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Neurone auf Chips und Proteine im Laserfokus

03.05.2004  00:00 Uhr
Philip-Morris-Forschungspreis

Neurone auf Chips und Proteine im Laserfokus

von Brigitte M. Gensthaler, München

Wie lassen sich Proteine im Inneren einer lebenden Zelle beobachten? Wie können Forscher Neuronen mit Computerchips koppeln und voneinander lernen lassen? Preisträger des Philip-Morris-Forschungspreises haben Antworten auf diese komplexen Fragen gefunden.

Der mit 100.000 Euro dotierte Preis fördert zukunftsweisende natur- und geisteswissenschaftliche Arbeiten und will wissenschaftlichen Leistungen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen, erklärte der Vorsitzende der Jury, Professor Dr. Dr. h.c. mult. Paul Müller, bei einer Pressekonferenz in München. Der Preis sei ein „Aufruf an die Gesellschaft“. Die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit ist für viele Forscher mindestens ebenso wichtig wie das Preisgeld. Der Forschungspreis wird in diesem Jahr zum 22. Mal an vier Forscherteams verliehen.

Neuronen und Chips im Gespräch

Seit fast 20 Jahren arbeitet Professor Dr. Peter Fromherz, Direktor der Abteilung Membran- und Neurophysik am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München, an der Kopplung von Neuronen und Computerchips. Um einen größtmöglichen Austausch der Systeme zu erzielen, lässt er Nervenzellen direkt auf dem Chip wachsen.

„Beide Systeme funktionieren über elektrische Signale“, sagte der Biophysiker. Die Zelle leitet Signale über Ionenströme, der Chip über Elektronen weiter. Damit diese feinen Signale durch elektrische Felder im Raum übermittelt werden können, müssen Chip und Neuron nahe genug aneinander herankommen. Inzwischen konnten Fromherz und seine Mitarbeiter Siliziumchips konstruieren, die elektrische Impulse von Nervenzellen aufnehmen und umgekehrt die Zellen auch erregen können.

Um die Neuronen lebendig zu erhalten, finden die Versuche in Nährmedien statt. Das lieben Chips gar nicht: Es sei schwierig gewesen, die elektronischen Systeme im wässrigen Medium funktionsfähig zu erhalten, sagte Fromherz. Der Chip ist komplex aufgebaut: Die Neurone ruhen auf einem „Kissen“ aus Proteinen, ein dünner Spalt trennt sie vom Chip. Aus der Zelle fließen Ionen in diesen Spalt und erzeugen dort eine elektrische Spannung. Diese wirkt auf Elektronen, die im Chip zwischen zwei Kontakten fließen. Der Abstand von Chip zu Zelle wird mit Leuchtfarbstoffen gemessen, die als „Nanoantennen“ in die Zellmembran eingebaut wurden.

Die Forscher perfektionierten die Halbleitertechnik soweit, dass sie einzelne Impulse einzelner Nervenzellen der Ratte registrieren können. Inzwischen etablierten sie einen „lernenden hybriden Schaltkreis“, der ein Signal vom Chip zur ersten Zelle, von dort zu einer zweiten Zelle und zurück zum Chip leitet. Auch die Aktivität von Synapsen kann verfolgt werden. „Die Kommunikation funktioniert“, stellte Fromherz fest.

Zellnetze beobachten

Ein großes Ziel ist es, ganze neuronale Netze auf Chips wachsen zu lassen. Dazu werden Nervenzellen der Schlammschnecke mit winzigen Noppen auf den Siliziumchips festgehalten und zum Wachstum angeregt. Schon nach zwei Tagen bilden sich Dendriten aus, sodass Interaktionen beobachtet werden können. Komplexe Netze kommen allerdings nur selten zustande.

Neue Impulse erhielten die Martinsrieder Wissenschaftler kürzlich durch die Zusammenarbeit mit dem Chiphersteller Infineon. Auf der Basis der von ihnen entwickelten Neurochip-Technologie baute Infineon einen biokompatiblen Chip, der etwa 16.000 Kontakte auf einem Quadratmillimeter ermöglicht, berichtete Fromherz. Damit lassen sich endlich Nervennetze gezielt studieren.

Realistisch sei der Einsatz der Neurochip-Technik in der Pharmaforschung, denn mit den Chips ließe sich der Einfluss von Psychopharmaka auf neuronale Netze in vitro testen, erklärte der Wissenschaftler. Bisher könnte dies nur an Einzelzellen studiert werden, doch interessant sei vor allem die Wirkung eines Pharmakons auf vernetzte Zellen. Science-fiction-Ideen von Mensch-Computer-Hybriden, so genannten Cyborgs, seien reine Utopie. Eine echte Verschmelzung von Geist und Bytes sei „mit der gegenwärtig vorstellbaren Technologie ganz klar unmöglich“.

Laserfokus auf Proteinreaktionen

„Biomoleküle sind wie molekulare Maschinen, die in einer Zelle verschiedene Aufgaben erfüllen. Mit unserer Methode können wir die intrazelluläre Arbeitsteilung beobachten“, sagte Professor Dr. Petra Schwille von der Technischen Universität Dresden. Die junge Physikerin und Philosophin hat das Verfahren der Zwei-Photonen-Kreuzkorrelationsspektroskopie entwickelt, mit dem sich Proteinreaktionen in einer lebenden Zelle messen lassen.

Die bisher etablierte Standardtechnik zur Beobachtung von Biomolekülen bestand darin, einen Laserstrahl auf einen winzigen Teil einer Zelle zu fokussieren. Dort lassen sich Proteine beobachten, die vorher mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert wurden. Schon in ihrer Promotionsarbeit ging Schwille einen Schritt weiter: zur Kreuzkorrelations-Spektroskopie. Dazu werden zwei Sorten von Proteinen mit unterschiedlichen Farbstoffen markiert – ein Protein grün, das andere rot. Wandert nun ein grün markiertes Protein in der Zelle durch den Laserfokus, registriert der Detektor einen grünen Lichtblitz. Kommt ein rot markiertes Molekül vorbei, wird ein rotes Signal festgehalten. Haben die Proteine miteinander reagiert, wandern sie im Duo durch den Fokus und der Detektor registriert beide Farben.

Dabei kann es zu Tausenden von Fokus-Passagen in nur einer Sekunde kommen. Aus der Statistik, wie viele rote, grüne oder rot-grüne Signale pro Sekunde gemessen wurden, lässt sich schließen, wie viele Moleküle pro Zeiteinheit miteinander reagiert haben. „Wir bilden Zellfunktionen in Echtzeit ab“, sagte Schwille, die 2002 – als 34-Jährige - die C4-Professur für Biophysik an der TU Dresden übernommen hat.

Die Methode hilft beim In-vitro-Screening potenzieller Pharmaka. Mit ihr können Forscher beispielsweise verfolgen, welche Effekte der Kontakt eines Wirkstoffs mit der Zellmembran im Zellinneren auslöst. Auch intrazelluläre Wechselwirkungen von Proteinen werden sichtbar, erklärte Schwille am Beispiel von Proteasen. Markieren die Wissenschaftler ein Protein an beiden Enden mit unterschiedlichen Farben und geben eine spezifische Protease hinzu, können sie im Laserfokus beobachten, wie oft getrennte Farbblitze auftauchen – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Protease am Werk war. Ebenso lassen sich Konformationsänderungen darstellen. Kleine Modifikationen an Proteinen, etwa eine Phosphorylierung, seien jedoch sehr schwierig zu detektieren. Grundsätzlich könnten auch kleine Moleküle wie Arzneistoffe markiert werden, um deren Reaktion mit dem Zielprotein in der Zelle zu verfolgen.

Messtechnik der Quantenphysik

Die Methode funktioniert, sie hat allerdings einen entscheidenden Schwachpunkt: Das Laserlicht „bleicht“ den Farbstoff und verkürzt die Lebensdauer der Zelle drastisch. Schwilles entscheidende Innovation war die Kombination der Korrelations- mit der Zwei-Photonen-Spektroskopie, die auf einer „Laune der Quantenphysik“ basiert. Die optische Anregung eines Atoms oder Moleküls ist nämlich nicht nur mit dem passenden Energiequanten – einem Photon mit genau vorgegebener Wellenlänge – möglich, sondern auch mit zwei Photonen der halben Energie also der doppelten Wellenlänge. Diese müssen allerdings gleichzeitig, das heißt innerhalb von 10 bis 15 Sekunden, auf das Molekül treffen.

Bei der gekoppelten Methode wird daher ein Infrarotlaser mit ungefähr der doppelten Wellenlänge wie bei der herkömmlichen Methode verwendet. Aus dem Licht absorbieren die roten und grünen Farbstoffe für jede Fluoreszenz zwei Photonen. Diese Zwei-Photonen-Anregung funktioniert ausschließlich im Fokus des Laserstrahls. Das bedeutet, dass die Zelle außerhalb des winzigen Messbereichs dunkel bleibt und damit geschont wird. Außerdem hat der Physiker nicht mit störendem Streulicht zu kämpfen.

2002 gelang Schwille am Göttinger Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie die erste erfolgreiche Messung von Proteinen in einer lebenden Zelle. Derzeit arbeitet sie an der Erweiterung der Methode auf drei Farben. Eine dritte Proteinsorte soll blau markiert werden, sodass sich noch komplexere Reaktionen zeitlich exakt verfolgen lassen. Mit ihrer Technik will die Biophysikerin das molekulare Gedächtnis einer Nervenzelle studieren. Überdies strebt sie die gleichzeitige Messung an mehreren Punkten in einer Zelle an. Top

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