Die genetischen Wurzeln von Volkskrankheiten |
26.07.2004 00:00 Uhr |
Die Entschlüsselung des Humangenoms hat die Erforschung seltener Erkrankungen wie Mukoviszidose vorangebracht. Ob sie auch helfen kann, Diabetes, Asthma oder Parkinson besser zu verstehen und zu behandeln, diskutierten Humangenetiker auf einer Fachtagung in München.
Eine einzige Mutation, eine einzige falsche Aminosäure führt bei Mukoviszidose-Patienten dazu, dass winzige Ionenkanäle Chloridionen nur noch langsam befördern können. Zäher Schleim verstopft Lunge und Bauchspeicheldrüse der Betroffenen und reizt das Gewebe. Eine Veränderung in einem einzigen Gen kann das komplexe Zusammenspiel des Organismus stören und somit krank machen. Umgekehrt kann das Zusammenwirken mehrerer Gene, die phänotypisch kaum in Erscheinung treten, zu Krankheiten wie Asthma, Diabetes oder Parkinson führen. Nach diesen Genen wird derzeit intensiv gesucht.
Was allen Menschen an Erbsubstanz gemeinsam ist, wurde bereits entschlüsselt, jetzt erforschen Wissenschaftler im HapMap-Projekt die Unterschiede. 99,9 Prozent des Erbguts aller Menschen seien identisch, erklärte Professor Dr. Panos Deloukas vom Sanger-Institut in Cambridge. Aber die übrigen 0,1 Prozent der DNA-Sequenzen weisen Unterschiede auf. Einige Mutationen können zur Entwicklung von Erkrankungen mit genetischer Komponente beitragen, etwa Diabetes, Krebs, Alzheimer oder Schizophrenie. Diese Veränderungen ausfindig zu machen, ist Ziel des seit Oktober 2002 laufenden HapMap-Projektes. Die Forscher suchen Stellen im Genom, die sich in der Sequenz nur in einem Nukleotid unterscheiden, so genannte SNPs (single nucleotide polymorphism). Sätze von eng beieinander liegenden SNPs werden in festen Blöcken vererbt. Nach diesen auch als Haplotypen bezeichneten SNP-Mustern ist das HapMap-Projekt („Haplotypen-Karte“) benannt.
Genetische Spur zur Krankheit
In der ersten Stufe von HapMap durchsuchen die Forscher das Genom von 270 Menschen nach den häufigsten Mustern genetischer Variationen. Die Blutproben stammen aus Nigeria, Japan, China und den USA und gelten als repräsentativ für die Weltbevölkerung. In einem zweiten Schritt versuchen die Forscher zu klären, ob es zwischen den Genen beziehungsweise den von ihnen codierten Proteinen und einer Krankheit Zusammenhänge gibt. So sind tiefe Venenthrombosen häufig mit bestimmten Genvarianten des Gerinnungsfaktors V assoziiert oder Schizophrenie mit dem Neuregulin-1-Gen Einer der Schwerpunkte des Sanger-Instituts liegt in der Erforschung des Chromosom 20. Die Wissenschaftler suchen dort nach Varianten, die charakteristisch für Typ-2-Diabetes sind. Hierfür vergleichen sie die Daten von 1000 gesunden Menschen mit denen von 1000 Diabetikern.
Die Suche nach den Unterschieden im Erbgut gleicht der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. „Vermutlich sind es zehn Millionen solcher Polymorphismen, die wir untersuchen müssen“, sagte Professor Dr. Thomas Meitinger vom GSF-Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt. Er hofft, dass in einigen Jahren die Technologie so weit vorangeschritten ist, dass die SNP-Muster deutlich schneller analysiert werden können als bisher.
Alte Gene in neuer Umgebung
Bei der Suche nach den Unterschieden im menschlichen Genom werden verschiedene Ansätze verfolgt. Von Interesse sind dabei auch Populationsstudien. Alle Mutationen, die mit familiärer Hypercholesterinämie assoziiert sind, seien sehr alt und können bis zum 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden, erläuterte Han Brunner vom niederländischen University Medical Centre Nijmegen. Sie lassen sich weltweit in allen Bevölkerungen nachweisen, die auf holländische Besiedlungen zurückgehen, wie in Südafrika oder der Karibik. Warum diese Mutationen hier überdurchschnittlich häufig vorkommen, erklärte der Wissenschaftler mit folgender Hypothese: „Diese Gene halfen unseren Vorfahren in Zeiten zu überleben, in denen es nicht genug zu essen gab und es entscheidend war, Reserven an Körperfett zu bilden. Wir vermuten auch, dass ein niedriger Cholesterol-Spiegel mit einem höheren Risiko verknüpft ist, an Infektionskrankheiten zu erkranken.“
Das Risiko für eine Erkrankung kann also einen Vorteil an einer anderen Stelle bieten. So ist schon sehr lange bekannt, dass Menschen mit Thalassämie, einer erblichen Störung der Hämoglobinbildung, selten an Malaria erkranken.
Doch bei allen Anstrengungen finden die Forscher damit nur einzelne Stücke in einem sehr komplizierten Puzzle. Der genetische Anteil an komplexen Krankheiten wie Morbus Crohn, Asthma und Diabetes liegt bei 5 bis 10 Prozent, schätzte Veronica van Duijn vom Medical Research Centre in Edinburgh. Bei der Diagnose der Erkrankungen werde es durch die Ergebnisse des HapMap-Projektes keine großen Fortschritte geben. „Die Erkenntnisse über die genetischen Ursachen von Volkskrankheiten können jedoch dazu beitragen, näher an die biologischen Wurzeln einer Krankheit zu kommen und Wirkstoffe für eine mehr kausale Therapie zu entwickeln“, sagte Brunner.
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