Medizin
Pathophysiologie, Diagnostik und
Therapie neurodegenerativer Erkrankungen waren Thema der
ersten zentralen Forbildungsveranstaltung der Deutschen
Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG), Landesgruppe
Hessen. Einer der Schwerpunkte war die Demenz vom
Alzheimertyp (DAT), deren Bedeutung mit der Verschiebung
der Alterspyramide immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Professor Dr. Walter E. Müller vom
Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler,
Frankfurt am Main, und Professor Dr. Heiko Braak,
Direktor des Anatomischen Institutes I in Frankfurt,
erläuterten Epidemiologie, Pathophysiologie und
Möglichkeiten in der Therapie.
Alzheimer ist nicht automatisch mit dem Altern verbunden,
sondern eine separate Erkrankung, deren Risiko im Alter
zunimmt. Etwa 1,5 Prozent der 65jährigen zeigen die
Symptomatik der DAT. Die Erkrankungshäufigkeit in der
Altersgruppe der 85jährigen beträgt nach Müllers
Ausführungen etwa 24 Prozent. Damit sei Alzheimer die
häufigste Form der Demenz.
Morbus Alzheimer folgt einer langsamen, schleichenden
Pathologie, die sich über einen Zeitraum von etwa 50
Jahren erstreckt. Zunächst entwickelt sich die
Erkrankung 30 bis 40 Jahre unbemerkt, bevor die ersten
klinische Symptome offenbar werden. Die werden durch die
fortschreitende Degeneration der Hirnrinde hervorgerufen.
Mikroskopisch gesehen ist Alzheimer durch den Untergang
der Nervenzellen - hauptsächlich Pyramidenzellen - in
der Hirnrinde und die daraus resultierende Abnahme der
synaptischen Übertragungsstellen gekennzeichnet. Die
befallenen Pyramidenzellen füllen sich mit
knäuelartigen Verdickungen, sogenannten
Neurofibrillenveränderungen. Sie schränken die
Lebensfunktion der Zelle immer mehr ein, bis diese
zugrunde geht. Nach dem Absterben der Zelle bleiben
Neurofibrillen als unlösliche Gebilde zurück.
Hauptbestandteile der Neurofibrillen sind Tau-Proteine,
die durch Phosphorylierung und paarweise
Aneinanderlagerung ihre Eigenschaft verloren haben, die
für den Stofftransport in der Zelle verantwortlichen
Mikrotubuli zu stabilisieren. Inwieweit sich dieser
Prozeß durch die gezielte Steuerung von Enzymen
verhindern läßt, ist zur Zeit Gegenstand der Forschung.
Parallel dazu bilden sich im Zellzwischenraum senile
Plaques aus, bestehend aus einem amyloidhaltigen Kern,
der von dystrophischen Nerven umgeben ist. Diese Amyloide
(ß-A4-Protein) entstehen durch eine Fehlspaltung des
Amyloid-Vorläuferproteins. Normalerweise spaltet
alpha-Sekretase innerhalb der ß-A4-Aminosäuresequenz.
Die eiweißspaltenden Enzyme ß- und -y-Sekretase spalten
den Amyloid-Vorläufer jedoch an zwei anderen Stellen, so
daß das pathologische Amyloid-ß-A4-Fragment entsteht
und sich zu einem Plaque zusammenlagert. Bei dieser
Aggregation spielen Radikale eine wichtige Rolle.
"Bei Alzheimer-Patienten entsteht jede Sekunde ein
Amyloid-ß-A4-Molekül.pro Amyloidablagerung",
verdeutlichte Müller. Rechnet man hoch, daß ein
Amyloid-Plaque aus über einer Milliarde ß-A4-Proteinen
besteht, und 30 Jahre etwa 950 Millionen Sekunden
entsprechen, stimmt die ermittelte präklinische Dauer
der Alzheimer Krankheit mit der aus der
Ablagerungsgeschwindigkeit berechneten Dauer überein.
Ließe sich diese Geschwindigkeit um 10 oder sogar um 50
Prozent reduzieren, würde eine Verzögerung der
klinischen Symptome um 3 beziehungsweise um 15 Jahre
resultieren.
Der Zusammenhang zwischen den extrazellulären
ß-A4-Amyloiden und den intrazellulären
Neurofibrillenveränderungen ist allerdings noch nicht
geklärt. Im Gegensatz zu den Amyloidablagerungen zeigen
die Neurofibrillenveränderungen ein charakteristisches
Verteilungsmuster, das sich in vorhersehbarer Weise
entwickelt. Braak veranschaulichte die lineare Beziehung
zwischen der morphologischen Veränderung der Hirnrinde
und dem Schweregrad der kognitiven Symptome in den
verschiedenen Stadien der Alzheimer Erkrankung.
In den beiden Anfangsstadien zeigen sich milde
Veränderungen der transentorhinalen Region. Dies ist der
Verbindungsbereich zwischen Allocortex und Isocortex,
über den ständig isocorticale Daten an die entorhinale
Rinde weitergeleitet werden. Von dort gehen sie an den
Hippocampus, eine wichtige Schaltstelle des limbischen
Systems. Der Austausch zwischen Hippocampus und Isocortex
spielt eine bedeutende Rolle in der Aufrechterhaltung der
Gedächtnisfunktion. Zwar wird durch die leichte Störung
der transentorhinalen Region bereits ein Einfluß auf den
Datenstrom ausgeübt, doch bleibt die Veränderung noch
klinisch stumm.
Im dritten und vierten Stadium der Erkrankung dehnt sie
sich weiter auf die entorhinale Region aus. In der
äußeren und inneren Schicht kommt es bereits zu
schweren Schäden. In diesen beiden Stadien treten auch
erste Gewebsveränderungen im Hippocampus und weiteren
Zentren des limbischen Systems auf. Klinisch macht sich
diese Entwicklung durch Persönlichkeitsveränderung und
Einschränkung der intellektuellen Leistungsfähigkeit
bemerkbar. Zu ausgeprägten Störungen höherer
kognitiver Leistungen wie der Sprache, praktischem
Handeln und Wahrnehmung kommt es erst in den Endstadien
fünf und sechs der Erkrankung. Der zerstörende Prozeß
greift auf den Isocortex über und breitet sich auf die
gesamte Hirnrinde aus.
Zum aktuellen Stand der Therapie erklärte Müller, daß
therapeutischer Nihilismus nicht angebracht sei. Solange
die Erkrankung nicht allzuweit fortgeschritten sei, lasse
sich durch Nootropika wie Piracetam bei einigen Patienten
eine ausreichende Besserung erzielen. Auch wenn diese
Präparate nie zu dramatischen Veränderungen führen,
lohne sich ein Behandlungsversuch. Oft werden Nootropika
allerdings falsch eingesetzt. Voraussetzung für den
Erfolg ist, daß sie ausreichend lange und hoch genug
dosiert werden. Nach etwa drei Monaten könne erst
entschieden werden, ob der Patient positiv darauf
reagiere oder nicht.
PZ-Artikel von Susanne Poth, Wiesbaden
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