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Ein vom Aussterben bedrohtes Fach

28.06.2004  00:00 Uhr

Kinderradiologie

Ein vom Aussterben bedrohtes Fach

von Christina Hohmann, Heidelberg

Jeder sechste Einwohner in Deutschland ist unter 15 Jahre, doch nur jeder 100. Radiologe hat sich auf die Untersuchung von Kindern spezialisiert. Denn die nötige Zusatzausbildung ist langwierig, die Arbeit mit Kindern aufwendig und unrentabel. Experten befürchten ein Aussterben des Fachs – zum Nachteil der Kinder.

In ganz Deutschland gibt es etwa 45 Kinderradiologen und nur vier selbstständige Institute für dieses Fachgebiet, berichtete Professor Dr. Jochen Tröger, ärztlicher Direktor der Abteilung für Pädiatrische Radiologie der Universität Heidelberg auf einer Pressekonferenz in Heidelberg. Daher werden die meisten Kinder von nicht spezialisierten Radiologen untersucht. Dies spiegelt sich in der Qualität wider: 10 bis 20 Prozent der bei Kindern angefertigten Röntgenaufnahmen sind unbrauchbar, wie eine Studie von 1997 ergab. „Dies ist nicht nur wegen der unnötigen Strahlenbelastung, sondern auch aus ökonomischer Sicht inakzeptabel“, sagte Tröger auf der Presseveranstaltung anlässlich des 41. Kongresses der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (ESPR).

Für die Untersuchung von Kindern ist Fachwissen vonnöten. Daher absolvieren Kinderradiologen nach der Facharztausbildung zum Radiologen noch eine dreijährige Zusatzausbildung. Kinder sind ein besonderes Klientel: Sie haben ein anderes Krankheitsspektrum als Erwachsene und außerdem müssen die Kinderradiologen die altersspezifischen Besonderheiten vom Frühgeborenen bis zum Teenager beachten.

Weiterhin ist bei Kindern Strahlenschutz wichtiger als bei Erwachsenen, erklärte Tröger. Hierfür gibt es verschiedene Gründe: Kinder haben noch eine lange Lebenszeit vor sich. Dadurch haben sie im Laufe ihres Lebens eine relativ hohe Gesamtstrahlendosis zu erwarten, was das Risiko für Krebserkrankungen erhöht. Außerdem wachsen Kinder noch, weshalb sie eine hohe Zellteilungsaktivität haben. Sich teilende Zellen sind besonders empfindlich gegenüber Röntgenstrahlen. Weiterhin haben Kinder ihre reproduktive Phase noch vor sich. Durch Strahlung verursachte Schäden im Erbgut würden theoretisch an die nächste Generation weitergegeben, sagte Tröger. Grund für überzogene Ängste der Eltern bestehe aber nicht.

Trotzdem sollte in Deutschland ein Umdenken stattfinden, denn in der Bundesrepublik liegt die Zahl der Röntgenuntersuchungen pro Einwohner im internationalen Vergleich sehr hoch. In den Niederlanden und in Schweden ist sie nicht einmal halb so groß. „Für die gesamte Bevölkerung, vor allem für Kinder, müssen wir die Zahl der Röntgenaufnahmen deutlich reduzieren“, so Tröger.

Aus Gründen des Strahlenschutzes spielt die risikolose Ultraschalluntersuchung in der Behandlung von Kindern die wichtigste Rolle. Sie kommt nicht nur ohne ionisierende Strahlung aus, sondern ist auch für die Kinder angstfrei. Ein weiterer Vorteil ist, dass wegen der geringen Größe der Patienten die Ultraschallwellen nicht so tief eindringen müssen. Daher können Wellen mit hoher Frequenz verwendet werden. Sie ermöglichen eine hohe Auflösung und somit eine gute Bildqualität und genaue Diagnose.

Neben Ultraschall wird hauptsächlich die ebenfalls ohne ionisierende Strahlung auskommende Kernspin- und Magnetresonanztomographie eingesetzt. Alle Weichteile sind mit diesen Methoden gut darstellbar, vor allem Gehirn und Rückenmark, Bauchorgane, Muskulatur und Knochenmark. Auch Tumoren sind gut zu erkennen.

Obwohl Kinderradiologen zumeist die strahlungsfreien Techniken einsetzen, sei eine moderne Medizin ohne Röntgen- und Computertomographieuntersuchung nicht denkbar, so der Referent. Bei einigen Indikationen seien Röntgenaufnahmen unbedingt notwendig, vor allem bei der Untersuchung von Unfallopfern.

Keine wirtschaftliche Basis

Viele bildgebende Verfahren sind für die Kinder sehr belastend, da sie zum Beispiel über längere Zeit in einer engen Röhre liegen müssen. Kinderradiologen verbringen daher zumeist mehr Zeit mit Erklärungen und Beruhigungen als mit der Untersuchung selbst. Ein großer Teil der Kinder muss sogar medikamentös ruhiggestellt werden, sagte Tröger. Wegen der zeitintensiven Untersuchungen rechne sich die Arbeit mit Kindern nicht, erklärte der Referent. Daher gebe es auch kaum niedergelassene Kinderradiologen in Deutschland. Eine Praxis sei fast nur dann möglich, wenn ein Spezialist mit anderen Radiologen eine Gemeinschaftspraxis eröffnet.

Dies könnte zu einem Aussterben des Fachs führen, befürchtet Tröger. Um dem zu entgehen, sollten die wenigen radiologischen Zentren in Deutschland gefördert werden, um die Ausbildung und die Forschung im Fachbereich sicherzustellen. „Es wäre auch eine Lösung, wenn alle Radiologen ausreichend in der Untersuchung von Kindern geschult würden“, so Tröger. Dies sei aber auch nicht möglich, da zu wenige Kinderradiologen als Ausbilder zur Verfügung stehen.

Eltern sollten die vorhandene Fachkompetenz nutzen und ihr Recht auf den Besuch bei einem Kinderradiologen wahrnehmen, riet Professor Dr. Brigitte Stöver, ärztliche Leiterin der Abteilung für Pädiatrische Radiologie an der Charité Berlin. Der nächstgelegene Spezialist lässt sich auf der Website www.kinder-radiologie.de suchen: Unter „Links zu Kinderradiologen“ sind alle Fachärzte in Deutschland – nach Postleitzahlen sortiert – aufgeführt, ebenso wie ihre Kollegen aus der Schweiz und aus Österreich. Top

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