchen erhielten randomisiert entweder NO (5 bis 10 ppm) oder Placebo.

Die Wissenschaftler konnten keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Studienarmen feststellen: So erlitten 80 Prozent der Neugeborenen unter NO-Beatmung eine bronchopulmonale Dysplasie oder starben, verglichen mit 82 Prozent unter Placebo. Post-hoc-Analysen lassen vermuten, dass für den Nutzen einer NO-Gabe das Geburtsgewicht eine Rolle spielt. Babys, die mit mehr als einem Kilogramm Geburtsgewicht auf die Welt kamen, profitierten von der Behandlung, wohingegen das Risiko für Hirnblutungen und Tod für leichtere Säuglinge stieg.

  

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