Arbeitskreis Depression will Therapie bessern |
16.02.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Um ein Krankheitsbild, dessen Diagnose und Behandlung nach wie vor
eklatante Defizite aufweist, ging es Ende Januar bei einer Pressekonferenz
im Biozentrum der Universität Frankfurt in Oberursel. Die Rede ist von
depressiven Störungen, und Anlaß für das Treffen von
Hochschulprofessoren und Fachjournalisten war die Präsentation des
Arbeitskreises Depression (AKD).
Dem bereits im Mai 1996 mit Unterstützung der Firma Promonta Lundbeck ins
Leben gerufenen Arbeitskreis gehören sechs Hochschulprofessoren, eine
Privatdozentin und ein Mediziner aus den Bereichen Neurologie, Pharmakologie und
Psychiatrie an. Am 29. Januar stellte sich der AKD der Fachpresse vor.
Der AKD verstehe sich als unabhängiges interdisziplinäres Forum für Fragen der
Diagnostik und Therapie depressiver Störungen, erklärte Professor Dr. Walter E.
Müller vom Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler des Frankfurter
Biozentrums. Erklärtes Ziel sei es, die Erkennung und Behandlung von Depressionen
zu verbessern und die Belange der Betroffenen publik zu machen, ergänzte
Professor Dr. Markus Gastpar, Direktor der Klinik für Allgemeine Psychiatrie der
Rheinischen Landes- und Hochschulklinik in Essen. Neben Forschung und
Vermittlung der neuen Erkenntnisse will der AKD die Schulung behandelnder Ärzte
und die Evaluierung therapieverbessernder Maßnahmen fördern.
Daß dies dringend erforderlich ist, machte Dr. Bernd Ahrens von der Nervenklinik
der FU Berlin deutlich. Rund 10 Prozent der Bevölkerung leiden mindestens einmal
in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen depressiven Störung. Nur etwa ein
Drittel von ihnen sucht deswegen einen Arzt auf, und nur etwa die Hälfte wird dann
richtig diagnostiziert. Von diesen wiederum werden laut Ahrens nicht einmal 50
Prozent richtig therapiert.
Als dramatisch beurteilte der Neurologe die hohe Suizidrate bei depressiven
Patienten: Rund 15 Prozent der Betroffenen sterben durch Selbstmord. 1996 waren
allein in Deutschland 12.888 Suizidopfer zu verzeichnen, 30 Prozent mehr als bei
Verkehrsunfällen gleichkommt. Depressive Störungen seien mit Abstand die
psychischen Erkrankungen mit der höchsten Suizidialität, ergänzte Professor Dr.
Manfred Wolfersdorf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des
Bezirkskrankenhauses Bayreuth. 40 bis 60 Prozent der Selbstmörder seien zum
Zeitpunkt ihres Suizids depressiv. Fest steht, daß ein Großteil dieser Todesfälle
durch frühzeitige Diagnose und richtige Behandlung vermieden werden könnte. Vor
allem die leichten bis mittelschweren Fälle sind nach Einschätzung der Fachleute
therapeutisch nicht oder unterversorgt, nur die wenigsten davon befänden sich in
psychiatrischer Behandlung. Wenn überhaupt, seien sie in der Allgemeinarztpraxis
anzutreffen, sagte Professor Dr. Gerd Laux, Ärztlicher Direktor des
Bezirkskrankenhauses Gabersee, Wasserburg. Nach seinen Angaben erhalten nur
20 bis 40 Prozent dieser Patienten Antidepressiva, obwohl Metaanalysen zufolge 60
bis 70 Prozent der Betroffenen unter Antidepressivatherapie nach vier Wochen eine
Besserung zeigen (unter Placebo nur 30 Prozent).
Müller führt die weitverbreitete medikamentöse Unterversorgung nicht zuletzt auf
herrschende Vorurteile über die zur Verfügung stehenden Antidepressiva zurück.
Folge sei häufig eine Verordnung der falschen Substanzen oder aber eine
Unterdosierung.
"Antidepiessiva machen nicht abhängig", sagte Müller. Abhängigkeit könne aber sehr
wohl durch Benzodiazepine hervorgerufen werden, weshalb diese Substanzen auch
bei depressiven Patienten nicht zu empfehlen seien. In der Praxis wird dies jedoch
häufig nicht beachtet.
Die Angst vor Substanztoxizität sei nur bei den Antidepressiva der alten Generation
zutreffend, für die modernen Substanzen gelte der Vorwurf weniger, betonte Müller.
Als irrational bezeichnete er daher den Umstand, daß in der Praxis häufig noch die
älteren Trizyklika verschrieben werden.
Das dritte Vorurteil, die Angst vor unerwünschten Arzneimittelwirkungen der
Antidepressiva, muß nach seinen Worten ernst genommen werden. Müller machte
jedoch auf die deutlichen Unterschiede in den Nebenwirkungsspektren bei den 25
derzeit zur antidepressiven Therapie verfügbaren Arzneistoffen aufmerksam. Es sei
durchaus möglich, hier ein "zumindest halbwegs geeignetes Präparat" für jeden
Betroffenen zu finden.
Abschließend verwiesen die AKD-Mitglieder darauf, daß - aus Mangel an kausalen
Behandlungsmöglichkeiten - die Therapie depressiver Störungen oftmals eine
Dauertherapie ist. Erschwerend komme die Inhomogenität der Erkrankung hinzu und
die Tatsache, daß bei Antidepressiva keine Soforteffekte zu beobachten sind. Je
nach Therapieverlauf könne nach sechs Monaten medikamentöser Akutbehandlung
ein Absetzversuch unternommen werden, erklärte Ahrens. Nach durchschnittlich
drei infolge von Rezidiven fehlgeschlagenen Absetzversuchen hält er jedoch eine
Langzeitbehandlung in der Regel für unumgänglich. Parallel zur medikamentösen
Therapie müsse in jedem Fall eine psychotherapeutische Betreuung erfolgen. "Es gibt
keine Depressionsbehandlung ohne psychotherapeutische Basisbehandlung."
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Oberursel
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