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Gemeinsam sind Bakterien stark

28.01.2002  00:00 Uhr

BIOFILME

Gemeinsam sind Bakterien stark

von Christina Hohmann, Eschborn

Bakterien sind keine einsamen, schwachen Einzeller. Sie sind organisiert, kommunikativ und strukturiert. Denn die überwiegende Mehrheit der Mikroorganismen lebt in komplexen Verbänden, so genannten Biofilmen. In den schwer zerstörbaren Strukturen zeigen die Bakterien einen veränderten Stoffwechsel und ein Resistenzverhalten, das dem der Einzelindividuen um ein Vielfaches überlegen ist. Biofilme sind für einige der hartnäckigsten und gefährlichsten Infektionen verantwortlich.

Auch wer den Begriff Biofilm nicht kennt, hat mit Sicherheit schon mit einem Bekanntschaft gemacht. Denn zu den Biofilmen zählen auch der Zahnbelag, die glitschige Schicht auf Steinen im Bach, auf der man so schnell ausrutscht, oder der grüne, übelriechende Belag, der sich innerhalb weniger Tage in jeder Blumenvase bildet. Dies sind unschöne, aber eher harmlose Beispiele für Biofilme. Schlimmer ist es, wenn die Bakterien organisierte Strukturen auf endogenen Implantaten wie Herzklappen oder Gelenkprothesen bilden. Auch Harnkatheterinfektionen, Mittelohrentzündung oder die chronische Lungeninfektion bei Patienten mit Mukoviszidose gehen auf Bakterien zurück, die sich zu Biofilmen zusammengetan haben und dadurch sehr schwer zu bekämpfen sind.

Angesichts ihrer Häufigkeit ist es erstaunlich, dass der Wissenschaft die Existenz und Bedeutung von Biofilmen so lange entging. Erst seit wenigen Jahren ist klar, dass sich die Mehrheit der Bakterien zu Kolonien zusammenlagert und die frei schwimmende (planktonische) Phase nur ein kurzer Abschnitt des Lebens der Mikroorganismen ist. 

Den falschen Eindruck vom Bakterium als Einzelindividuum erweckte vermutlich die übliche Untersuchungsmethode der Wissenschaftler: Sie züchteten die Bakterien in Kultur und mikroskopierten Tropfen der Zellsuspension, in der die einzelnen Keime frei schwammen oder trieben. Sehr viel Aufmerksamkeit erhielten die Biofilme allerdings 1993 und 1994, als etwa hundert Asthmatiker an Lungeninfektionen starben, nachdem sie kontaminierte Inhalationspräparate verwendet hatten. Einige Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa überlebten die Routinedesinfektionen des Herstellungsprozesses, indem sie einen Biofilm bildeten. Kleine Stückchen dieses Films gelangten in die Albuterol-Inhalationspräparate und wurden somit direkt in die Lungen der Asthmatiker gebracht, wo sie sich weiter ausbreiteten.

Entwicklung von Biofilmen

Die widerstandsfähigen Verbände entstehen überall dort, wo eine gasförmige und eine flüssige Phase (zum Beispiel an der Wasseroberfläche) oder eine flüssige und eine feste Phase (in Gewässern oder in Körperflüssigkeiten) aufeinander stoßen. An diesen Übergängen können sich frei schwimmende Bakterien anlagern. Für diese Adhäsion sind Van-der-Waals-Kräfte sowie elektrostatische Wechselwirkungen mit dem Substrat verantwortlich. Durch weitere Bindungen heften sich die Einzeller irreversibel an und beginnen sich zu vermehren. Außerdem sondern sie eine schleimartige Matrix aus extrazellulären polymeren Substanzen (EPS) ab, in die sich die Bakterien einbetten. Diese Grundsubstanz besteht hauptsächlich aus Polysacchariden wie Glucose, Galactose und Mannose, enthält aber auch einige Proteine sowie Spuren von Lipiden und Nukleinsäuren. Auf dem flächigen Biofilm können sich weitere Bakterienspezies und je nach Umgebung auch höher entwickelte Organismen aus dem Zoo- oder Phytoplankton anlagern. Langsam wächst die Lebensgemeinschaft und bildet schließlich dreidimensionale Strukturen mit Poren, Kavernen und Wasserkanälen zur Versorgung der weiter innen liegenden Organismen.

Mit dem Übergang von der planktonischen zur sessilen Lebensweise verändert sich auch der Stoffwechsel der Bakterien erheblich: Schon wenige Minuten nach dem ersten Andocken, legen die Einzeller einige Gene lahm, während sie andere aktivieren und dadurch Proteine bilden, die frei schwimmende Bakterien nicht produzieren. Diese Stoffe helfen zum Beispiel, die Zellen am Untergrund zu fixieren, oder sind am Aufbau der Matrix beteiligt. Außerdem produzieren die Organismen auch Botenstoffe, durch die sie mit den benachbarten Zellen kommunizieren. Zu den wichtigsten Signalmolekülen zählen die Acyl-Homoserinlactone, die die Biofilm-Entwicklung auslösen. Diese Stoffe geben die Bakterien in winzigen Mengen in ihre Umgebung ab. Wenn genügend Einzeller auf einem Fleck zusammenkommen, steigt die Konzentration des Botenstoffs an. Ab einem Schwellenwert schalten die Mikroorganismen einige Gene an, andere aus, verändern ihren Stoffwechsel und leiten so die Koloniebildung ein. Das Phänomen bezeichnen Mikrobiologen als "quorum sensing". Durch diesen Mechanismus spüren die Bakterien, wie viele Artgenossen sich in ihrer nächsten Umgebung befinden, denn einen Biofilm zu bilden, lohnt sich nur, wenn genügend Mitstreiter vorhanden sind.

Äußerst hartnäckig

Wenn sich die Einzeller erst einmal zu einem Biofilm zusammengeschlossen haben, sind sie äußerst schwierig zu bekämpfen: Desinfektionsmittel und Antibiotika, die einzelne Bakterien leicht abtöten, sind gegen die Gemeinschaft oft machtlos. So entwickeln die Einzeller im Verband eine bis zu 500fach höhere Resistenz gegenüber gängigen Antibiotika als sie die Einzelzellen.

Was aber macht Biofilme derart widerstandsfähig? Hier scheinen verschiedene Mechanismen ineinander zu greifen. Zum einen behindert die Matrix das Eindringen der Substanzen in die Kolonie. Zum anderen enthält die schleimige Grundsubstanz Enzyme, die Antibiotika abbauen. So metabolisieren zum Beispiel in der Matrix vorhandene Beta-Lactamasen eindringende Penicilline - und das schneller als sie durch Diffusion nachgeliefert werden können. Außerdem bieten die zum Teil stark unterschiedlichen Lebensbedingungen innerhalb eines Biofilms einen weiteren Vorteil: Antibiotika, die bei sich teilenden Zellen ansetzen, können Einzellern, die sich auf Grund einer schlechten Nährstoffversorgung in einer Ruhephase befinden, nichts anhaben. Die Überlebenden können - ihre toten Nachbarn als Rohstoffquelle verwendend - anfangen, sich zu teilen, und den Biofilm innerhalb kurzer Zeit wieder aufbauen. Diese so genannten Persister sind der Hauptgrund, warum Biofilme mit den üblichen Desinfektionsmitteln beziehungsweise Antibiotika so schwer zu bekämpfen sind.

Wissenschaftler suchen jetzt nach neuen Waffen, um den lange unterschätzten Feind zu schlagen. Entsprechend den verschiedenen Stadien der Biofilm-Entwicklung - Adhäsion, Synthese der extrazellulären Matrix, Kommunikation der Bakterien untereinander - gibt es verschiedene Angriffspunkte für neue Therapien: Eine Substanz, die die Anlagerungsstrukturen der Bakterien an der Zelloberfläche blockiert, verhindert das Andocken der Mikroorganismen am Substrat. Ohne Adhäsion kann kein Biofilm entstehen, und die Einzelzellen sind mit gewöhnlichen Antibiotika leicht abzutöten. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Synthese der Matrix. Die für diesen Vorgang benötigten Gene sind für bestimmte Bakterien (zum Beispiel Staphylococcus epidermidis) bereits bekannt. Ohne diese Gene ist es den Zellen nicht möglich, geordnete Strukturen aufzubauen. Auf einem endogenen Implantat, wie einer Gelenkprothese, die mit einem Material überzogen ist, das die verantwortlichen Gene blockiert, kann daher kein hartnäckiger Biofilm entstehen.

Botenstoffe gegen Biofilme

Auch das Kommunikationssystem der Bakterien, ist ein möglicher Angriffspunkt für neue Therapien. Gelänge es, die Verständigung der Einzeller zu entschlüsseln, könnte man sie gezielt unterbinden. Ein Beispiel hierfür fanden Forscher der University of New South Wales in Sydney: Das Team um Professor Dr. Staffan Kjelleberg und Professor Dr. Peter Steinberg entdeckte, dass die Alge Delisea pulchra kaum von Biofilmen befallen wird, während um sie herum Steine und Pflanzen gleichermaßen mit einem Bewuchs überzogen sind. Die Rotalge musste also einen Mechanismus besitzen, mit dem sie die Besiedlung durch Biofilme abwehren konnte. Wie die Wissenschaftler herausfanden, gibt die Pflanze so genannte Furanone in das sie umgebende Wasser ab, um sich sauber zu halten. Diese Substanzen ähneln chemisch den Acyl-Homoserinlactonen, den für das "quorum sensing" wichtigen Botenstoffe. Offenbar binden die Furanone an die bakteriellen Rezeptoren für die Botenstoffe, ohne ein Signal auszulösen. Der für die Biofilm-Bildung wichtige Expressions-Shift - das An- und Abschalten bestimmter Gene - unterbleibt also. 

Dieses Prinzip soll in Zukunft auch Schiffsrümpfe vor dem lästigen Bewuchs schützen. Denn der Biofilm bildet die Grundlage für die Ansiedlung von größeren Organismen wie Muscheln und Algen. Und dieser Bewuchs bremst durch seinen Reibungswiderstand die Schiffe und treibt somit den Treibstoffverbrauch in die Höhe, weshalb der Belag regelmäßig aufwendig entfernt werden muss. Hier könnte der neue Wirkstoff der australischen Wissenschaftler, der sich zurzeit auf dem Weg zur Marktreife befindet, Abhilfe schaffen.

Nicht nur für Schiffsbäuche

Aber nicht nur an Schiffsbäuchen, sondern auch im menschlichen Körper könnten die Furanone im Kampf gegen Biofilme nützlich sein, denn sie sind beständig und außerdem ungiftig. Im Gegensatz zu Antibiotika töten solche Wirkstoffe die Bakterien nicht ab, sondern legen nur ihr Kommunikationssystem lahm. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Keime gegen die Furanone resistent werden. Immerhin schützt sich die Rotalge schon seit Millionen von Jahren erfolgreich durch dieses Prinzip vor unerwünschtem Befall.

Noch sind effektive Wirkstoffe allerdings Zukunftsmusik, denn die geheime Sprache der Bakterien muss noch besser verstanden werden, um den Aufbau von Biofilmen erfolgreich hemmen zu können.

 

Medizinisch relevante Biofilme

  • Mukoviszidose: Die chronische Lungeninfektion, die Mukoviszidose-Patienten quält, wird von dem gram-negativen Stäbchenbakterium Pseudomonas aeruginosa verursacht. Sobald sich ein Biofilm auf der Lunge gebildet hat, sind die Bakterien selbst durch aggressivste Antibiotika-Behandlungen nicht mehr zu vernichten. Patienten mit dieser Erbkrankheit bilden auf Grund eines gestörten Salztransports in den Epithelzellen, zähflüssigen Schleim in den Lungen aus, der einen guten Nährboden für Erreger bildet.
  • Kontaktlinsen: Auch auf Kontaktlinsen können sich filmbildende Bakterien niederlassen. Vor allem der Keim Pseudomonas aeruginosa spielt hier eine wichtige Rolle. Obwohl er in der normalen Flora des Auges nicht vorkommt, kann er durch Mascara-Schwämmchen oder kontaminierte Reinigungslösungen für Kontaktlinsen ins Auge gelangen. Zu Hornhautentzündungen kommt es allerdings nur, wenn kleine Verletzungen vorliegen.
  • Implantate: Bakterielle Biofilme sind für etwa 60 Prozent aller Infektionen in der Implantationschirurgie verantwortlich. Die Mortalität der Patienten ist besonders hoch, wenn endogene Implantate wie künstliche Gelenke oder Herzklappen betroffen sind.
  • Katheter: Intravenöse Zugänge, wie sie für Bluttransfusionen oder künstliche Ernährung benötigt werden, können auch zu schweren Infektionen führen. Keime der normalen Hautflora wie Staphylococcus-Arten oder Erreger wie verschiedene Pseudomonas-Spezies können sich an der Außenseite des Zugangs anlagern, bevor er in die Blutgefäße des Patienten eingeführt wird. Dort bilden die Bakterien dann einen Film, der, wenn er sich ablöst, chronische Infektionen auslösen kann.
  • Zahnbelag: Der Belag auf Zähnen ist nicht nur unschön, sondern unter Umständen auch gefährlich: Karies, Gingivitis (Zahnfleischbluten) und Paradontitis (Zahnfleischentzündung) können die Folge sein. Außerdem können Keime der Mundflora durch kleine Wunden in das Blutsystem gelangen, die im Verdacht stehen, Herzinfarkte, Frühgeburten oder Diabetes zu verursachen.

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