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Medizin 1

29.01.2001  00:00 Uhr

Neues aus der Wissenschaft

von Ulrike Wagner und Daniel Rücker, Eschborn

Fußballfans leben gefährlich

Wer lange leben will, sollte Fußballeuropameisterschaften aus seinem Fernsehprogramm streichen. Denn am 22. Juni 1996, als die Holländer im Viertelfinale nach Elfmeterschießen gegen die Franzosen verloren, starben signifikant mehr Menschen an koronarer Herzkrankheit und Schlaganfall als an fußballfreien Tagen. Etwa 9,8 Millionen hatten das Spiel am Fernseher verfolgt, mehr als 60 Prozent der holländischen Bevölkerung.

Daniel R. Witte und seine Mitarbeiter vom Medizinischen Zentrum der Universität Utrecht haben die Daten des holländischen Zentralbüros für Statistik vom Juni 1995, 1996 und 1997 sowie die Zahl der Todesfälle vom Spieltag mit denen an den Tagen vor und nach dem entscheidenden Spiel verglichen.

Die Mortalität war nur unter Männern erhöht, bei Frauen ließ sich kein Unterschied feststellen. Entweder haben weniger Frauen das Spiel verfolgt oder sie reagieren weniger empfindlich auf den Stress, dem die Fußballfans ausgeliefert sind. Die Autoren tippen eher auf geringeres Interesse als Erklärung für das Phänomen.

Neben dem emotionalen Stress könnten auch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Dazu gehören Alkohol, übermäßiges Essen und exzessives Rauchen der Fußballfans, so die Autoren. Ob die Franzosen genauso gestresst waren, geht aus der Publikation leider nicht hervor. Die Studie haben sich die Herausgeber des British Medical Journal zusammen mit weiteren eher ungewöhnlichen Forschungsergebnissen, wie den Bissgewohnheiten von Tieren bei Vollmond, für die letzte Ausgabe im Jahr 2000 aufgehoben.

Quelle: Witte, D. R., British Medical Journal, Vol. 321, Seite 1552 - 1554

 

Erbliche Komponente von Morbus Parkinson

Auch die spät einsetzende Variante der Parkinson-Krankheit hat eine erbliche Komponente. Das belegen Studien einer Forschergruppe aus Reykjavik. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass isländische Patienten, die an der spät einsetzenden Form von Morbus Parkinson erkrankten, näher miteinander verwandt waren als Kontrollpersonen.

Für die Kontrollgruppe verwendeten die Forscher die Daten von mehr als 600.000 Isländern, deren Stammbaum-Daten seit elf Jahrhunderten gesammelt wurden. Diese Datenbank enthielt auch die Namen aller derzeit lebenden 270.000 Menschen in Island.

Für die früh einsetzende Form der Parkinson-Erkrankung, bei der die Patienten vor dem 50. Lebensjahr oder sogar in ihrer Jugend erkranken, ist bereits seit langem eine erbliche Komponente bekannt. Denn hier wusste man von Familien, in deren Stammbaum die Erkrankung gehäuft auftrat. Ähnliche Stammbäume gab es bislang für die spät einsetzende Form der Erkrankung nicht. Und auch Zwillingsstudien hatten keine Hinweise auf eine Vererbung ergeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Parkinson-Krankheit häufig Generationen innerhalb einer Familie überspringt.

Dass nicht nur die Kernfamilien häufiger von der Erkrankung betroffen sind, sondern auch entferntere Verwandte halten die Autoren für einen zusätzlichen Hinweis auf eine genetische Komponente. Zudem fanden sie bei den Ehepartnern der Erkrankten die Krankheit nicht häufiger als in der Gesamtbevölkerung Islands. Umweltfaktoren, die im Erwachsenenalter auf die Menschen einwirken, scheinen demnach keinen großen Einfluss auf die Erkrankung zu haben. Allerdings beobachteten die Wissenschaftler, dass Geschwister ein höheres Risiko für Morbus Parkinson hatten als Kinder, obwohl es sich in beiden Fällen um Verwandte ersten Grades handelt. Dies deute auf den Einfluss von Umweltfaktoren, die die Menschen in ihrer Kindheit miteinander geteilt haben. Dass die Zwillingsstudien zuvor kein Ergebnis geliefert hatten erklären die Autoren mit dem hohen Alter, bei dem diese Form der Parkinson-Krankheit auftritt. Sie könnte bei einem Zwilling später auftreten oder einer der beiden könnte bereits vor Ausbruch gestorben sein.

Insgesamt widerlegt die Studie die weithin verbreitete Annahme, dass vor allem bei der spät einsetzenden Parkinson-Krankheit Umweltfaktoren die entscheidende Rolle spielen.

Quelle: Sveinbjörnsdóttir, S., et al, The New England Journal of Medicine, Vol. 343, 1765 - 70

 

Hintertür für HIV

Das HI-Virus scheint über einen bislang unbekannten Mechanismus in Immunzellen einzudringen. Amerikanische Wissenschaftler haben zwei HIV-1-Varianten isoliert, die sich über den CD8-Rezeptor Zutritt zu Zellen verschaffen, die dieses Molekül an der Oberfläche tragen. Zu den CD8-positive Zellen gehören die für die Abwehr von Virusinfektionen wichtigen zytotoxischen T-Zellen.

Bislang hatten die Forscher geglaubt, dass das Virus ausschließlich über das Oberflächenmolekül CD4 in Helfer-T-Zellen und Makrophagen gelangt. Dazu benötigt das Virus so genannte Corezeptoren, zusätzliche Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Den beiden neu isolierten Virusvarianten scheint jedoch das CD8-Molekül auszureichen. Offensichtlich brauchen sie keinen weiteren Rezeptor für die Infektion der Immunzellen. Die Forscher fanden bei den Viren ein verändertes Envelope-Protein, das ihnen offensichtlich die Tür zu CD8-Zellen öffnet.

Ob es sich bei den Virusisolaten um seltene Zufallsbefunde handelt oder ob sie häufiger auftreten, ist noch unklar. Einige Indizien sprechen für letzteres. So hatten Forscher bei einigen Aids-Patienten im fortgeschrittenen Stadium vorwiegend infizierte CD8-Zellen gefunden. Bislang hatte man geglaubt, dass diese Zellen von Vorläufer-Zellen abstammen, die sowohl CD4 als auch CD8 auf ihrer Oberfläche tragen. Damit wäre es dem Virus auch nach der klassischen Theorie möglich gewesen, diese Zellen zu infizieren.

Bis heute ist unklar, warum das Immunsystem, das auf eine HIV-1-Infektion zunächst mit einer starken Immunantwort der CD8-positiven zytotoxischen T-Zellen reagiert, den Kampf auf die Dauer verliert. Vielleicht liefert die neue Studie eine Erklärung für dieses Phänomen. Die Autoren spekulieren, dass das Virus zunächst die CD4-Zellen befällt. Deren Anzahl im Blut fällt daraufhin ab und dem Virus gehen die Zellen aus. Daraufhin mutiert es nach dieser Theorie zu einer Variante, die Zellen mit dem CD8-Rezeptor befallen kann. Da sich die zytotoxischen T-Zellen zu diesem Zeitpunkt noch im peripheren Blut tummeln, sind diese Virusvarianten im Vorteil und können sich weiter vermehren. Das würde einerseits erklären, warum diese Varianten spät in der Infektion auftreten. Andererseits wäre damit auch klar, warum Aids bei einigen Patienten in der späten Phase rasend schnell fortschreitet.

Auch auf die medikamentöse Behandlung haben die Ergebnisse, sollten sie sich tatsächlich in weiteren Studien bestätigen, Konsequenzen. Denn die neu entwickelten Fusionsinhibitoren (siehe auch PZ 48/2000) wären gegenüber Virusvarianten machtlos, die keine Corezeptoren benötigen, schreibt Bryan R. Cullen in einem Kommentar zu der Originalarbeit.

Quelle: Cullen, B. R., Nature Medicine, Vol. 7, vom 1. Januar 2001, Seite 20 - 21; Saha, K., et al., Nature Medicine, Vol. 7, vom 1. Januar 2001, Seite 65 - 72

 

Pflanze reinigt Arsen-verseuchten Boden

Ein Farn kann vielleicht in Zukunft eingesetzt werden, um mit Arsen kontaminierte Böden zu sanieren. Lena Ma von der Universität Florida, USA, und ihre Kollegen fanden die Pflanze mit Namen Pteris vittata auf einem Gelände, das zur Holzkonservierung genutzt wurde. Der Boden war dort stark mit Arsen belastet.

Es stellte sich heraus, dass die Pflanze nicht nur in der Lage war, auf kontaminiertem Erdreich zu wachsen, sondern das Arsen sogar stark anreicherte. In den Wedeln war die Konzentration des Schwermetalls bis zu 200-mal höher als im Boden. Der Farn sei winterfest, anpassungsfähig und wachse schnell, berichten die Forscher und schreiben ihm ein "großes Potenzial für die Sanierung von mit Arsen kontaminierten Böden zu".

Quelle: Ma, L. et al., Nature, Vol. 409, vom 1. Februar 2001, Seite 579

 

Chromosom 10 beeinflusst Alzheimer

Nicht nur bei der frühen Form des Morbus Alzheimer ist die Konzentration von b-Amyloid im Plasma erhöht. Auch bei Patienten, die erst nach dem 65. Lebensjahr erkranken, finden Wissenschaftler die pathogene Form des Proteins in großer Menge im Blut. Wie eine US-amerikanische Forschergruppe von der Mayo-Klinik in Jacksonville jetzt herausfand, ist die Anhäufung von b-Amyloid bei alten Patienten genetisch bedingt, allerdings unabhängig vom bislang bekannten E4-Allel des Apolipoprotein E. Bislang war nur dieses als genetische Komponente für die späte Form des Morbus Alzheimer bekannt.

Die Wissenschaftler konnten einen Abschnitt auf Chromosom 10 identifizieren, der bei Menschen, die an der späten Form der Erkrankung leiden, verändert ist. Diese Sequenz des Erbguts ist nach Ansicht der Forscher wahrscheinlich für die Entstehung von b-Amyloid verantwortlich. Die Bildung und Aggregation von b-Amyloid gilt als einer der Gründe für das massive Absterben von Nervenzellen bei Alzheimer-Patienten.

Bestätigt wird das Ergebnis von zwei weiteren amerikanischen Forschergruppen. Die Wissenschaftler aus Washington stellten außerdem fest, dass die Mutation auf Chromosom 10 wahrscheinlich sogar bedeutender für die Entstehung der Krankheit ist als das E4-Allel.

Quellen: Bertram, L., et al., Science Vol 290, 22. Dezember 2000, 2302-3; Ertekin-Taner, N., et al., Science Vol 290, 22. Dezember 2000, 2303-4; Myers, A., et al., Science Vol 290, 22. Dezember 2000, 2304-5.

 

t-PA tut nicht nur Gutes

Seit einiger Zeit wird der Gewebe-Plasminogenaktivator t-PA (tissue plasminogen activator) zur Akutbehandlung des Schlaganfalls eingesetzt. Das natürlich vorkommende Peptid spaltet Plasminogen zur Protease Plasmin, die den Gefäßthrombus auflöst. Doch t-PA hat auch schlechte Eigenschaften, es wirkt neurotoxisch. Der Grund für diesen negativen Effekt war bislang unbekannt. Französische Wissenschaftler können jetzt eine Erklärung präsentieren: t-PA erhöht die Aktivität des neurotoxischen Glutamat-Rezeptors vom NMDA-Typ (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat).

Olivier Nicole und seine Mitarbeiter stellten in Versuchen mit Zellkulturen fest, dass t-PA ein Stück aus dem N-Terminus der NR1-Untereinheit des NMDA-Rezeptors herausschneidet. Dadurch steigt die Leitfähigkeit des Rezeptors für Calcium-Ionen. Sie strömen vermehrt in die Nervenzelle ein. Zu hohe Calcium-Spiegel kann das Neuron nicht verkraften, es stirbt. Der Vorgang wird auch als Exzitotoxizität bezeichnet. Die Franzosen stellten fest, dass der Effekt direkt von t-PA ausgelöst wird. Das thrombolytisch wirksame Plasmin greift den NMDA-Rezeptor nicht an.

Möglicherweise könne die neurotoxische Wirkung von t-PA durch gleichzeitige Gabe eines NMDA-Antagonisten aufgehoben werden, spekulieren Nicole und seine Kollegen. Allerdings - so schränken sie ein - sei nicht definitiv bewiesen, dass die t-PA-bedingte Modulation des NMDA-Rezeptors in vivo allein und unmittelbar für den Untergang von Nervenzellen verantwortlich sei.

In dieselbe Richtung zielt ein Kommentar von Stephen Traynelis und Stuart Lipton. Sie bezeichnen die Untersuchungen zwar als wichtigen Schritt zum Verständnis der Beziehung zwischen t-PA und Neurotoxizität, gleichzeitig weisen sie aber darauf hin, dass der Zusammenhang wahrscheinlich komplexer ist als von den Autoren beschrieben.

Quellen: Nicole, O., et al., Nature Medicine, Vol 7, Januar 2001 59-65; Traynelis, S., und Lipton, S., Nature Medicine, Vol 7, Januar 2001 17-18

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