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Hirnschrittmacher frühzeitig einsetzen

27.06.2005  00:00 Uhr
Parkinson

Hirnschrittmacher frühzeitig einsetzen

von Patrick Hollstein, Berlin

Die tiefe Hirnstimulation kann die Beweglichkeit und Lebensqualität von Parkinson-Patienten erheblich verbessern. Experten raten, den »Hirnschrittmacher« vor allem bei jungen Erkrankten frühzeitig in Betracht zu ziehen. Dies könne psychosoziale Folgeschäden vermeiden.

Trotz der guten symptomatischen Wirksamkeit von L-Dopa treten bei der Hälfte der Behandelten bereits nach wenigen Jahren medikamentöser Therapie Komplikationen wie spontane Wirkungsschwankungen und arzneimittelbedingte Dyskinesien auf. Ausgeprägte Off-Phasen (Bewegungslosigkeit) und durch unkontrollierte, überschießende Bewegungen überschattete On-Phasen (problemlose Aktivität) schränken die Patienten erheblich ein; mitunter sind die Betroffenen permanent auf fremde Hilfe angewiesen. Psychische Nebenwirkungen wie Halluzinationen oder manifeste Psychosen schließen weitere Dosisanpassungen häufig aus.

Um die oft irreversiblen psychosozialen Folgeschäden wie den Verlust der Arbeitsfähigkeit, der Möglichkeit zur Selbstbestimmung und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen zu verhindern, empfahlen Experten auf einer Veranstaltung des Medizingeräteherstellers Medtronic, vor allem bei frühzeitig Erkrankten die Anwendung der tiefen Hirnstimulation (THS) in Betracht zu ziehen. Bis zu 20 Prozent aller Parkinson-Patienten könnten von der symptomatischen Therapie profitieren, schätzte Dr. Jens Volkmann von der Neurologischen Klinik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Bislang werde das operative Verfahren jedoch erst bei schwerem therapierefraktärem Tremor oder dem so genannten L-Dopa-Langzeitsyndrom angewandt, das heißt, wenn die konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft sind.

Fuß von der Bremse

Unter lokaler Betäubung werden für die THS ein Hirnschrittmacher unterhalb des Schüsselbeins sowie zwei Stimulationselektroden ins Gehirn implantiert, welche subkutan über dünne Kabel mit dem Schrittmacher verbunden sind und rund um die Uhr elektrische Impulse in den Nucleus subthalamicus abgeben. Die Zellen dieses Netzwerks aus Basalganglien, das inhibitorisch auf nachgeschaltete Hirnareale wirkt und dadurch Bewegungsabläufe reguliert, ist bei Parkinson-Patienten enthemmt. Tremor, Akinese und Rigor sind die klinischen Symptome der neurologischen Funktionsstörung.

Bei der THS wird infolge der Dauererregung das dysfunktionale Nervengewebe gezielt ausgeschaltet, womit sich die Bewegungsfähigkeit bessert. Medikamentös bedingte Hyperkinesien werden durch die nunmehr mögliche Dosisreduktion indirekt günstig beeinflusst. Das klinische Bild des Tremors bessert die THS auch dann, wenn mit der medikamentösen Therapie keine Erfolge mehr erzielt werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche und dauerhafte Linderung der Parkinson-bedingten Muskelsteifigkeit sei dagegen das Ansprechen des Patienten auf entsprechende Medikamente, erläuterte Dr. Niels Allert vom Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe. Denn je besser L-Dopa ­ zumindest kurzzeitig ­ auf Rigor und Akinese wirke, desto größer sei die zu erwartende Stimulationswirkung. Bessert also eine erhöhte Einzeldosis L-Dopa die akuten Symptome des Patienten im so genannten L-Dopa-Test, kann die THS erwogen werden. Allerdings kann auch die THS als rein symptomatische Therapie den Untergang dopaminerger Neuronen und damit das Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten.

Lebensqualität verbessert

Die bisherigen Ergebnisse der 1998 in Deutschland zugelassenen Methode sind viel versprechend und denen einer erfolgreichen medikamentösen Therapie zum Teil überlegen. Auf Grund der verringerten Fluktuationen und Hyperkinesien verdoppele die THS innerhalb von sechs Monaten die so genannte Zeit der besten Beweglichkeit pro Tag. Daneben habe sich in Studien die motorische Kontrolle im Off-Zustand um bis zu 60 Prozent verbessert, so Volkmann. Durch Synergismus könne die Dosis der Medikamente halbiert werden; rund 10 Prozent der THS-Behandelten könnten sogar komplett ohne Antiparkinsonmittel auskommen. Als wesentlichen Vorteil betrachteten die Patienten nach seinen Angaben die um 20 bis 60 Prozent verbesserte Lebensqualität: Auf Grund der stabilisierten Motorik sowie der reduzierten Medikamenteneinnahme können die Betroffenen ihren Tagesablauf besser planen und fühlen sich sicherer.

Langzeituntersuchungen lassen laut Volkmann außerdem vermuten, dass der Effekt der THS bis zu fünf Jahre stabil bleiben kann. Danach macht sich das Voranschreiten der Erkrankung allerdings bemerkbar. Beide Experten rechnen damit, dass sich mit der THS das Bild der Parkinson-Erkrankung verändern könnte: weg von den immer besser behandelbaren motorischen Störungen hin zu anderen, bislang überlagerten klinischen Erscheinungsbildern.

Überschaubare Nebenwirkungen

Das Risiko dafür, dass Einblutungen nach der Operation einen Schlaganfall auslösen, liegt laut Allert unter 1 Prozent; Infektionen im Bereich des Implantats treten in 5 bis 8 Prozent der Fälle auf. Zudem sei das Nebenwirkungsprofil der THS sehr günstig. Neben Sprachstörungen, die sich durch die Feinjustierung des Neurostimulators beheben ließen, müssten allerdings vorübergehende psychische Veränderungen für die Dauer der Einstellung einkalkuliert werden. Bei vielen Patienten käme es daneben zu einer Gewichtszunahme um bis zu sieben Kilogramm im ersten Jahr.

Mittlerweile tragen allein in Deutschland mehr als 3000 Patienten einen Hirnschrittmacher. Knapp 30 Kliniken führen die notwendige Operation als Kassenleistung durch. Noch in Studien befindet sich der Einsatz der THS bei Angstpsychosen und Depression.

 

Symptomatik zurückdrängen Die THS bessert die Beweglichkeit und Lebensqualität von Parkinson-Patienten deutlich, so die Sechs-Monats-Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Multicenterstudie. Diese verglich die THS bei 156 Patienten mit fortgeschrittenem Morbus Parkinson mit der bestmöglichen medikamentösen Therapie (L-Dopa und Dopaminagonisten). Sechs Monate nach der OP war die Dauer der Off-Perioden im THS-Arm auf ein Fünftel des Ausgangswertes gesunken, die der On-Phasen hatte sich mehr als verdoppelt. Im Kontrollarm änderte sich auf Grund der ausgereizten Therapie dagegen nahezu nichts. Auch die Lebensqualität war bei den operierten Patienten mit einem mittleren Anstieg von 20 Prozent hochsignifikant besser. Laut Studienleiter drehe die THS die Symptomatik um etwa zehn Jahre zurück.

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