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Medizin

21.06.1999  00:00 Uhr

-MedizinGovi-Verlag

Neues aus der Wissenschaft

zusammengestellt von Daniel Rücker und Elke Wolf

Trinken senkt Risiko für Blasenkrebs

Bei Männern ist eine hohe Flüssigkeitsaufnahme mit einem niedrigeren Blasenkarzinomrisiko assoziiert. Diesen Schluß läßt zumindest eine US-amerikanische Studie zu, die vor kurzem im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Dabei war es unerheblich, ob die Teilnehmer Wasser, Kaffee, Tee, Bier, Wein, Limonade, Milch oder Obstsäfte tranken. Das ist erstaunlich, weil beispielsweise Alkohol und Kaffee einen diuretischen Effekt haben und man von Frucht- und Gemüsesäften annimmt, da sie mit ihren biaktiven Inhaltsstoffen eventuell modulierend auf Karzinogene wirken können.

Die Ursache für die Entstehung eines Blasenkarzinoms ist bis heute spekulativ. So gibt es eine Reihe widersprüchlicher Studien, ob eine gesteigerte Flüssigkeitsaufnahme das Erkrankungsrisiko senken kann. Zwar haben tierexperimentelle Studien gezeigt, daß die Konzentration potentieller Karzinogene im Urothel abnimmt, je häufiger die Tiere Wasser lassen. Und auch beim Menschen verringert mehr Flüssigkeit die Kontaktzeit zwischen Karzinogenen und Urothel, weil die Metaboliten im Harn verdünnt werden und die Miktionshäufigkeit zunimmt. Aber ob das letztendlich das Krebsrisiko reduziert, ist nicht bewiesen. Fest steht allerdings, daß das Alter und Rauchen mit einer erhöhten Blasenkrebsrate im Einklang stehen. Männer über 65 Jahren, die rauchen, erkranken 3,7mal häufiger an Blasenkarzinom als nicht rauchende Senioren.

Die amerikanischen Wissenschaftler untersuchten über einen Zeitraum von zehn Jahren 47 909 karzinomfreie männliche Teilnehmer der sogenannten Health Professional Follow-up Study, um über den Zusammenhang zwischen Tumoren im Urothel und Flüssigkeitsmenge neu Erkenntnisse zu gewinnen. In dieser Zeit wurde der Blasenkrebs 252mal neu diagnostiziert. Jeder der Teilnehmer erhielt einen Fragebogen, anhand dessen die Experten die Gesamtflüssigkeitsmenge aus Art und Menge der Getränke und aus dem Verzehr von Lebensmitteln berechneten. Den Einfluß von Risikofaktoren wie Alter oder Rauchen nivellierten sie durch Regressionsanalysen.

Je höher der tägliche Flüssigkeitskonsum, desto niedriger das Blasenkarzinomrisiko, so die eindeutige Korrelation. Durchschnittlich hatten die Probanden, die täglich mehr als 2,5 Liter tranken, ein um die Hälfte niedrigeres Risiko als Männer, die etwa 1,3 Liter aufnahmen. Das gilt sowohl für Wasser als auch für andere und in Maßen genossene alkoholische Getränke. Wer mehr als 1,5 Liter Wasser am Tag trank, war im Vergleich zu Menschen, die weniger als 250 ml täglich aufnahmen, nur halb so stark gefährdet, einen Krebs in der Blase zu entwickeln. Wer über den Tag verteilt seinen Durst mit mehr als 1,8 Liter Getränke wie Bier, Milch, Fruchtsäfte oder Kaffee löschte, der hatte ein 63 Prozent niedrigeres Blasenkrebsrisiko als der, der nur 0,7 Liter solcher Getränke aufnahm.

Quelle: Michaud, D., et al., New England Journal of Medicine Vol 340 (1999) 1390 – 1397.

 

Bei Angiogenesehemmer muß der Zeitpunkt stimmen

Angiogenesehemmer können Tumoren die Versorgungswege kappen. Welche Substanz die beste ist hängt vom Krebsstadium ab. Solide Tumoren regen das Wachstum von Blutgefäßen im Gewebe an und sichern sich so den Nachschub für ihr Wachstum. In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, daß die Tumoren kleiner werden oder ganz verschwinden, wenn man die tumorinduzierte Angiogenese blockiert.

Doch ist nicht jede angiogenesehemmende Substanz die richtige zu jeder Zeit. In Tests haben Gabriele Bergers und ihre Kollegen von Universität San Francisco gezeigt, daß manche Substanzen im frühen Krebsstadium effektiver sind und andere in späteren Stadien.

Ihre Versuch machten die Amerikaner an Mäusen mit genetisch fixiertem Inselzellkarzinom. Die Erkrankung verläuft in drei Phasen. In den ersten drei bis vier Wochen bilden die Inselzellen Onkogene, dann entstehen erste hyperplastische Inselzellen und nach zehn Wochen treten solide Tumoren auf. Mäuse aus jedem Krebsstadium wurden mit vier verschiedenen Angiogenesehemmern (Angiostatin, Endostatin, AGM-1470 und BB-94) sowie der Kombination aus Angiostatin und Endostatin behandelt.

In der ersten Phase der Krankheit war der Einsatz von Endostatin allein und die Kombination mit Angiostatin besonders erfolgreich. AGM-1470 war dagegen wirkungslos. Im zweiten Stadium waren AGM-1470, Endostatin und BB-94 Testsieger. Sie reduzierten das Tumorwachstum um 82 bis 88 Prozent. Eine Reduktion der Tumorgröße im dritten Krankheitsstadium erzielten AGM-1470 sowie die Kombination aus Angiostatin und Endostatin. Die anderen Testsubstanzen waren in diesem Stadium ohne Wirkung.

Quelle: Bergers, G. et al., Science, 29. April 1999, 808 – 811.

 

Folsäurestatus in USA hat sich verbessert

Mitunter werden in Deutschland Vorbehalte gegenüber Dingen gehegt, die in den Vereinigten Staaten ohne viel Umschweife in die Tat umgesetzt werden; zum Beispiel die Anreicherung von Nahrungsmitteln mit bestimmten Vitaminen oder Mineralstoffen.

1996 legte die Food and Drug Administration (FDA) in einer Richtlinie fest, daß allen angereicherten Kornprodukten zusätzlich Folsäure zugesetzt werden muß. So wollte man die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten bei Säuglingen wie der Spina bifida reduzieren. Außerdem benötigt der Organismus Folsäure, um die atypische Aminosäure Homocystein abzubauen. Homocystein ist ein eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung von Atherosklerose. Mit der Anreicherung von 140 Mikrogramm Folsäure pro 100 Gramm wurde 1996 begonnen, und der Prozeß war Mitte 1997 weitgehend abgeschlossen.

Ein amerikanisches Forscherteam um Paul Jacques untersuchte jetzt die Effektivität der Folsäurebeigabe, indem sie den Folatstatus im Plasma sowie die Gesamthomocystein-Konzentration als einen empfindlichen Marker für Folsäure bestimmten. Dazu griffen die Wissenschaftler auf Blutproben der Framingham-Studie zurück. Die Studie befaßte sich mit epidemiologischen Daten zu Herzkrankheiten. Die Blutproben stammten von 350 Personen, die nach der Anreicherung (September 1997 bis März 1998) untersucht wurden, und von 756 Probanden, die vor dem FDA-Programm (Januar 1995 bis September 1996) Blut ließen. Zusätzliche Vitamin-Supplementierung hat Jacques Arbeitsgruppe in der Auswertung berücksichtigt.

Eindeutiges Ergebnis der amerikanischen Expertengruppe: Die Folsäureanreicherung von Kornprodukten verbesserte die Versorgung der Probanden erheblich. Von den Personen in der "Anreicherungsgruppe", die keine ergänzenden Vitaminpräparate zu sich nahmen, stieg die durchschnittliche Folsäurekonzentration zwischen der ersten und der Follow-up-Untersuchung von 4,6 auf 10 ng/ml, und die Prävalenz niedriger Folsäurekonzentrationen war von 22 auf 1,7 Prozent gesunken. Die durchschnittliche Gesamthomocystein-Konzentration sank im selben Zeitraum von 10,1 auf 9,4 mmol/l, die Prävalenz hoher Homocystein-Konzentrationen ging von 18,7 auf 9,8 Prozent zurück. In der Kontrollgruppe dagegen gab es keine statistisch signifikanten Veränderungen in den Folsäure- und Homocystein-Konzentrationen.

Jacques, P. F., et al., New England Journal of Medicine, Vol. 340, 13. Mai 1999, S. 1449 - 1454.

 

Frühgeburt nimmt Haut in Schutz

Frühchen gelten gemeinhin als extrem krankheitsanfällig. Besonders für allergische Hautkrankheiten und Asthma sollen sie prädisponiert sein. Daß das zumindest für die Ausbildung einer Neurodermitis während des ersten Lebensjahres nicht zutrifft, hat jetzt der Neonatologe Christoph Bührer und seine Arbeitsgruppe vom Virchow-Institut in Berlin nachgewiesen. Nach seinen Erfahrungen ist ihr Risiko sogar geringer als das für pünktlich Geborene.

Das Berliner Team untersuchte dazu über 300 zu früh geborene Babys, die meisten mit extrem niedrigem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm. Als Vergleich dienten rund 450 kleine Schreihälse, die rechtzeitig zum erwarteten Termin auf die Welt kamen. Mit einem Fragebogen für Eltern und Pfleger, in dem nach Hautkrankheiten, besonders Neurodermitis, oder nach Rauch im Elternhaus gefragt wurde, erfaßten die Experten die familiäre Vorbelastung der Kleinen.

Nur zwei Prozent der Frühgeborenen hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung ein atopisches Ekzem, dem standen vier Prozent in der Kontrollgruppe gegenüber. In der Gruppe der rechtzeitig Geborenen gab es zudem hin und wieder den Fall, daß die Hautsymptome nur vorübergehend zu beobachten waren. Das relative Risiko, im Lauf des ersten Lebensjahres eine Neurodermitis zu entwickeln, liegt für Frühgeborene um rund zwei Drittel niedriger als für Geburtstermin-Babys. Der elterliche Hang zur Zigarette und das Nettoeinkommen der Eltern hatten übrigens in dieser Studie keinen Einfluß auf die Ausbildung eines atopischen Ekzems.

Über eine Erklärung für die niedrigere Prevalenz der Kleinen könne nur spekuliert werden, so die Berliner Neonatologen. Es scheine, daß der Organismus toleranter gegenüber Antigenen reagiere, je früher er ihnen ausgesetzt ist. Tierversuche an Mäusen zeigten zumindest, daß kleine Mengen an Antigen die Antigen-spezifischen Th2-Lymphozyten und die IgE-Produktion supprimieren.

Quelle: Bührer, C., Lancet, Vol. 353, 15. Mai 1999, S. 1674.

 

HI-Virus geht vor HAART in Deckung

Auch mit modernen Therapieregimen ist dem HI-Virus nicht vollständig beizukommen. Selbst wenn im Blut von Aidskranken keine HI-Viren mehr nachgewiesen werden können, ist der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit nicht gewonnen.

Wie Manohar Furtardo und seine Kollegen von der Universität Chicago herausgefunden haben, persistiert eine kleine Zahl von Viren in den mononuklearen Zellen des peripheren Blutsystems. Auch mit HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie), in der mehrere Aidsmedikamente kombiniert werden, können die Viren nicht aus diesem Refugium vertrieben werden.

In ihren Untersuchungen stellten die Forscher fest, daß der Plasma-Level der Viren-DNA und RNA nach Beginn der Therapie zwar schnell auf fast ein tausendstel des Ausgangswertes fällt. Aber selbst nach fast zwei Jahren Therapie, wenn im Plasma keine Viruskopien nachweisbar sind, registrierten sie in den mononuklearen Zellen noch Virusaktivität. Für Furtado ist dies ein klarer Beweis dafür, daß auch die hochaktive Kombinationstherapie mit Proteasehemmern und Reversetranskriptasehemmern das HI-Virus nicht wirklich besiegen kann.

Quelle: Furtado, et al., New England Journal of Medicine, 27. Mai 1999. S. 1614 – 1622.

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