Auf die Keime kommt es an |
08.08.2005 00:00 Uhr |
Per Definition haben Probiotika gesundheitsfördernde Eigenschaften. Sie sollen vor Krankheiten schützen und auch heilen können. Eindeutige Empfehlungen sind von Ernährungsmedizinern jedoch kaum zu erhalten, auch wenn immer mehr Studien ihre Wirksamkeit bei einer stetig zunehmenden Zahl von Erkrankungen nahe legen.
Probiotika sind lebende Mikroorganismen. Die Bakterien und Pilze werden in Arzneimitteln sowie als Zusätze von Lebensmitteln etwa in Joghurts und Trinknahrungen angeboten. Allheilmittel sind sie zwar nicht, allerdings belegen mittlerweile prospektive, kontrollierte Studien die Wirksamkeit spezieller Probiotika-Stämme bei bestimmten Erkrankungen. »Immer noch ist die Studienlage unzureichend, um auf mehr als nur auf das therapeutische Potenzial aufmerksam machen zu können«, sagte Professor Dr. Stephan Bischoff von der Universität Hohenheim auf einem Journalisten-Workshop des Instituts Danone für Ernährung in Stuttgart.
Gesicherter Einsatz bei Diarrhö
Bereits im Ersten Weltkrieg entdeckte Professor Alfred Nissle, dass Soldaten mit Escherichia-coli-Präparationen gegen Durchfallerkrankungen geschützt werden konnten. Die Bakterien für seine Therapie stammten von Stuhlproben eines Mannes, der vollkommen gesund blieb, obwohl dessen Kameraden infolge einer E.-coli-Infektion schwer an Diarrhö erkrankt waren und starben.
Inzwischen ist die Wirkung von Probiotika in der Therapie akuter Diarrhöen besonders gut dokumentiert. Bei Kindern mit viraler oder bakterieller Durchfallerkrankung reduziert etwa Lactobacillus rhamnosus GG (LGG) das Risiko einer länger als drei Tage andauernden Erkrankung um mehr als die Hälfte. Rotavirus-Infektionen lassen sich durch die Gabe verschiedener Keime sogar um anderthalb Tage verkürzen. LGG, L. casei Shirota, L. casei defensis, L. reuteri und Bifidobacterium animalis Subspecies lactis Bb-12 erhöhen dabei die Anzahl Rotavirus-spezifischer Antikörper und führen zu einer verringerten Anzahl der Viren im Stuhl.
In der Prophylaxe erwiesen sich Probiotika ebenfalls effektiv. Bei Kleinkindern konnte das Risiko einer Diarrhö durch eine Rotaviren-Infektion im Krankenhaus von 33 auf 7 Prozent gesenkt werden. LGG zweimal täglich (6 x 109 Bakterien) verringerte dabei nicht die Infektionsrate, minderte aber die Rate an Gastroenteritiden durch die Viren (1).
Als weitgehend gesichert gilt heute der Einsatz von Probiotika zur Prävention von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen. Werden der Bakterienstamm LGG oder die Hefe Saccharomyces boulardii (SAB) gleichzeitig zur Antibiotika-Therapie gegeben, nimmt sowohl die Schwere der Symptomatik als auch die Dauer eines vom Clostridium-difficile-Toxin ausgelösten Durchfalls ab. Durch die Kombination beider Probiotika kann das Durchfall-Risiko erheblich verringert werden.
Allergische Kariere verhindern Erst wenige Studien liegen zu extraintestinalen Infektionen vor. Bei Erwachsenen, die in zwei aufeinander folgenden Wintern ein Gemisch probiotischer Keime (Lactobacillus gasseri, Bifidobacterium longum und bifidum) erhielten, verkürzte sich die Erkältungsdauer um knapp zwei Tage. Zudem waren die Symptome weniger stark ausgeprägt als unter Placebo. Eine Erkältung konnten die Keime aber nicht verhindern. Schon sehr früh muss die Gabe von Probiotika beginnen, wenn sie in der Allergieprophylaxe erfolgreich sein soll. Mütter mit familiärem Risiko, die in den letzten sechs Schwangerschaftswochen und während der Stillzeit LGG zu sich nehmen, können laut Experten die Neurodermitis-Inzidenz ihrer Kinder nahezu halbieren. Im Tiermodell ließ sich inzwischen auch ein allergieprotektiver Effekt für Asthma nachweisen.
Auch in der Rezidivprophylaxe bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, wie der Colitis ulcerosa, sind Probiotika wirksam. In Studien mit E. coli Nissle 1917 (200 mg/d) sei der Bakterienstamm in der Remissionserhaltung vergleichbar effektiv wie das Standardpräparat Mesalazin, so Bischoff. Im Tiermodell konnte die rechtzeitige Gabe von Probiotika sogar den Ausbruch der Erkrankung nahezu verhindern, vermutlich über eine Stärkung der Darmbarriere.
Hypothesen zum Wirkmechanismus
Noch weitgehend unbekannt sind Wirkmechanismus und Pharmakokinetik der Probiotika. Es wird vermutet, dass das therapeutische Potenzial auf mehreren Säulen ruht. Probiotika können beispielsweise als Sparringspartner für das menschliche Immunsystem dienen. Gut trainiert sind die Abwehrzellen dann auf weitere Angriffe vorbereitet. Erhielten junge Erwachsene LGG und Lactobacillus paracasei vor und nach einer Schluckimpfung mit abgeschwächten Polioviren, konnten in ihrem Serum höhere Spiegel virusneutralisierender Antikörper wie IgA und IgG nachgewiesen werden, sagte Professor Dr. Jürgen Schrezenmeir von der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kiel. Im Tiermodell erhöhte die Gabe von Lactobacillus casei die Antikörperkonzentration im Blut der Mäuse, die mit dem Ruhrerreger Shigella infiziert waren.
Überdies können Probiotika ihre pathogenen Konkurrenten im Darm zurückdrängen. Wie normale Darmbewohner kommunizieren sie dazu mit den Epithelzellen des Darms. So erkennen die zur angeborenen Immunität gehörenden Toll-like-Rezeptoren die bakteriellen Strukturen und können in den so genannten Paneth-Zellen des Dünndarms Proteine wie Angiogenin induzieren, die bakterizid auf pathogene Darmbakterien wirken. Auch die Expression von Defensinen lässt sich durch Probiotika stimulieren. Diese ebenfalls antimikrobiell wirkenden Peptide konnten im Tiermodell bakterielle Fehlbesiedlungen, virale Infektionen und Pilzinfektionen, etwa durch Candida albicans, inhibieren.
Auch eine weitere, sehr simple Konkurrenzstrategie könnte zum Tragen kommen, sagte Schrezenmeir. Probiotische Bakterien können sich an der Darmschleimhaut anheften und so die Plätze besetzen, die zum Beispiel pathogene E.-Coli-Bakterien nun nicht mehr einnehmen können. Vermutet wird zudem, dass Probiotika die Darmpermeabilität reduzieren oder normalisieren können. Im Tiermodell konnten Bacillus fragilis und Lactobacillus brevis den Übergang von Manntiol ins Blut vermindern. Bei Kindern mit atopischer Dermatitis schließlich induziert LGG Interleukin 10, das für die immunologische Toleranz mitverantwortlich ist (1).
Literatur
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