Medizin
Bakterien vom Typ Chlamydia
pneumoniae sind möglicherweise maßgeblich an der
Entstehung von Arteriosklerose und der Koronaren
Herzkrankheit beteiligt. Seit einigen Monaten mehren sich
die Berichte darüber, daß Bakterien auch für Kalk- und
Fettablagerungen in den Gefäßen mit dem häufigen
Endstadium Herzinfarkt verantwortlich sein könnten. Ob
seiner Brisanz befaßten sich auf dem Internistenkongreß
in Wiesbaden Wissenschaftler aus Deutschland, England,
Finnland und Argentinien mit diesem Thema.
Professor Dr. Pekka Saikku aus Finnland konnte bereits
vor neun Jahren im Blut von Arteriosklerosepatienten
verstärkt Antikörper gegen Bakterien vom Typ Chlamydia
pneumoniae nachweisen. Es folgten zahlreiche
Veröffentlichungen, alle mehr oder weniger mit dem
gleichen Resultat: Es besteht zumindest eine Korrelation
zwischen einer Chlamydien-Infektion und verkalkten
Gefäßen. "Es sieht so aus, als ob Arteriosklerose
eine Infektionskrankheit ist", sagte Professor Dr.
Wolfgang Stille aus Frankfurt. Das würde zumindest
einige Ungereimtheiten beseitigen, die bisher bei der
Erklärung kardiovaskulärer Erkrankungen vorhanden sind.
Danach sind viele nichtinfektiöse Risikofaktoren
beschrieben, die in unterschiedlichen Konstellationen zur
Bildung atheromer Gefäße führen können, allen voran
eine hohe Konzentration an LDL- Cholesterol im
Blutplasma.
Welche Rolle die Bakterien bei der Gefäßverkalkung
genau spielen, müssen zukünftige Studien erst noch
klären. Zur Zeit gehen die Meinungen noch auseinander.
So sind einige Wissenschaftler davon überzeugt, daß die
Bakterien die Gefäßveränderung einleiten, während
andere es für wahrscheinlicher halten, daß sie sich
erst nach den ersten Läsionen - im Sinne eines locus
minori resistentiae - dort niederlassen. Für ihre
Beteiligung bei der Atherogenese gibt es noch keinen
definitiven Beweis, aber ernstzunehmende Anhaltspunkte,
die sich auf drei Faktoren stützen: seroepidemiologische
Studien, ihren Nachweis in atheromatösen Plaques der
Koronararterien und die Tatsache, daß C. pneumoniae
Endothelzellen infiziert. Die Seren von Patienten mit
akutem Myokardinfarkt oder chronischer KHK weisen in
circa 50 bis 60 Prozent der Fälle hohe C.
pneumoniae-spezifische Antikörpertiter auf. Bei
Kontrollgruppen sind diese nur zu 15 bis 17 Prozent
nachweisbar.
Bisher war vor allem bekannt, daß die Bakterien
Atemwegserkrankungen provozieren, die jedoch nur selten
in eine Lungenentzündung münden und meistens harmlos
verlaufen Darüber hinaus können sie aber auch schwere
systemische Erkrankungen sowie Endo- oder Myocarditis
auslösen. Möglich wäre auch eine Beteiligung bei einer
asthmatischen Bronchitis.
Nicht nur über seine Rolle als Krankheitserreger wissen
die Wissenschaftler noch sehr wenig. Auch wie sich das
obligat intrazelluläre Bakterium innerhalb des Körpers
weiter bewegt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Um eine
echte vaskuläre Infektion zu ermöglichen, müssen
Chlamydien Zugang zur systemischen Zirkulation gewinnen
und mesenchymale Zellen befallen können. Als mögliche
Vektoren werden Makrophagen diskutiert. Diese werden
vermutlich bei ihrer Abwehrtätigkeit im Lungengewebe von
Chlamydien infiziert und transportieren sie von hier aus
weiter in den Körper. Zumindest konnte C. pneumoniae-DNA
in der Leukozytenfraktion von Patienten nachgewiesen
werden, deren Koronargefäße durch den Keim befallen
waren.
Die bisherigen Erkenntnisse sagen aber nichts aus über
ihre ursächliche Beteiligung am Entstehen der Krankheit.
Ein adäquates Tiermodell zu entwickeln ist allerdings
nicht einfach, zumal die Chlamydien für viele Tiere auch
für Mäuse nicht pathogen sind. Stille will derweil auf
einem anderen Weg zur Klärung beitragen. Nach dem Motto
"wer heilt hat Recht" will er zeigen, daß
Antibiotika wirksam sein können. "Wir planen
Studien, in denen Patienten mit verengten Gefäßen einer
Antibiotikatherapie unterzogen werden sollen. Helfe das,
Komplikationen zu reduzieren und eine Verschlimmerung der
Krankheit zu verhindern, sei zumindest klar, daß die
Bakterien nicht nur Trittbrettfahrer sind. Sowohl
Professor Dr. Sandeep Gupta aus London als auch Professor
Dr. Enrique Gurfinkel aus Buenos Aires haben
entsprechende Studien bereits erfolgreich abgeschlossen.
Welche Antibiotika sich am besten eignen, ist noch nicht
ganz klar. Generell haben die modernen Makrolide wie
Azithromycin, Clarithromycin und Roxithromycin vom
Konzept her besonders günstige Eigenschaften für eine
derartige Anwendung. Eine Langzeittherapie in hoher
Dosierung kann allerdings Nebenwirkungen haben. Chinolone
sind wegen ihrer Pharmakokinetik interessant. Preiswert
und gut verträglich wäre Doxycyclin, ist allerdings
wahrscheinlich nicht gleichwertig mit modernen
Makroliden. Auch eine Kombination von zwei Antibiotika
wäre denkbar.
PZ-Artikel von Judith König, Wiesbaden
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