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Schwindsucht verliert ihren Schrecken nicht

27.05.2002  00:00 Uhr

Tuberkulose

Schwindsucht verliert ihren Schrecken nicht

von Christina Hohmann, Berlin

Tuberkulose ist heute die weltweit am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit bei Jugendlichen und Erwachsenen. Und sie ist die Todesursache Nummer eins für HIV-Infizierte. Vor allem in den armen Ländern werden sich Tuberkulose und die Immunkrankheit Aids in Zukunft gegenseitig verstärken.

Bei Schwindsucht haben viele das Bild der "romantischen Krankheit" vor Augen, an der sich Liebende in vergangenen Zeiten wie Alexandre Dumas' Kameliendame vor innerem Feuer verzehren. Aber die Tuberkulose ist auch heute noch für viele Menschen bittere Realität: Weltweit erkranken jedes Jahr neun Millionen Menschen neu an der chronischen Infektion, über zwei Millionen sterben, davon 400.000 Kinder, so die Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Im Jahr 2000 erreichten die Zahlen einen traurigen Höhepunkt, und das obwohl seit Jahrzehnten überaus wirksame Medikamente zur Verfügung stehen. Besonders betroffen sind die so genannten Entwicklungsländer, in denen rund 95 Prozent der Erkrankungen und 98 Prozent der Todesfälle auftreten. Armut, Kriege, starke Wanderungsbewegungen, eine sinkende Qualität der medizinischen Versorgung und vor allem die fortschreitende HIV-Epidemie lassen hier die Tuberkulose grassieren. Besonders in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in Südostasien, in Teilen Lateinamerikas und zunehmend auch in der ehemaligen Sowjetunion (siehe auch PZ 05/02) stellt die Tuberkulose ein ernstes Problem dar.

Insgesamt befürchten Experten, dass die Tuberkulosefälle in den nächsten Jahren weltweit um etwa 3 Prozent ansteigen werden. Dagegen sinkt die Zahl der Erkrankungen in Deutschland kontinuierlich. Traten 1950 noch rund 123.000 Fälle auf, waren es im Jahr 2000 nur noch 9064 gemeldete Erkrankungen. Für das Jahr 2001 geht das Robert-Koch-Institut sogar nur von etwa 8000 Tuberkulosefällen aus.

Der Erreger

Die auch als Schwindsucht bekannte Tuberkulose ist eine chronische Infektion mit Mycobacterium tuberculosis oder den nah verwandten Arten Mycobacterium bovis und africanum. Die Erreger sind schlanke, stäbchenförmige, säurefeste und unbewegliche Bakterien, die als obligate Aerobier am besten in hohen Sauerstoffkonzentrationen wachsen, wie sie beispielsweise in der Lunge und in der Nierenrinde vorhanden sind. Zum selben Genus wie die Tuberkulosebakterien zählt auch der Lepraerreger Mycobacterium leprae, dieser lässt sich aber im Gegensatz zu den Tuberkulosebakterien in Nährmedien anzüchten.

Da Mycobacterium bovis die Krankheit sowohl im Menschen als auch in Rindern, Dachsen und anderen Wildtieren auslösen kann, war früher auch eine Infektion durch Rohmilch möglich. Vorwiegend werden die Erreger allerdings durch Tröpfchen übertragen, die Patienten mit offener Tuberkulose beim Niesen, Husten und Sprechen abgeben. Unter offener Tuberkulose versteht man, dass der Krankheitsherd Anschluss an die Luftwege hat. Beengtes Wohnen fördert die Ansteckung, da die Personen den Erregern vermehrt ausgesetzt sind.

Erster Kontakt

Meist gelangen die Bakterien also über Tröpfchen in die Lunge und werden dort von Alveolarmakrophagen aufgenommen. In diesen vermehren sie sich, töten schließlich die Immunzellen und verbreiten sich in der näheren Umgebung. Im weiteren Verlauf erfolgt ein Wettrennen zwischen den sich vermehrenden Bakterien und der Aktivierung der spezifischen Abwehr. Im Laufe von etwa sechs Wochen bildet sich in der Lunge eine kleine knötchenförmige Entzündung, der so genannte Primärkomplex. Gelegentlich können auch lokale Herde mit größeren Gewebedefekten entstehen.

Selten kommt es zur Streuung der Erreger über die Blutbahn. In über 90 Prozent der Fälle geht das Wettrennen zu Gunsten des Wirtes aus, die Primärkomplexe beziehungsweise lokalen Herde heilen ab, vernarben, verkalken. Die Primärinfektion verläuft meist symptomlos, selten treten Fieber und trockener Husten auf.

Bei Infizierten, die keine effektive Zell-vermittelte Immunantwort aufbauen, etwa bei kleinen Kindern, Immunsupprimierten und älteren Menschen, geht die Primärinfektion in eine so genannte progrediente Primärtuberkulose über. Zu dieser Erkrankung, die durch chronischen Husten mit Auswurf (für mehr als drei Wochen), Nachtschweiß, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Fieber gekennzeichnet ist, kommt es bei etwa 5 Prozent der Erstinfizierten. Bei weiteren 5 Prozent geht die Primärtuberkulose nach Jahren oder Jahrzehnten in die eigentliche Organtuberkulose über. Da das Immunsystem nicht alle Bakterien vernichtet, überdauern einige "schlafende", langsam metabolisierende Organismen in den abgekapselten Läsionen in der Lunge oder in anderen Organen. Bei geschwächter Immunlage können diese abgeheilten Infektionsherde Jahre später wieder aufbrechen und somit eine lokale Tuberkulose verursachen.

Erhalten die Erreger Anschluss an das Blutgefäßsystem, können sie auch andere Organe als die Lunge befallen oder eine generalisierte Tuberkulose hervorrufen. Zu einer solchen Reaktivierung kommt es zum Beispiel bei Mangelernährung, Stress, Alkoholismus, Drogenkonsum, bestimmten Krankheiten wie HIV-Infektion, Diabetes mellitus oder im Alter unter einer immunsuppressiven Therapie.

Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten (80 Prozent) ist von der Organtuberkulose die Lunge betroffen. Bei der extrapulmonalen Form können fast alle anderen Organe vor allem aber Lymphknoten, Knochen, Gelenke, das Urogenitalsystem und die Nieren geschädigt werden. Die Skelett-Tuberkulose betrifft hauptsächlich die großen, Gewicht tragenden Knochen wie Wirbelsäule, Hüfte und Knie. Schädigungen der Wirbelkörper können zu schweren Missbildungen führen. Weitere ernsthafte Ausprägungen sind die Miliartuberkulose (generalisierte Tuberkulose), bei der sich die Bakterien via Blutstrom im gesamten Körper ausbreiten, und die tuberkulöse Meningitis.

Tuberkulose und HIV

Bei einer geschwächten Abwehrlage kommt es leicht zur Reaktivierung schlummernder Krankheitsherde. Daher sind HIV-Infektionen zurzeit das größte Risiko, eine aktive Sekundärtuberkulose zu entwickeln. Außerdem nehmen Erstinfektionen mit Mycobacterium tuberculosis bei HIV-Positiven einen dramatischeren Verlauf - oft geht die Primärtuberkulose direkt in die progrediente Primärtuberkulose über. Etwa 40 Prozent aller Tuberkulose-Neuerkrankungen in einigen afrikanischen Ländern betreffen HIV-Infizierte. Insgesamt ergeben sich nach Angaben des Deutschen Aussätzigen Hilfswerks (DAHW) rund zwei Millionen Koinfektionen jährlich.

Dabei scheinen die beiden Erreger Synergien zu entwickeln: Die Infektion mit Mycobacterium tuberculosis erhöht die HIV-Replikationsrate und verkürzt die Lebenszeit der Patienten. Tuberkulose ist die führende Todesursache bei HIV-Positiven und vermutlich weltweit für rund 266.000 (44 Prozent) der Aids-bezogenen Todesfälle verantwortlich.

Schwieriger Nachweis

Zum Nachweis einer Infektion mit Tuberkulosebakterien steht zurzeit nur der Tuberkulintest nach der Mendel-Mantoux-Methode zur Verfügung. Bei dieser Probe auf die verzögerte Überempfindlichkeitsreaktion der Haut wird ein gereinigtes vom Keim abstammendes Protein (in diesem Fall das Tuberkulin) subkutan appliziert. Bei positiver Reaktion tritt nach etwa 48 bis 72 Stunden eine mindestens 10 Millimeter im Durchmesser große Entzündungsreaktion an der Stelle der Antigenapplikation auf.

Ein positives Ergebnis zeigt aber lediglich aktivierte Gedächtnis-T-Zellen an. Ein negatives Ergebnis kann daher bedeuten, dass die untersuchte Person noch nicht mit dem Erreger in Kontakt gekommen ist oder trotz Infektion oder Impfung keine aktivierten T-Zellen mehr besitzt. Eine aktive Krankheit zeigt ein positiver Befund allerdings nicht an - tatsächlich weisen sogar bis zu einem Viertel der neu diagnostizierten Patienten mit offener Tuberkulose negative Testergebnisse auf. Diese falsch negativen Befunde können durch Mangelernährung, HIV-Infektionen, anderen Erkrankungen und immunsupprimierende Medikamenten hervorgerufen werden.

Ist der Tuberkulintest positiv und besteht der Verdacht auf eine Erkrankung wird die Lunge geröntgt und auf eventuelle krankhafte Befunde untersucht. Sind diese vorhanden, steht die Diagnose Tuberkulose noch nicht eindeutig fest. Sicherheit bringt nur ein mikroskopischer oder kultureller Nachweis der Erreger aus dem Sputum oder Bronchialsekret. Der mikroskopische Nachweis säurefester Stäbchen erfolgt durch Anreicherung der Erreger und Ziehl-Neelsen-Färbung. Sind nicht genügend Keime im Probematerial vorhanden, muss eine Kultur angelegt werden.

Durch die lange Generationszeit der Bakterien liegen bei dieser Methode Ergebnisse oft erst nach sechs bis acht Wochen vor. Ein sehr viel schnellerer und deutlich teurerer Nachweis kann bei begründetem Verdacht oder bei besonders gefährdeten Patienten (HIV-Infizierte, Kleinkinder) mit Hilfe von Nukleinsäure-Amplifikationstechniken erfolgen. Bei dieser Methode werden in vitro bestimmte DNA-Sequenzen des Erregers gezielt vermehrt und anschließend nachgewiesen.

Erfolgreiche Kombination

Wie die Lepra (siehe PZ 18/02) wird Tuberkulose ausschließlich mit einer Kombination verschiedener Substanzen behandelt. Zum einen weil bei jeder Infektion Erreger vorhanden sind, die natürlicherweise gegen ein bestimmtes Medikament resistent sind, zum anderen weil die verschiedenen Substanzen an verschiedenen Wirkorten ansetzen und sich somit ergänzen.

Die Standardtherapie zur Behandlung der Lungentuberkulose ist eine Kurzzeit-Chemotherapie, die in zwei Phasen unterteilt ist: In der Initialphase von insgesamt zwei Monaten erhält der Patient eine Kombination aus Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol beziehungsweise Streptomycin, die die sich schnell teilenden Organismen abtötet. Danach folgt eine Stabilisierungsphase von vier Monaten, in der die langsam metabolisierenden Bakterien mit Isoniazid und Rifampicin allein bekämpft werden. Die Medikamente nimmt der Patient in einer täglichen Einzeldosis, da auf Grund der langsamen Teilungsrate der Erreger allein die erreichte Spitzenkonzentration ausschlaggebend ist.

Resistenzen nehmen zu

Während in Deutschland die Zahl der resistenten Organismen mit 2,5 Prozent noch relativ gering ist, hat die Resistenzentwicklung in anderen Ländern bereits dramatische Ausmaße angenommen: In Estland seien 18 Prozent, in Lettland 12 und in Israel 8 Prozent der Erreger gegen die beiden First-Line-Therapeutika Isoniazid und Rifampicin resistent, erklärte Robert Loddenkemper, Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, zum Welttuberkulosetag Ende März in Berlin. Gründe für die zunehmende Widerstandsfähigkeit der Tuberkuloseerreger können neben mangelnder Compliance der Patienten auch Behandlungsfehler der Ärzte wie zum Beispiel Monotherapien oder zu kurze Behandlungszeiten sein.

Prävention

Um die Ausbreitung der Tuberkulose zu verhindern, ist es besonders wichtig, erkrankte Personen möglichst früh ausfindig zu machen, zu isolieren und zu behandeln. In Deutschland hat sich das Prinzip der "aktiven Fallsuche" bewährt. Hierbei wird gezielt das Umfeld von Neuerkrankten auf weitere Infizierte untersucht. Des Weiteren werden andere Risikogruppen wie Obdachlose, Drogenabhängige, HIV-Positive, aber auch Asylsuchende, Aussiedler und Flüchtlinge aus Gebieten mit hoher Tuberkuloseinzidenz auf Tuberkulose untersucht. Bei rund einem Drittel der im Jahr 2000 gemeldeten Erkrankten in Deutschland handelte es sich um Menschen aus anderen Ländern.

Eine Impfung gegen Tuberkulose ist laut der ständigen Impfkommission auf Grund einer ungünstigen Nutzen-Risiko-Analyse in Deutschland nicht mehr notwendig. Auch die früher üblichen Röntgenreihenuntersuchungen sind wegen der niedrigen Inzidenz nicht mehr vertretbar. Top

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