Zigarette als Einstiegsdroge |
28.07.2003 00:00 Uhr |
Nicht Cannabis steht am Anfang einer Drogenkarriere, sondern Nikotin. Die Einstiegsdroge der meisten schwer Heroinsüchtigen oder Alkoholabhängigen ist die Zigarette. Nikotin verfügt über das höchste Abhängigkeitspotenzial und führt am häufigsten zu Rückfällen. Was dabei im Kopf passiert, beschrieb Dr. Christian G. Schütz von der Universität Bonn kürzlich in München.
Anhand bildgebender Verfahren zeigte er, dass der Glucosemetabolismus nach der intravenösen Gabe von zehn Milligramm Nikotin um 10 Prozent sank. Dieser Effekt könne mit funktioneller Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) bei allen suchterzeugenden Substanzen gezeigt werden, erläuterte Schütz während des Interdisziplinären Suchtkongresses. Das Verfahren misst, wie gut das Gewebe mit Sauerstoff versorgt wird und macht damit die Bereiche des Gehirns sichtbar, die gerade intensiv arbeiten.
Bessere Durchblutung des Gehirns
Das Blut floss hingegen nach einer Zigarette wesentlich schneller durch das Gehirn, wie eine Untersuchung mit radioaktiv markiertem Wasser zeigte. Doch nicht nur Nikotin scheint dafür entscheidend zu sein: Allein das Ziehen an einer Zigarette führte zu einer stärkeren Durchblutung einiger Hirnregionen wie den Mandelkernen sowie dem frontalen Cortex.
Um den Griff zur Zigarette nachzuvollziehen, ist jedoch besonders interessant, inwieweit sich kognitive Fähigkeiten beim Rauchen verändern. Das Ergebnis eines Labyrinth-Testes überrascht kaum und stützt die Erfahrungen vieler Raucher: Große Bereiche im Cortex werden aktiviert, einige kleinere dagegen deaktiviert. Die amerikanische Untersuchung verglich dabei die Wirkung einer Zigarette bei Rauchern mit der bei Ex-Rauchern. Studien mit Probanden, die nie geraucht haben, sind in den USA aus ethischen Gründen nicht erlaubt. Das Ergebnis: Bei Rauchern wurde während der Studie eher die rechte, bei Ex-Rauchern eher die linke Hirnhälfte aktiviert. Offenbar setzten Raucher andere Bereiche ihres Gehirns ein als Ex-Raucher, um während des Labyrinth-Testes die zurückgelegten Wege im Arbeitsgedächtnis zu behalten. Bekamen die Raucher noch zusätzlich Nikotin, sank die Aktivierung, bei Ex-Rauchern nahm sie dagegen zu. Rauchern schien die Bewältigung der Aufgabe mithilfe von Nikotin leichter zu fallen, während sich Ex-Raucher sogar mehr anstrengen mussten, um die Aufgabe zu meistern.
Abhängigkeit im Fokus
Neben den Veränderungen, die Rauchen sofort im Gehirn bewirkt, beschrieb Schütz auch die langfristigen Wirkungen von Nikotin: Raucher erleben durch Nikotin, dass sich ihre Aufmerksamkeit verbessert und Entspannung ausbreitet. Die positiven Gefühle werden mit der Substanzeinnahme in Verbindung gebracht. Zuvor neutrale Reize, wie das Bild einer Zigarette, gewinnen plötzlich an Bedeutung. Abhängigkeit bahnt sich an. Dabei verändern sich auch Strukturen im Zentralnervensystem. Nikotin stimuliert Acetylcholinrezeptoren, so dass die Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin verstärkt ausgeschüttet werden. Die damit verbundenen psychotropen Wirkungen erklären das hohe Suchtpotenzial des Nikotins. Auch die Entzugssymptome wie Nervosität und Unruhe, die Gewichtszunahme und das starke Verlangen, wieder zu rauchen, hängen mit dem veränderten Zusammenspiel der beiden Botenstoffe zusammen.
Schütz stellte eigene Untersuchungen zu den Faktoren vor, die bei einem abstinenten Probanden wieder zum Rückfall führen. Er unterschied drei Kategorien, die zwar zusammenhängen, aber im Gehirn durch unterschiedliche Prozesse repräsentiert werden:
Zwar ist die Endstrecke des Rückfalls neurobiologisch dieselbe, doch Schlüsselreize, Stress und Priming werden unterschiedlich verarbeitet. So zeigten Untersuchungen mit fMRT, dass sich der Glucosestoffwechsel veränderte, wenn den Rauchern unter den Probanden nur vier Sekunden lang eine Zigarette gezeigt wurde. Die Bilder wurden rasch von anderen Eindrücken überlagert, sodass die Studienteilnehmer kein bewusstes Verlangen nach der Substanz, kein „Craving“, entwickelten; trotzdem reagierte ihr Gehirn anders als das von Nichtrauchern.
Zudem wurden Probanden Filme gezeigt, in denen Rauchen eine große Rolle spielt. Im Gegensatz zur vorherigen Untersuchung erlebten die rauchenden Studienteilnehmer also ein bewusstes Craving. Vier Bereiche im Gehirn wurden dabei aktiviert: Neben dem limbischen System, das Gefühle vermittelt, sind an der Reaktion auch Areale beteiligt, die für Motivation, Gedächtnis sowie kognitive Kontrolle wichtig sind.
Während diese Schlüsselreize schon gut untersucht sind, weiß man noch wenig über den Einfluss von Stress und Priming. Diese Forschungen stehen erst am Anfang. Die Wissenschaftler hoffen jedoch, mit differenzierten Kenntnissen Abhängigkeit besser verstehen und behandeln zu können.
Neues Verhalten einüben
Die meisten Raucher haben mindestens einmal den Versuch unternommen, das Rauchen zu beenden. Dennoch schaffen es die wenigsten aus eigener Kraft und suchen deshalb Unterstützung. Um die Macht der Rituale zu brechen, hat sich besonders eine kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Verblüffenderweise bringen sogar dreiminütige Gespräche einen Erfolg - auch kurze Motivationsgespräche in der Apotheke können durchaus etwas bewirken. Empfehlenswert ist jedoch eine Gruppentherapie über sechs bis zehn Wochen, während der neue Verhaltensweisen trainiert werden.
So wurde beim Suchtkongress auch das Konzept der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Rauchfrei in zehn Schritten“ vorgestellt, das in einer Hamburger Klinik erprobt wurde. An dem Programm nahmen starke Raucher teil, die die Absicht hatten, mit dem Rauchen aufzuhören. Am Ende des Entwöhnungskonzeptes waren 52 Prozent der Teilnehmer abstinent, 32 Prozent rauchten deutlich weniger. Bei einem Drittel der Patienten wurde die kognitive Verhaltenstherapie durch Nikotinpflaster beziehungsweise -kaugummis unterstützt. Ein Jahr nach Abschluss des Programms rauchten immerhin 26 Prozent der ehemals starken Raucher nicht mehr.
Die Motivation anbahnen
Doch was kann man Rauchern anbieten, die noch gar nicht die Absicht haben, das Rauchen zu beenden? Umfragen und Untersuchungen deuten an, dass etwa ein Drittel aller Raucher nicht aufhören möchte oder sich nur sehr vage damit beschäftigt. Die einzelnen Stadien, die beim Entschluss zum Nichtrauchen durchlaufen werden, sind im transtheoretischen Modell zusammengefasst.
Das Institut für Therapieforschung in München hat eine Methode entwickelt, die schon in der Phase der Absichtsbildung ansetzt: Kleine Gruppen von sechs bis acht Teilnehmern setzen sich mit der Macht ihrer Gedanken und Gefühle auseinander, wobei die Ambivalenz widerstreitender Motive durch den Gruppenleiter noch verstärkt wird. So wird den Teilnehmern bewusst, was sie tatsächlich am Rauchverzicht hindert - erste Voraussetzung, um Strategien für eine Veränderung vorzubereiten. Diese motivierende Vorgehensweise wurde bisher in einer Pilotstudie an drei Rehakliniken erprobt und soll auf vierunddreißig weitere Einrichtungen ausgeweitet werden.
Ziel des Konzeptes WIRK (Wirksamkeit intensivierter Raucherentwöhnung) ist es herauszufinden, für wen eine motivationale Gesprächsführung und für wen eine kognitive Verhaltenstherapie der bessere Weg ist. Die Studie ist Teil des Suchtforschungsverbundes ASAT (Allocating Substance Abuse Treatments to Patient Heterogenity). Weitere Informationen zu den verschiedenen Programmen finden sich unter www.asat-verbund.de sowie www.ift.de.
Rauchfrei in zehn Schritten Bei dem Programm „Rauchfrei in zehn Schritten“ handelt sich um ein kognitiv- verhaltenstherapeutisches Programm. Es kombiniert die so genannte Reduktionsmethode mit der Punkt-Schluss-Methode. Das Programm wird in Gruppen mit maximal zwölf Personen durchgeführt. Als minimale Begrenzung nach unten werden sechs Personen vorgeschlagen. Im ersten Schritt analysieren die Teilnehmer ihr Rauchverhalten und ihre Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören. In der Gruppe wird die Motivation gestärkt. Gründe für bisherige Misserfolge beim Aufhören werden analysiert. Im zweiten Schritt verändern die Teilnehmer ihr Rauchverhalten schrittweise, bis sie an einem festgelegten Tag ganz mit dem Rauchen aufhören. Die Teilnehmer lernen somit, auslösende Situationen zu kontrollieren und schrittweise ihr Verhalten zu verändern. Nach der Hälfte des Programms ist eine Beendigung des Rauchens angestrebt. Im dritten Schritt wird das Nichtraucherverhalten stabilisiert und einem Rückfall vorbeugt. Ein Schwerpunkt liegt in dieser Phase auf verschiedenen Alternativverhalten in Versuchungssituationen, in denen früher geraucht wurde, sowie in Entspannungsübungen.
Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
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