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Autoimmunerkrankungen mit Domino-Effekt

20.03.2000  00:00 Uhr

- Medizin Govi-Verlag

Autoimmunerkrankungen mit Domino-Effekt

von Gertrude Mevissen, Wiesbaden

Diabetische Folgeschäden sind häufige Wegbegleiter einer diabetischen Erkrankung. Doch sind Symptome solcher Spätschäden, wie Bluthochdruck und Parästhesien, nicht immer Ausdruck einer beginnenden Nephro- und Neuropathie, sondern oft auch Folge einer Typ-1-Diabetes-bedingten Autoimmunthyreoiditis. Diese Schilddrüsenerkrankungen und der bislang wenig diskutierter Zusammenhang zu sekundären Autoimmunerkrankungen anderer Organe, wie Diabetes mellitus Typ 1 und Vitiligo, standen im Mittelpunkt einer Tagung der Firma Merck Ende Februar in Wiesbaden.

Der Morbus Basedow und die Hashimoto-Thyreoiditis sind zwei autoimmunbedingte Schilddrüsenerkrankungen, die sich wie Plus- und Minuspol gegenüberstehen. Beim Morbus Basedow ist die Schilddrüse vergrößert und Proliferationsrate sowie Hormonsynthese erhöht. Typisch für die Hashimoto-Thyreoiditis sind im Gegensatz dazu zell- und gewebeabbauende Reaktionen und eine atrophisch bedingte Unterfunktion der Schilddrüse.

Ursache der Basedowschen Hyperthyreose ist die Produktion von Antikörpern, die an TSH-Rezeptoren andocken und dadurch die Hormonsynthese in Thyreozyten anregen. Bei der Hashimoto-Thyreoiditis überwiegen hingegen zytotoxische, Apoptose—induzierende Mechanismen. Lymphozyten wandern dabei verstärkt ins Schilddrüsengewebe ein, Zellverbände lösen sich auf, und wucherndes Bindegewebe beginnt, entstandene Zellschäden zu kitten. Dadurch wird das Schilddrüsengewebe zerstört und das Organ unfähig zur Hormonabgabe.

Risikofaktor Typ-1-Diabetes

Da der Typ-1-Diabetes durch Antikörper gegen Insulin-produzierende Pankreaszellen ausgelöst wird, haben diese Patienten eine besondere Prädisposition, an Autoimmunstörungen anderer Organe zu erkranken, erklärte Professor Dr. Karl-Michael Derwahl, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin in Wilhelmshaven. Das gemeinsame Auftreten endokriner Autoimmunerkrankungen wird als Pluriglanduläres Autoimmunsyndrom (PAS) bezeichnet. Davon betroffen sind sowohl endokrine Organe, wie der Pankreas (Diabetes Typ 1), die Nebennierenrinde (Morbus Addison) oder die Schilddrüse (Basedow- und Hashimoto-Thyreoiditis), als auch nicht-endokrine Organe, wie die Haut (Vitiligo) und das Haar (Alopezie). Diese Erkrankungen können der Autoimmunthyreoiditis zeitlich vorausgehen, zur gleichen Zeit oder verspätet auftreten.

Etwa jeder fünfte Typ-1-Diabetiker entwickelt - mit einer zeitlichen Verzögerung zwischen zwei und zwölf Jahren - eine klinisch manifeste Schilddrüsenerkrankung vom Basedow- oder Hashimoto-Typ, berichtete Dr. Michael Droste, Endokrinologe aus Oldenburg. Der umgekehrte Fall, dass ein Patient mit einer Autoimmunthyreoiditis später an Typ-1-Diabetes erkrankt, sei hingegen vergleichsweise selten. Charakteristisch für autoimmunbedingte Schilddrüsenerkrankungen ist die zeitliche Verzögerung, mit der die autoimmune Kettenreaktion vom Pankreas auf die Schilddrüse übergreift. Beginnende Symptome einer Schilddrüsen-Dysfunktion werden häufig für Sekundärkomplikationen des Diabetes gehalten. Die Erkrankung der Schilddrüse bleibt daher oft unbehandelt. Zu Fehlinterpretationen kann es bei der Über- wie Unterfunktion der Schilddrüse kommen. Droste dazu:"Das passiert schnell, wenn Typ 1 Diabetiker mit scheinbar klassischen Folgeschaden-symptomen in die Praxis kommen. Beispielsweise können Ruhetachykardie und eine leichte Hypertonie, wie sie auch typisch für einen hyperthyreoten Patienten sind, irrtümlich auf eine beginnende Nephropathie hindeuten. Ebenso charakteristisch für eine autoimmunbedingte Hyperthyreose sind Muskelschmerzen und Parästhesien, die oft als periphere Neuropathien fehlgedeutet werden. Auch Diarrhöen sowie unerklärlicher Gewichtsverlust - von vielen Diabetikern als intestinale Neuropathie beziehungsweise entgleiste Stoffwechsellage interpretiert - können Hinweise auf eine autoimmunbedingte Hyperthyreose sein."

Umgekehrt, so Droste, zeichne sich die Hypothyreose vom Hashimoto-Typ durch Hypoglykämien, einen verminderten Bedarf an Insulin, Gewebeschwellung (besonders im Bereich der Fußgelenke) und eine Unbeweglichkeit der Muskulatur aus. Symptome, die selbst von erfahrenen Ärzten kaum von den Symptomen des Diabetes zu unterscheiden sind.

Thyreoiditis und Hauterkrankungen

Schilddrüsenhormone beeinflussen Wachstums- und Differenzierungsvorgänge von Haut, Haaren und Nägeln. Sie wirken über intrazelluläre Rezeptoren, die die Genexpression regulieren, erläuterte Privatdozent Dr. med. Reinhard Finke vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin. Rezeptoren für Thyroxin (T4) und dessen wirksameren Metaboliten Triiodthyronin (T3) lassen sich in verschiedenen Zelltypen nachweisen, die am Aufbau von Haut und Haar beteiligt sind. Von der Norm abweichende Thyroxinspiegel führen zu typischen Veränderungen von Haut und Anhangsgebilden, die meist jedoch reversibel und durch eine entsprechende Substitutions- oder Thyreostatika- Therapie gut behandelbar sind, erklärte Finke.

Besonders markant sind die Hautveränderungen bei der unbehandelten Hypothyreose. Die Haut ist blass-kühl, wachsartig und besonders im Gesicht stark gespannt und trocken. Als Folge einer Hyperkeratose ist sie oft rau und schuppig und wegen einer gesteigerten Gefäßpermeabilität ödematös verdickt. 20 Prozent der Patienten mit Schilddrüsen-Überfunktion klagen über Hautsymptome, 40 Prozent über dünnes, leicht ausfallendes Haar. Grund dafür ist die erhöhte Stoffwechselleistung des Körpers. Das Herzzeitvolumen ist erhöht, die Thermogenese gesteigert. Die Haut ist daher warm und verschwitzt, oft glatt und rosig glänzend. Ob zu wenig oder zu viel Thyroxin – der Körper reagiert auf die Hormonstörung mit vermehrtem Haarausfall. Bei Schilddrüsen-Überfunktion kann der Haarausfall auch Nebenwirkung bestimmter Thyreostatika sein, wie Thiamazol, Carbimazol oder Propylthiouracil.

Jedoch wirken nicht nur Schilddrüsenhormone auf den Entwicklungszyklus des Haares. Geschlechtshormone können die Wirkung von Thyroxin & Co je nach Ort und Zeitpunkt verstärken oder hemmen. Schilddrüsenhormone beschleunigen den Haarwuchs, Östrogene bremsen ihn. Thyroxin verkürzt die letzte, dem natürlichen Haarausfall vorausgehende Phase des Haarwuchses, Östrogene verlängern sie.

Vitiligo – Kein kosmetisches Problem

Erkrankungen von Haut und Haaren sind oft mit autoimmunbedingten Schilddrüsenerkrankungen anzutreffen. "Ein Drittel der Patienten mit Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) entwickelt eine Immunerkrankung der Schilddrüse", berichtete Dr. Silke Herold von der Dermatologischen Abteilung in Leutenberg. Ursache der Vitiligo ist eine Autoimmunreaktion gegen epidermale Melanozyten. Mit einer Prävalenz von 0,5 bis 2 Prozent gilt sie als eine der häufigsten chronischen Hauterkrankungen. Sie zeigt sich in unregelmäßig verlaufenden, pigmentfreien Flecken der Haut und bedeutet für die Betroffenen neben der erhöhten Sonnenempfindlichkeit vor allem auch eine besondere psychische Belastung. Seit 1996 sind Pigmentstörungen dieser Art nach dem sozialen Entschädigungsgesetz und Schwerbehindertengesetz als Schwerbehinderung anerkannt.

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