Medizin
Amerikanische Firmen brachten
kürzlich die ersten Gentests auf den Markt, die in der
Lage sind, Brustkrebs vorherzusagen. Doch das neue
Verfahren ist heftig umstritten, denn bisher stützt nur
die Statistik einen Zusammenhang zwischen den
untersuchten Genen und der Wahrscheinlichkeit einer
Tumorbildung im Brustgewebe. Welche Rolle die Gene bei
der Krebsentstehung spielen, ist noch unbekannt.
Außerdem existieren zur Zeit keine Therapien, mit denen
Frauen einer Krebserkrankung vorbeugen könnten.
Die kommerziellen Tests analysieren zwei Gene
aus dem Erbmaterial, BRCA1 und BRCA2 (breast cancer). Die
Gene enthalten die Information für die Synthese von
großen Eiweißmolekülen, die vermutlich an der
Kontrolle der Zellteilung mitwirken und zu den
tumorunterdrückenden Proteinen (Tumorsupressoren)
zählen: Treten Mutationen in den Genen auf, ändern sich
somit auch die Eiweiße.
Vererbbare Merkmale verursachen nur 5 bis 10 Prozent
aller Brustkrebs-Erkrankungen. Zwei Drittel davon gehen
vermutlich auf das Konto der jüngst isolierten
BRCA-Gene. Bislang untersuchten Wissenschaftler diese
Gene hauptsächlich bei Familien, in denen Brustkrebs
auftrat. Diese Familien gehören speziellen
Bevölkerungsgruppen wie der jüdisch-amerikanischen
Ashkenazi-Minorität oder den Einwohnern Islands an. Aus
diesen Untersuchungen errechneten einige Forscher ein 80-
bis 90prozentiges Risiko an Brustkrebs zu erkranken,
falls bestimmte erbliche Veränderungen in einem der
beiden Gene vorliegen.
Seit der Isolierung des BRCAl-Gens vor zwei Jahren fanden
Wissenschaftler 235 verschiedene Abweichungen in dem Gen,
das die Konstruktionsanleitung für ein Protein aus 1863
Bausteinen enthält. Für das später charakterisierte
BRCA2-Gen sind mittlerweile über 100 unterschiedliche
Mutationen bekannt. Selbst Siegfried Schwerneck, Leiter
der Abteilung Tumor-Genetik und BRCA-Forscher am Berliner
Max-Delbrück-Zentrum, gibt zu bedenken, daß bisher
"kein einzelner Mutationstyp mit dem Auftreten einer
bestimmten Art von Brustkrebs und dem Krankheitsverlauf
in Zusammenhang gebracht werden konnte".
Die Gentests weisen aber nichts anderes als die
Mutationen in den BRCA1- BRCA2-Genen nach. Mittlerweile
starteten in den USA, Australien und Europa große
Untersuchungen, die sich alle auf Veränderungen in den
beiden Genen konzentrieren. John Hopper, Epidemiologe aus
Melbourne, bezweifelt die Risikoangaben, da viele
Faktoren bei diesen Abschätzungen nicht berücksichtigt
wurden, wie etwa der Einfluß der Hormone und die Anzahl
der Geburten. Er hält die deterministische Sicht
"man hat ein Gen X und das macht es - fertig"
für Unsinn. Auch Professor Dr. Jürgen Kunze von der
genetischen Beratungsstelle des Berliner
Rudolf-Virchow-Krankenhauses meint, daß eine große
Anzahl von verschiedenen Faktoren, so auch weitere Gene,
bei der Brustkrebsentstehung eine Rolle, spielen.
Die größten Schwierigkeiten dürften Ärzte bekommen,
wenn es darum geht, die getesteten Frauen zu beraten.
Denn zur Zeit weiß niemand genau, wie der
Krebsentstehung vorzubeugen ist. Die Vorschläge reichen
von der Durchführung regelmäßiger Mammographien über
die Chemotherapie bis hin zur vollständigen Amputation
der Brust.
Deshalb forderten verschiedene wissenschaftliche
Institutionen in den USA, die Tests nur in
Forschungsprojekten einzusetzen und mit der
Markteinführung zu warten, bis ihre Aussagekraft und
ihre Genauigkeit gesichert ist. Die Gentechnik-Firmen
ignorieren diese Forderung, und die amerikanische
Regierung berief ein unabhängiges Beratergremium.
Mittlerweile waren auch in Deutschland, so Kunze, die
Voraussetzungen für die Durchführung der neuartigen
Gentests geschaffen, Mediziner könnten ihren Facharzt
für Humangenetik machen und die Labors seien gerüstet.
Ein Zulassungsverfahren wie bei Arzneimitteln bestehe
nicht. Aber bisher gibt es die Tests nicht auf
Krankenschein.
PZ-Artikel von Angela Haese, Berlin.
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