Jede Mutter und jedes Kind zählt |
11.04.2005 00:00 Uhr |
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) widmete den diesjährigen Weltgesundheitstag am 7. April der Gesundheit von Müttern und Kindern mit dem Ziel, die Mütter- und Kindersterblichkeit in den kommenden zehn Jahren deutlich zu reduzieren. Zwar gilt Deutschland nicht als Problemfall, doch auch hier kann noch einiges verbessert werden.
Jede Minute stirbt eine Frau an Komplikationen bei der Schwangerschaft oder Geburt. Im gleichen kurzen Zeitraum verlieren zudem 20 Kinder unter fünf Jahren bereits ihr Leben das sind weltweit mehr als eine halbe Million Frauen und rund elf Millionen Kinder jährlich. »Die WHO greift in diesem Jahr ein Thema auf, das eigentlich kein Thema mehr sein sollte«, kommentierte Dr. Maged Younes von der WHO den diesjährigen Schwerpunkt auf einer Veranstaltung der Bundesvereinigung für Gesundheit in Berlin. Denn die Instrumente für eine gute Gesundheit von Müttern und Kindern sind vorhanden. Doch die WHO schätzt, dass mehrere hundert Millionen der Betroffenen keinen Zugang zu einer angemessenen gesundheitlichen Versorgung, wie der Geburtshilfe durch Hebammen oder Ärzte, haben. Während in Deutschland nur noch eine von 8000 Frauen durch die Folgen der Schwangerschaft oder Geburt ums Leben kommt, stirbt südlich der Sahara jede 16. Frau an ihnen. Erschreckend ist zudem, dass jährlich etwa 78.000 Frauen bei unsachgemäßen Schwangerschaftsabbrüchen ihr Leben verlieren.
Zwei der von der WHO aufgestellten Millenniums-Ziele bestehen darin, die Rate der Kindersterblichkeit zwischen 1990 und 2015 um zwei Drittel und die der Müttersterblichkeit um drei Viertel zu senken. »Wenn wir mit der jetzigen Geschwindigkeit weitermachen, werden wir dafür 150 Jahre brauchen«, sagte der WHO-Referent. Der Weltgesundheitstag 2005 soll an diese Misere erinnern und vor allem die Industrieländer dazu aufrufen, sie zu verringern. Laut dem ebenfalls am 7. April veröffentlichten Weltgesundheitsbericht müssten dazu die 97 Milliarden Dollar, die jährlich in die 75 Hauptproblemländer fließen, um mindestens 9 Milliarden aufgestockt werden.
Deutsche bekämpfen andere Gegner
»In Deutschland war die Gesundheit von Müttern und Kindern noch nie so gut wie heute«, sagte Professor Dr. Elisabeth Merkle, Gynäkologin aus Bad Reichenhall. Pro 100.000 Geburten verlieren nur zwölf Frauen ihr Leben und mit vier pro 1000 Säuglingen sterben sehr wenige, verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt von 70. Schließlich existieren hier zu Lande gesetzlich vorgeschriebene Schwangerschaftsuntersuchungen, eine flächendeckende intensivmedizinische Versorgung von Frühgeborenen, eine intensive Geburtsvorbereitung und Nachsorge durch Hebammen, ein gesetzlicher Mutterschutz und gesetzlich garantierte Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche, erläuterte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk.
Aber der medizinische Forschritt geht mittlerweile so weit, dass Mütter aus fehlendem Vertrauen in ihren Körper oder gar aus Termingründen einen Kaiserschnitt wünschen, ohne dass es medizinisch notwendig wäre. Die Rate liegt inzwischen bundesweit bei mehr als einem Fünftel der Geburten. Dermatologen weisen jedoch darauf hin, dass ein Kaiserschnitt nicht per se die schonendste Entbindungsmethode für das Kind ist und sich zudem das Risiko für Komplikationen bei einer weiteren Geburt erhöhen kann.
Während Frauen und Kinder in Entwicklungsländern mit Problemen zu kämpfen haben, die sie ohne die Hilfe anderer nicht beheben können, schaffen hier zu Lande viele ihre Risiken selbst. Neben zu wenig Bewegung, Übergewicht, einer generell ungesunden Ernährung oder Lebensführung ist der Alkoholkonsum 80 Prozent der Schwangeren trinken gelegentlich oder häufiger ein unbestritten vermeidbarer Risikofaktor bei einer Schwangerschaft. Ebenso das Rauchen, auf dessen Gesundheitsgefahren für das Kind anlässlich des Weltgesundheitstages in Deutschland besonders hingewiesen wird.
Jede vierte Schwangere raucht
Hier zu Lande rauchen je nach Schwangerschaftszeitpunkt 20 bis 33 Prozent der werdenden Mütter, nur jede vierte schafft es, dieses Laster aufzugeben. »Das Risiko des Rauchens wird in der Bevölkerung unterschätzt«, beklagte Caspers-Merk. Experten gehen davon aus, dass Rauchen für rund 15 Prozent aller Frühgeburten und etwa 30 Prozent aller Mangelgeborenen verantwortlich ist. Durch die Gefäßverengung leidet die Versorgung des Fötus, die Funktion der Plazenta ist häufig eingeschränkt, sodass Kinder von Raucherinnen ein durchschnittlich 200 bis 300 g geringeres Geburtsgewicht haben als jene von Nichtraucherinnen. Und auch das Risiko für einen plötzlichen Säuglingstod oder die Entwicklung von Atemwegserkrankungen, Asthma und Allergien steigt mit dem Passivrauchen der Kinder. In Deutschland rauchen etwa 20 Prozent der Mütter und jedes zweite Kind wächst in einem Haushalt auf, in dem geraucht wird. Um die Situation zu verbessern, hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verschiedene Aktionen zur Tabakprävention gestartet. Speziell für schwangere Raucherinnen hat sie zudem einen Ratgeber zum Rauchausstieg entwickelt, den Frauenärzte oder Apotheker unter der Bestelladresse BZgA, 51101 Köln oder unter www.bzga.de kostenlos anfordern können. Die Abeiterwohlfahrt bietet in zwei ihrer Mutter-Kind-Kliniken bereits eine Raucherentwöhnung im Rahmen der regulären Mutter-Kind-Kuren an, die übrigen 21 Kliniken sollen schrittweise folgen (www.awokuren.de).
Kinder sterben meist durch Unfälle
Neben der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen soll anlässlich des Weltgesundheitstages auch auf die Gefahr durch Unfälle aufmerksam gemacht werden. Denn in Deutschland kommen mehr Kinder bei Unfällen zu Tode als durch Krebs- und Infektionskrankheiten zusammen. 40 Prozent aller Todesfälle im Kindesalter gehen laut einer Unicef-Studie auf tödliche Verletzungen zurück. Zwar ist die Unfallmortalität in den letzten 25 Jahren um mehr als ein Drittel gesunken, doch es könnten noch mehr Kinder vor Verletzungen geschützt werden. Denn die Zahl der Verbrennungen, Ertrinkungsunfälle und Stürze ist mit 570.000 pro Jahr unverändert hoch. Eltern und Betreuungspersonen müssen daher besser über Unfallrisiken für Kinder aufgeklärt sein.
Wichtig ist vor allem, dass sich die Kleinen viel bewegen. Denn Kinder mit guten motorischen Fähigkeiten sind weniger unfallgefährdet. Darüber hinaus wirkt dies den neusten Gesundheitsrisiken für Kinder entgegen: Adipositas oder Typ-2-Diabetes. Für interessierte Eltern hat die Bundesarbeitsgemeinschaft »Mehr Sicherheit für Kinder« ein Elterntelefon unter (02 28) 6 88 34 34 eingerichtet sowie Rategeber zur Unfallvermeidung und Ersten Hilfe erstellt (www.kindersicherheit.de).
Fast 70 Prozent der Todesfälle bei Kindern sind vermeidbarPZ/dpa Pneumonie und Diarrhö sind die Hauptursachen für den Tod von Kindern unter fünf Jahren in aller Welt. Allein auf die Lungenentzündung entfallen 19 Prozent aller Sterbefälle in dieser Altersgruppe, gefolgt von der Diarrhö mit 18 Prozent. Das berichtete das Fachmagazin »Lancet« unter Berufung auf Daten der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, USA, und der WHO in Genf.
Demnach sterben jedes Jahr 10,6 Millionen Kinder in den ersten Lebensjahren an Krankheiten, die sich durch einfache und bezahlbare Programme meist vermeiden ließen. Der entscheidende Faktor für den Tod im Kindesalter ist immer noch Armut.
Der Studie des Hopkins-Forschers Robert Black zufolge gehen mehr als 70 Prozent der Todesfälle von Kindern bis zum fünften Lebensjahr auf Lungenentzündung und Diarrhö, Malaria (8 Prozent), Sepsis und Lungenentzündung unmittelbar nach der Geburt, Frühgeburt (10 Prozent) sowie Erstickung im Mutterleib (8 Prozent) zurück.
In 53 Prozent aller Todesfälle habe die Unterernährung der Kleinen den Boden für ihren frühen Tod bereitet, berichten die Autoren der Studie. Entsprechend ereigneten sich 42 Prozent der Fälle in Afrika und 29 Prozent in der Region, die die WHO als Südostasien definiert.
Kein Platz für Wunschkinder
Die Zahl der Geburten 707.000 in 2003 nimmt hier zu Lande weiter ab. Mit nur 8,7 Geburten je 1000 Einwohner bildet Deutschland neben Slowenien das Schlusslicht in Europa. »Diese niedrige Geburtenrate entspricht aber nicht dem Wunsch der Frauen«, so Merkle. So wünschen sich nach einer Erhebung des BZgA 20- bis 34-jährige Frauen unabhängig vom Bildungsgrad durchschnittlich 1,8 Kinder. Tatsächlich haben 35- bis 39-jährige Frauen aber im Mittel nur 1,3 Kinder geboren, bei hohem Bildungsgrad sogar nur 1,1. »Diese Differenz zeigt, dass Kinder häufig eine Karrierebremse sind«, vermutet die Gynäkologin. Diesen Missstand hat auch die Regierung erkannt und will mehr für Kinder und Familien tun. Mit den finanziellen Leistungen für Familien liegt Deutschland laut Caspers-Merk bereits im oberen Drittel innerhalb der EU. Die SPD-Politikerin sieht daher nur einen Ausweg: »Die Geburtenrate können wir nur verändern, wenn es uns gelingt, die Kinderbetreuung zu verbessern.« Dafür müssten sich aber auch die Länder und Kommunen stärker engagieren. Denn in einigen Bundesländern werde die für die Ganztagsbetreuung vorgesehene Bundesförderung nur zu einem Bruchteil abgerufen.
In Deutschland stand der Weltgesundheitstag unter dem Motto der Prävention und dem Slogan »Mutter und Kind Gesundheit von Anfang an«. Hält man sich vor Augen, dass die Wachstumsrate der Bevölkerung derzeit -0,1 Prozent beträgt, wäre der Originalslogan »Make every mother and child count« besser geeignet gewesen.
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